Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.gemacht werden, solange die ergänzenden und schützenden politischen Diese Forderung wurzelt in der Erkenntnis, wie notwendig und be- Wenn die Sozialdemokratie demzufolge von je theoretisch und gemacht werden, solange die ergänzenden und schützenden politischen Diese Forderung wurzelt in der Erkenntnis, wie notwendig und be- Wenn die Sozialdemokratie demzufolge von je theoretisch und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <p><pb facs="#f0050" n="40"/> gemacht werden, solange die ergänzenden und schützenden politischen<lb/> Rechte fehlen. Jedoch mit dem wirtschaftlichen Kampfe allein ist es für<lb/> das Proletariat nicht getan. Es steht in einem Kampf von Klasse gegen<lb/> Klasse, und jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf. Das Prole-<lb/> tariat muß auf politischem Gebiete für soziale Reformen in der Gegen-<lb/> wart, für seine volle Befreiung in der Zukunft durch die Eroberung der<lb/> politischen Macht kämpfen. Je schärfer aber der politische Kampf der<lb/> Klassen sich zuspitzt, je stärkere Wellen er in die Familie des Arbeiters,<lb/> des kleinen Mannes wirft, je fühlbarer er die Jnteressen der Frauen<lb/> berührt und in Mitleidenschaft zieht, um so weniger können die klassen-<lb/> bewußten Proletarier die Frauen ihrer Klasse als Mitkämpferinnen ent-<lb/> behren. Es wird für sie ein um so unabweisbareres Bedürfnis, ihre<lb/> weiblichen Klassenangehörigen als Mitstreiterinnen zur Seite zu haben,<lb/> die von zielklarer Erkenntnis geleitet, wollen und handeln, als die<lb/> bürgerlichen Parteien und Mächte sich bemühen, die unaufgeklärten<lb/> Frauen gegen die aufgeklärten Männer zu mobilisieren. Um aber<lb/> politisch kämpfen und für den Kampf erzogen werden zu können, bedarf<lb/> die Proletarierin voller politischer Rechte. Das gesamte Proletariat<lb/> muß daher die Forderung erheben: „Nieder mit allen gesetzlichen Be-<lb/> stimmungen, welche der Frau die volle politische Gleichberechtigung vor-<lb/> enthalten! Her mit der Zuerkennung aller staatsbürgerlichen Rechte<lb/> für das gesamte weibliche Geschlecht!‟</p><lb/> <p>Diese Forderung wurzelt in der Erkenntnis, wie notwendig und be-<lb/> deutsam es ist, daß die Proletarierinnen gleich gerüstet und wehrtüchtig<lb/> wie die Männer ihrer Klasse an den wirtschaftlichen und politischen<lb/> Kämpfen innerhalb der kapitalistischen Ordnung und gegen sie teil-<lb/> nehmen. Nicht theoretischen Formeln zuliebe, nein, durch sein prak-<lb/> tisches Lebensinteresse als Klasse wird das Proletariat gezwungen, als<lb/> energischster Verfechter des Frauenstimmrechts aufzutreten. Als poli-<lb/> tische Klassenorganisation des Proletariats mußte daher die Sozial-<lb/> demokratie die Forderung des Frauenstimmrechtes in ihr Programm<lb/> aufnehmen und praktisch vertreten. Sie gehorcht damit praktischen Er-<lb/> wägungen, die aus ihrem Verständnis für die Existenz- und Kampfes-<lb/> bedingungen der Arbeiterklasse geboren werden. Sie gehorcht damit<lb/> aber auch ihrer geschichtlichen Einsicht in die Tendenz der ökonomischen<lb/> und sozialen Entwickelung: sie weiß, daß das Wahlrecht dank gründlich<lb/> revolutionierter Daseinsbedingungen eine soziale Lebensnotwendigkeit<lb/> für die Frauen geworden ist. Sie gehorcht damit endlich dem Gebot<lb/> sozialer Gerechtigkeit, das sie als treue Verfechterin des demokratischen<lb/> Prinzips vollstreckt wissen will.</p><lb/> <p>Wenn die Sozialdemokratie demzufolge von je theoretisch und<lb/> praktisch für das Frauenwahlrecht eingetreten ist, so wird sie jedoch<lb/> in Zukunft das noch mehr, noch energischer tun müssen als seither. Die<lb/> Zuspitzung der Klassengegensätze, die Verschärfung des Klassenkampfes<lb/> zeitigt geschichtliche Umstände, welche die Frage des Frauenwahlrechts<lb/> in neue Zusammenhänge bringen. Das volle Bürgerrecht der Frau<lb/> beginnt nicht nur für das Proletariat, sondern auch für die<lb/> reaktionären Klassen eine große praktische Bedeutung zu gewinnen.<lb/> Jn allen Ländern, wo das Proletariat erfolgreich kämpfend auf<lb/> dem Plan steht und den herrschenden Klassen Furcht vor seiner<lb/> Macht einflößt, da preßt die Situation den reaktionären Parteien<lb/> Sympathien für das Frauenwahlrecht ab. Sie befreunden sich<lb/> mit dem Gedanken seiner Einführung als mit einer letzten<lb/> winkenden Hoffnung, die bedrohte politische Machtstellung der aus-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0050]
