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Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907.

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leider auch des weiblichen Proletariats! -- stark und unerschüttert genug,
um im politischen Leben die unaufgeklärten Frauen zu Nutz und Frommen
der besitzenden Klassen gegen die klassenbewußt kämpfenden Proletarier
ausspielen zu können. Sie treten für das Frauenwahlrecht ein als
für ein Korrektiv gegen die steigende Aufklärung der Arbeiter und ihren
zunehmenden Abmarsch ins Lager der Sozialdemokratie. Je größer
die wirtschaftliche und soziale Macht oder auch die geistige Vormundschaft
ist, welche die Vorkämpfer reaktionärer Jdeen und Zustände über breite
Massen der weiblichen Bevölkerung noch ausüben: um so näherliegender
ist auch unter den aufgezeigten Zusammenhängen die Neigung zur Ein-
führung des Frauenwahlrechts. Das Zentrum insbesondere hat diese
gegenwärtig weniger als jede andere Partei zu fürchten. Umgekehrt:
es kann von ihr mit Sicherheit eine nicht unwesentliche Stärkung seiner
politischen Macht erwarten. So begreift sich, daß in Belgien, in Frank-
reich und anderwärts noch die Klerikalen heute der Forderung des
Frauenwahlrechts im allgemeinen sympathischer gegenüberstehen als die
bürgerlichen Liberalen.

Der nämliche Tatbestand, der das bedingt, erklärt jedoch auch das
andere. Die tiefe Abneigung, welche die bürgerlichen Liberalen, die
Demokraten inbegriffen, gegen die Einführung des Frauenwahlrechts
zumal in Ländern bekunden, wo der Klerikalismus noch die vor-
herrschende oder zum mindesten eine sehr starke Macht ist. Diese Ab-
neigung erweist nicht nur ihre Furcht vor den Klerikalen, sondern sie
ist gleichzeitig auch das Eingeständnis der geringen geistigen Fühlung,
die zwischen den Liberalen und der Frauenwelt der bürgerlichen
Klasse besteht. Fast in allen Ländern des westeuropäischen Konti-
nents haben die bürgerlichen Liberalen ihren "Männerstolz" weniger
"vor Königsthronen" als gegenüber dem weiblichen Geschlecht geübt,
das sie in der Oeffentlichkeit als Löwen anbrüllen, um dafür im Hause
recht oft als die kläglichsten Meister Zettel demütig unter den Pan-
toffel zu kriechen. Sie haben die Frauen als quantite negligeable
des öffentlichen Lebens behandelt und ihre geistige Rückständigkeit
als Bürgschaft der "Griseldistugend" gepflegt und erhalten, welche
dem Philister so bequem ist. Die fanatischsten bürgerlichen Frei-
denker und wütendsten Pfaffenfresser erachten herablassend lächelnd,
daß religiöser Aberglaube ihre Frauen und Töchter wohl ziert,
und sie lassen die Ansätze zu deren geistiger und sozialer Be-
tätigung im Weihrauchduft und Sakristeimoder unter Leitung von
Geistlichen und Betschwestern beider Geschlechter verkümmern. Die
politische Aufklärung und Schulung der bürgerlichen Frauen hat der
bürgerliche Liberalismus geradezu systematisch vernachlässigt, wenn nicht
gar grundsätzlich verfemt. Obschon die bürgerliche Demokratie an der
Wiege des politischen Erwachens der Frauenwelt gestanden ist, hat sie
doch so gut wie nichts für die Erziehung ihres Patenkindes getan. Nicht
mit Unterstützung der Männerwelt ihrer Klasse, vielmehr im Gegensatz
zu dieser und im Kampfe mit ihr hat sich die Sammlung und Schulung
der bürgerlichen Frauen zum Ringen für ihr Bürgerrecht vollzogen. So
trennt heute -- von England und zum Teil auch von Skandinavien ab-
gesehen -- in der liberalen Bourgeoisie eine breitere Kluft als in jeder
anderen sozialen Schicht das geistige Leben, die politische Gesinnung
der Geschlechter. Und wenn die bürgerlichen Liberalen vor der politischen
Rückständigkeit der Frauen zittern, welche die Macht der unverhüllten
Reaktion und insbesondere des Klerikalismus stärken müsse, so zittern
sie nur vor dem Geschöpf ihrer eigenen Sünde und Schande.

