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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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1906 hat in Kopenhagen eine andere Konferenz des "Weltbundes für
das Frauenstimmrecht" getagt. Die Konferenz beriet nicht nur Fragen
der Organisation und Agitation, sie fand auch Zeit, das welt-
erschütternde Problem zu lösen, welche Abzeichen künftighin die Mit-
glieder der Frauenwahlrechtsvereine tragen sollen. Dagegen hat sie
nicht mit einem Worte die Frage des allgemeinen Wahlrechts erörtert,
noch weniger hat sie unzweideutig erklärt, wie der frauenrechtlerische
"Weltbund" dazu steht, und doch drängte sich die Stellungnahme zum
allgemeinen Wahlrecht geradezu auf. Die Vertreterinnen von Finn-
land und Ungarn äußerten nämlich die Ansicht, daß die Bewegung für
die politische Gleichberechtigung der Frau die meisten Fortschritte
dort zu verzeichnen habe, wo der Kampf für das allgemeine Wahl-
recht die Geister wachrüttelt, wo der Wahlrechtskampf des Proletariats
den Boden für die Beseitigung jeden politischen Unrechts bereitet. Sie
hatten das aus den Verhältnissen in ihrem Vaterlande gelernt. Die
Konferenz konnte also gleichsam mit Händen den Zusammenhang
greifen, der sie -- wenn sie konsequent Frauenrechte vertreten wollte
-- zur Forderung des allgemeinen Wahlrechts treiben mußte. Trotz-
dem hat sie sich feige um eine nicht zu drehende und zu deutelnde
Stellungnahme herumgedrückt.

Doch bleiben wir zur Bekräftigung unserer Anschauung im Lande.
Die Geschichte der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung ist überreich
an Tatsachen, die sie erhärten. Jn ihrer Gesamtheit marschieren die
frauenrechtlerischen Organisationen in Deutschland noch immer nicht
in geschlossener Phalanx hinter der Fahne des Frauenstimmrechts. Wohl
hat sich der "Bund deutscher Frauenvereine" auf seiner General-
versammlung zu Wiesbaden 1902 unter dem Drängen des "radikalen
Flügels" endlich dazu bequemt, sich offiziell für das Frauenwahlrecht
zu erklären. Allein in der recht schwächlichen Form, es sei "dringend
zu wünschen, daß die Bundesvereine das Verständnis für den Gedanken
des Frauenstimmrechts nach Kräften fördern." Will man die "Kräfte"
der Bundesvereine nach dem bemessen, was diese zur Verwirklichung
des bescheidenen aber "dringenden Wunsches" getan haben, so muß
man sie fast durchweg als die organisierte Ohnmacht bewerten. Denn
-- von den Frauenstimmrechtsvereinen abgesehen -- haben die wenig-
sten von ihnen irgend Nennenswertes auch nur für die Verbreitung des
"Gedankens" des Frauenstimmrechts geleistet. Noch weniger ist bis heute
von einer einheitlichen und kraftvollen Aktion des "Bundes" für die
Eroberung vollen politischen Bürgerrechts für das weibliche Ge-
schlecht die Rede gewesen. Und das obgleich die große gemäßigte
Organisation durch ihre Zugehörigkeit zum "Weltfrauenbund" 1904
sich neuerlich zum Frauenstimmrecht bekannt hat. Jn diesem Jahre
hat sich nämlich diese internationale Vereinigung bürgerlicher
Frauenrechtlerinnen in einer Resolution für die volle politische
Gleichberechtigung der Geschlechter erklärt. Außerdem -- und
das muß besonders betont werden -- hat sich der "Bund deutscher
Frauenvereine" offiziell darüber ausgeschwiegen, ob er ein all-
gemeines Frauenstimmrecht erstrebt oder sich in seiner "maßvoll klugen
Weise" unter Umständen auch mit einem Zensuswahlrecht bescheiden
würde. Es ist jedenfalls nicht besonders vertrauenerweckend, daß in
dem offiziellen "Zentralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine" kurz
nach der diesjährigen Reichstagswahl eine regelrechte Attacke gegen
das allgemeine Wahlrecht geritten wurde, die Frau Stritt zwar recht
wortreich, aber keineswegs mit der nämlichen Bestimmtheit zurück-