gemacht werden, solange die ergänzenden und schützenden politischen
Rechte fehlen. Jedoch mit dem wirtschaftlichen Kampfe allein ist es für
das Proletariat nicht getan. Es steht in einem Kampf von Klasse gegen
Klasse, und jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf. Das Prole-
tariat muß auf politischem Gebiete für soziale Reformen in der Gegen-
wart, für seine volle Befreiung in der Zukunft durch die Eroberung der
politischen Macht kämpfen. Je schärfer aber der politische Kampf der
Klassen sich zuspitzt, je stärkere Wellen er in die Familie des Arbeiters,
des kleinen Mannes wirft, je fühlbarer er die Jnteressen der Frauen
berührt und in Mitleidenschaft zieht, um so weniger können die klassen-
bewußten Proletarier die Frauen ihrer Klasse als Mitkämpferinnen ent-
behren. Es wird für sie ein um so unabweisbareres Bedürfnis, ihre
weiblichen Klassenangehörigen als Mitstreiterinnen zur Seite zu haben,
die von zielklarer Erkenntnis geleitet, wollen und handeln, als die
bürgerlichen Parteien und Mächte sich bemühen, die unaufgeklärten
Frauen gegen die aufgeklärten Männer zu mobilisieren. Um aber
politisch kämpfen und für den Kampf erzogen werden zu können, bedarf
die Proletarierin voller politischer Rechte. Das gesamte Proletariat
muß daher die Forderung erheben: „Nieder mit allen gesetzlichen Be-
stimmungen, welche der Frau die volle politische Gleichberechtigung vor-
enthalten! Her mit der Zuerkennung aller staatsbürgerlichen Rechte
für das gesamte weibliche Geschlecht!‟
Diese Forderung wurzelt in der Erkenntnis, wie notwendig und be-
deutsam es ist, daß die Proletarierinnen gleich gerüstet und wehrtüchtig
wie die Männer ihrer Klasse an den wirtschaftlichen und politischen
Kämpfen innerhalb der kapitalistischen Ordnung und gegen sie teil-
nehmen. Nicht theoretischen Formeln zuliebe, nein, durch sein prak-
tisches Lebensinteresse als Klasse wird das Proletariat gezwungen, als
energischster Verfechter des Frauenstimmrechts aufzutreten. Als poli-
tische Klassenorganisation des Proletariats mußte daher die Sozial-
demokratie die Forderung des Frauenstimmrechtes in ihr Programm
aufnehmen und praktisch vertreten. Sie gehorcht damit praktischen Er-
wägungen, die aus ihrem Verständnis für die Existenz- und Kampfes-
bedingungen der Arbeiterklasse geboren werden. Sie gehorcht damit
aber auch ihrer geschichtlichen Einsicht in die Tendenz der ökonomischen
und sozialen Entwickelung: sie weiß, daß das Wahlrecht dank gründlich
revolutionierter Daseinsbedingungen eine soziale Lebensnotwendigkeit
für die Frauen geworden ist. Sie gehorcht damit endlich dem Gebot
sozialer Gerechtigkeit, das sie als treue Verfechterin des demokratischen
Prinzips vollstreckt wissen will.
Wenn die Sozialdemokratie demzufolge von je theoretisch und
praktisch für das Frauenwahlrecht eingetreten ist, so wird sie jedoch
in Zukunft das noch mehr, noch energischer tun müssen als seither. Die
Zuspitzung der Klassengegensätze, die Verschärfung des Klassenkampfes
zeitigt geschichtliche Umstände, welche die Frage des Frauenwahlrechts
in neue Zusammenhänge bringen. Das volle Bürgerrecht der Frau
beginnt nicht nur für das Proletariat, sondern auch für die
reaktionären Klassen eine große praktische Bedeutung zu gewinnen.
Jn allen Ländern, wo das Proletariat erfolgreich kämpfend auf
dem Plan steht und den herrschenden Klassen Furcht vor seiner
Macht einflößt, da preßt die Situation den reaktionären Parteien
Sympathien für das Frauenwahlrecht ab. Sie befreunden sich
mit dem Gedanken seiner Einführung als mit einer letzten
winkenden Hoffnung, die bedrohte politische Machtstellung der aus-
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(2015-08-28T12:13:05Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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