leider auch des weiblichen Proletariats! — stark und unerschüttert genug,
um im politischen Leben die unaufgeklärten Frauen zu Nutz und Frommen
der besitzenden Klassen gegen die klassenbewußt kämpfenden Proletarier
ausspielen zu können. Sie treten für das Frauenwahlrecht ein als
für ein Korrektiv gegen die steigende Aufklärung der Arbeiter und ihren
zunehmenden Abmarsch ins Lager der Sozialdemokratie. Je größer
die wirtschaftliche und soziale Macht oder auch die geistige Vormundschaft
ist, welche die Vorkämpfer reaktionärer Jdeen und Zustände über breite
Massen der weiblichen Bevölkerung noch ausüben: um so näherliegender
ist auch unter den aufgezeigten Zusammenhängen die Neigung zur Ein-
führung des Frauenwahlrechts. Das Zentrum insbesondere hat diese
gegenwärtig weniger als jede andere Partei zu fürchten. Umgekehrt:
es kann von ihr mit Sicherheit eine nicht unwesentliche Stärkung seiner
politischen Macht erwarten. So begreift sich, daß in Belgien, in Frank-
reich und anderwärts noch die Klerikalen heute der Forderung des
Frauenwahlrechts im allgemeinen sympathischer gegenüberstehen als die
bürgerlichen Liberalen.

Der nämliche Tatbestand, der das bedingt, erklärt jedoch auch das
andere. Die tiefe Abneigung, welche die bürgerlichen Liberalen, die
Demokraten inbegriffen, gegen die Einführung des Frauenwahlrechts
zumal in Ländern bekunden, wo der Klerikalismus noch die vor-
herrschende oder zum mindesten eine sehr starke Macht ist. Diese Ab-
neigung erweist nicht nur ihre Furcht vor den Klerikalen, sondern sie
ist gleichzeitig auch das Eingeständnis der geringen geistigen Fühlung,
die zwischen den Liberalen und der Frauenwelt der bürgerlichen
Klasse besteht. Fast in allen Ländern des westeuropäischen Konti-
nents haben die bürgerlichen Liberalen ihren „Männerstolz‟ weniger
„vor Königsthronen‟ als gegenüber dem weiblichen Geschlecht geübt,
das sie in der Oeffentlichkeit als Löwen anbrüllen, um dafür im Hause
recht oft als die kläglichsten Meister Zettel demütig unter den Pan-
toffel zu kriechen. Sie haben die Frauen als quantité négligeable
des öffentlichen Lebens behandelt und ihre geistige Rückständigkeit
als Bürgschaft der „Griseldistugend‟ gepflegt und erhalten, welche
dem Philister so bequem ist. Die fanatischsten bürgerlichen Frei-
denker und wütendsten Pfaffenfresser erachten herablassend lächelnd,
daß religiöser Aberglaube ihre Frauen und Töchter wohl ziert,
und sie lassen die Ansätze zu deren geistiger und sozialer Be-
tätigung im Weihrauchduft und Sakristeimoder unter Leitung von
Geistlichen und Betschwestern beider Geschlechter verkümmern. Die
politische Aufklärung und Schulung der bürgerlichen Frauen hat der
bürgerliche Liberalismus geradezu systematisch vernachlässigt, wenn nicht
gar grundsätzlich verfemt. Obschon die bürgerliche Demokratie an der
Wiege des politischen Erwachens der Frauenwelt gestanden ist, hat sie
doch so gut wie nichts für die Erziehung ihres Patenkindes getan. Nicht
mit Unterstützung der Männerwelt ihrer Klasse, vielmehr im Gegensatz
zu dieser und im Kampfe mit ihr hat sich die Sammlung und Schulung
der bürgerlichen Frauen zum Ringen für ihr Bürgerrecht vollzogen. So
trennt heute — von England und zum Teil auch von Skandinavien ab-
gesehen — in der liberalen Bourgeoisie eine breitere Kluft als in jeder
anderen sozialen Schicht das geistige Leben, die politische Gesinnung
der Geschlechter. Und wenn die bürgerlichen Liberalen vor der politischen
Rückständigkeit der Frauen zittern, welche die Macht der unverhüllten
Reaktion und insbesondere des Klerikalismus stärken müsse, so zittern
sie nur vor dem Geschöpf ihrer eigenen Sünde und Schande.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-08-28T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-28T12:13:05Z)

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Zitationshilfe: Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [...]. Berlin, 1907, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/53>, abgerufen am 21.11.2024.