1906 hat in Kopenhagen eine andere Konferenz des „Weltbundes für
das Frauenstimmrecht‟ getagt. Die Konferenz beriet nicht nur Fragen
der Organisation und Agitation, sie fand auch Zeit, das welt-
erschütternde Problem zu lösen, welche Abzeichen künftighin die Mit-
glieder der Frauenwahlrechtsvereine tragen sollen. Dagegen hat sie
nicht mit einem Worte die Frage des allgemeinen Wahlrechts erörtert,
noch weniger hat sie unzweideutig erklärt, wie der frauenrechtlerische
„Weltbund‟ dazu steht, und doch drängte sich die Stellungnahme zum
allgemeinen Wahlrecht geradezu auf. Die Vertreterinnen von Finn-
land und Ungarn äußerten nämlich die Ansicht, daß die Bewegung für
die politische Gleichberechtigung der Frau die meisten Fortschritte
dort zu verzeichnen habe, wo der Kampf für das allgemeine Wahl-
recht die Geister wachrüttelt, wo der Wahlrechtskampf des Proletariats
den Boden für die Beseitigung jeden politischen Unrechts bereitet. Sie
hatten das aus den Verhältnissen in ihrem Vaterlande gelernt. Die
Konferenz konnte also gleichsam mit Händen den Zusammenhang
greifen, der sie — wenn sie konsequent Frauenrechte vertreten wollte
— zur Forderung des allgemeinen Wahlrechts treiben mußte. Trotz-
dem hat sie sich feige um eine nicht zu drehende und zu deutelnde
Stellungnahme herumgedrückt.

Doch bleiben wir zur Bekräftigung unserer Anschauung im Lande.
Die Geschichte der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung ist überreich
an Tatsachen, die sie erhärten. Jn ihrer Gesamtheit marschieren die
frauenrechtlerischen Organisationen in Deutschland noch immer nicht
in geschlossener Phalanx hinter der Fahne des Frauenstimmrechts. Wohl
hat sich der „Bund deutscher Frauenvereine‟ auf seiner General-
versammlung zu Wiesbaden 1902 unter dem Drängen des „radikalen
Flügels‟ endlich dazu bequemt, sich offiziell für das Frauenwahlrecht
zu erklären. Allein in der recht schwächlichen Form, es sei „dringend
zu wünschen, daß die Bundesvereine das Verständnis für den Gedanken
des Frauenstimmrechts nach Kräften fördern.‟ Will man die „Kräfte‟
der Bundesvereine nach dem bemessen, was diese zur Verwirklichung
des bescheidenen aber „dringenden Wunsches‟ getan haben, so muß
man sie fast durchweg als die organisierte Ohnmacht bewerten. Denn
— von den Frauenstimmrechtsvereinen abgesehen — haben die wenig-
sten von ihnen irgend Nennenswertes auch nur für die Verbreitung des
„Gedankens‟ des Frauenstimmrechts geleistet. Noch weniger ist bis heute
von einer einheitlichen und kraftvollen Aktion des „Bundes‟ für die
Eroberung vollen politischen Bürgerrechts für das weibliche Ge-
schlecht die Rede gewesen. Und das obgleich die große gemäßigte
Organisation durch ihre Zugehörigkeit zum „Weltfrauenbund‟ 1904
sich neuerlich zum Frauenstimmrecht bekannt hat. Jn diesem Jahre
hat sich nämlich diese internationale Vereinigung bürgerlicher
Frauenrechtlerinnen in einer Resolution für die volle politische
Gleichberechtigung der Geschlechter erklärt. Außerdem — und
das muß besonders betont werden — hat sich der „Bund deutscher
Frauenvereine‟ offiziell darüber ausgeschwiegen, ob er ein all-
gemeines Frauenstimmrecht erstrebt oder sich in seiner „maßvoll klugen
Weise‟ unter Umständen auch mit einem Zensuswahlrecht bescheiden
würde. Es ist jedenfalls nicht besonders vertrauenerweckend, daß in
dem offiziellen „Zentralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine‟ kurz
nach der diesjährigen Reichstagswahl eine regelrechte Attacke gegen
das allgemeine Wahlrecht geritten wurde, die Frau Stritt zwar recht
wortreich, aber keineswegs mit der nämlichen Bestimmtheit zurück-

