Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Man machte sich auf. Der Knabe und der Actuar trugen die Mäntel und die nöthigsten Sachen. Kaum war die kleine Truppe tausend Schritt durch den Wald gegangen, als sie das Lied hörten: "Ein freies Leben führen wir etc." Man verkroch sich in eine Kiefernschonung und vernahm deutlich, was die Vorübergehenden sprachen:

Der Verräther schläft nicht, sagte Einer, nur aufgepaßt! wir werden den Schuft schon herausbekommen, der den Blutpressern unsere Ankunft verrathen hat! -- Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, der dicke Justizrath muß baumeln, und der Actuar neben ihm! Wie sich die Leute in der Stadt freuten und vors Thor kamen, um uns zu sehen! fiel ein Anderer ein.

Ja, der lange Conducteur konnte schmählich reden. So kann's kein Pastor. Mitbürger! Brüder! Das Morgenroth der Freiheit glänzt am Himmel des deutschen Vaterlandes, -- so fing er an, und dann ging's fort, wie Wasser durch die Schleuse. --

Auch der Müller vom Bruche, äußerte ein Dritter, ist ein ganzer Kerl. Als sie dem Heideläufer zu Leibe wollten, weil dieser der Verräther sein müsse, und ihn schon ans Strick nahmen, fuhr er dazwischen, daß es eine Freude war. Was sagte er doch? Die Freiheit frißt ihre eigenen Kinder oder so etwas, -- und sein Nachbar, der Schmied, warf die Angreifer rechts und links und schrie: ich habe unschuldig gesessen, ich weiß, was unschuldig leiden heißt, ich bürge für den Heide-

Man machte sich auf. Der Knabe und der Actuar trugen die Mäntel und die nöthigsten Sachen. Kaum war die kleine Truppe tausend Schritt durch den Wald gegangen, als sie das Lied hörten: „Ein freies Leben führen wir ꝛc.“ Man verkroch sich in eine Kiefernschonung und vernahm deutlich, was die Vorübergehenden sprachen:

Der Verräther schläft nicht, sagte Einer, nur aufgepaßt! wir werden den Schuft schon herausbekommen, der den Blutpressern unsere Ankunft verrathen hat! — Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, der dicke Justizrath muß baumeln, und der Actuar neben ihm! Wie sich die Leute in der Stadt freuten und vors Thor kamen, um uns zu sehen! fiel ein Anderer ein.

Ja, der lange Conducteur konnte schmählich reden. So kann's kein Pastor. Mitbürger! Brüder! Das Morgenroth der Freiheit glänzt am Himmel des deutschen Vaterlandes, — so fing er an, und dann ging's fort, wie Wasser durch die Schleuse. —

Auch der Müller vom Bruche, äußerte ein Dritter, ist ein ganzer Kerl. Als sie dem Heideläufer zu Leibe wollten, weil dieser der Verräther sein müsse, und ihn schon ans Strick nahmen, fuhr er dazwischen, daß es eine Freude war. Was sagte er doch? Die Freiheit frißt ihre eigenen Kinder oder so etwas, — und sein Nachbar, der Schmied, warf die Angreifer rechts und links und schrie: ich habe unschuldig gesessen, ich weiß, was unschuldig leiden heißt, ich bürge für den Heide-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0047"/>
        <p>Man machte sich auf. Der Knabe und der Actuar trugen die Mäntel und die nöthigsten           Sachen. Kaum war die kleine Truppe tausend Schritt durch den Wald gegangen, als sie das           Lied hörten: &#x201E;Ein freies Leben führen wir &#xA75B;c.&#x201C; Man verkroch sich in eine Kiefernschonung           und vernahm deutlich, was die Vorübergehenden sprachen:</p><lb/>
        <p>Der Verräther schläft nicht, sagte Einer, nur aufgepaßt! wir werden den Schuft schon           herausbekommen, der den Blutpressern unsere Ankunft verrathen hat! &#x2014; Aufgeschoben ist           nicht aufgehoben, der dicke Justizrath muß baumeln, und der Actuar neben ihm! Wie sich die           Leute in der Stadt freuten und vors Thor kamen, um uns zu sehen! fiel ein Anderer ein.</p><lb/>
        <p>Ja, der lange Conducteur konnte schmählich reden. So kann's kein Pastor. Mitbürger!           Brüder! Das Morgenroth der Freiheit glänzt am Himmel des deutschen Vaterlandes, &#x2014; so fing           er an, und dann ging's fort, wie Wasser durch die Schleuse. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Auch der Müller vom Bruche, äußerte ein Dritter, ist ein ganzer Kerl. Als sie dem           Heideläufer zu Leibe wollten, weil dieser der Verräther sein müsse, und ihn schon ans           Strick nahmen, fuhr er dazwischen, daß es eine Freude war. Was sagte er doch? Die Freiheit           frißt ihre eigenen Kinder oder so etwas, &#x2014; und sein Nachbar, der Schmied, warf die           Angreifer rechts und links und schrie: ich habe unschuldig gesessen, ich weiß, was           unschuldig leiden heißt, ich bürge für den Heide-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] Man machte sich auf. Der Knabe und der Actuar trugen die Mäntel und die nöthigsten Sachen. Kaum war die kleine Truppe tausend Schritt durch den Wald gegangen, als sie das Lied hörten: „Ein freies Leben führen wir ꝛc.“ Man verkroch sich in eine Kiefernschonung und vernahm deutlich, was die Vorübergehenden sprachen: Der Verräther schläft nicht, sagte Einer, nur aufgepaßt! wir werden den Schuft schon herausbekommen, der den Blutpressern unsere Ankunft verrathen hat! — Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, der dicke Justizrath muß baumeln, und der Actuar neben ihm! Wie sich die Leute in der Stadt freuten und vors Thor kamen, um uns zu sehen! fiel ein Anderer ein. Ja, der lange Conducteur konnte schmählich reden. So kann's kein Pastor. Mitbürger! Brüder! Das Morgenroth der Freiheit glänzt am Himmel des deutschen Vaterlandes, — so fing er an, und dann ging's fort, wie Wasser durch die Schleuse. — Auch der Müller vom Bruche, äußerte ein Dritter, ist ein ganzer Kerl. Als sie dem Heideläufer zu Leibe wollten, weil dieser der Verräther sein müsse, und ihn schon ans Strick nahmen, fuhr er dazwischen, daß es eine Freude war. Was sagte er doch? Die Freiheit frißt ihre eigenen Kinder oder so etwas, — und sein Nachbar, der Schmied, warf die Angreifer rechts und links und schrie: ich habe unschuldig gesessen, ich weiß, was unschuldig leiden heißt, ich bürge für den Heide-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:10:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:10:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/47
Zitationshilfe: Ziegler, Franz Wilhelm: Saat und Ernte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 129–196. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ziegler_ernte_1910/47>, abgerufen am 21.11.2024.