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[14/0024] 1906 hat in Kopenhagen eine andere Konferenz des „Weltbundes für das Frauenstimmrecht‟ getagt. Die Konferenz beriet nicht nur Fragen der Organisation und Agitation, sie fand auch Zeit, das welt- erschütternde Problem zu lösen, welche Abzeichen künftighin die Mit- glieder der Frauenwahlrechtsvereine tragen sollen. Dagegen hat sie nicht mit einem Worte die Frage des allgemeinen Wahlrechts erörtert, noch weniger hat sie unzweideutig erklärt, wie der frauenrechtlerische „Weltbund‟ dazu steht, und doch drängte sich die Stellungnahme zum allgemeinen Wahlrecht geradezu auf. Die Vertreterinnen von Finn- land und Ungarn äußerten nämlich die Ansicht, daß die Bewegung für die politische Gleichberechtigung der Frau die meisten Fortschritte dort zu verzeichnen habe, wo der Kampf für das allgemeine Wahl- recht die Geister wachrüttelt, wo der Wahlrechtskampf des Proletariats den Boden für die Beseitigung jeden politischen Unrechts bereitet. Sie hatten das aus den Verhältnissen in ihrem Vaterlande gelernt. Die Konferenz konnte also gleichsam mit Händen den Zusammenhang greifen, der sie — wenn sie konsequent Frauenrechte vertreten wollte — zur Forderung des allgemeinen Wahlrechts treiben mußte. Trotz- dem hat sie sich feige um eine nicht zu drehende und zu deutelnde Stellungnahme herumgedrückt. Doch bleiben wir zur Bekräftigung unserer Anschauung im Lande. Die Geschichte der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung ist überreich an Tatsachen, die sie erhärten. Jn ihrer Gesamtheit marschieren die frauenrechtlerischen Organisationen in Deutschland noch immer nicht in geschlossener Phalanx hinter der Fahne des Frauenstimmrechts. Wohl hat sich der „Bund deutscher Frauenvereine‟ auf seiner General- versammlung zu Wiesbaden 1902 unter dem Drängen des „radikalen Flügels‟ endlich dazu bequemt, sich offiziell für das Frauenwahlrecht zu erklären. Allein in der recht schwächlichen Form, es sei „dringend zu wünschen, daß die Bundesvereine das Verständnis für den Gedanken des Frauenstimmrechts nach Kräften fördern.‟ Will man die „Kräfte‟ der Bundesvereine nach dem bemessen, was diese zur Verwirklichung des bescheidenen aber „dringenden Wunsches‟ getan haben, so muß man sie fast durchweg als die organisierte Ohnmacht bewerten. Denn — von den Frauenstimmrechtsvereinen abgesehen — haben die wenig- sten von ihnen irgend Nennenswertes auch nur für die Verbreitung des „Gedankens‟ des Frauenstimmrechts geleistet. Noch weniger ist bis heute von einer einheitlichen und kraftvollen Aktion des „Bundes‟ für die Eroberung vollen politischen Bürgerrechts für das weibliche Ge- schlecht die Rede gewesen. Und das obgleich die große gemäßigte Organisation durch ihre Zugehörigkeit zum „Weltfrauenbund‟ 1904 sich neuerlich zum Frauenstimmrecht bekannt hat. Jn diesem Jahre hat sich nämlich diese internationale Vereinigung bürgerlicher Frauenrechtlerinnen in einer Resolution für die volle politische Gleichberechtigung der Geschlechter erklärt. Außerdem — und das muß besonders betont werden — hat sich der „Bund deutscher Frauenvereine‟ offiziell darüber ausgeschwiegen, ob er ein all- gemeines Frauenstimmrecht erstrebt oder sich in seiner „maßvoll klugen Weise‟ unter Umständen auch mit einem Zensuswahlrecht bescheiden würde. Es ist jedenfalls nicht besonders vertrauenerweckend, daß in dem offiziellen „Zentralblatt des Bundes deutscher Frauenvereine‟ kurz nach der diesjährigen Reichstagswahl eine regelrechte Attacke gegen das allgemeine Wahlrecht geritten wurde, die Frau Stritt zwar recht wortreich, aber keineswegs mit der nämlichen Bestimmtheit zurück-

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/24>, abgerufen am 21.11.2024.