Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von: Gewisser Grund christlicher Lehre. Leipzig, 1725.Erinnerung an den Leser. Jhn. Jch weiß nicht, ob dir dieses zu Sinn-bilderisch ist; Nimm denn ein deutlicher Exempel: Es stellet dir das Kupffer einen Menschen für, der, nach des Heylands Leh- re, sehr tief graben will; Die Erklärung giebet dir das eröffnete Zimmer, da stehest du Mariam zu JESU Füssen. Meynest du: Martha sey geitzig gewesen, und habe des Bräutigams ihrer Seelen, um ihrer Hauß-Geschäffte willen, vergessen? Du irrest dich; Sie wolte das Lamm GOttes bedienen; Und ich sehe keine Ursache, die- sen Dienst geringer zu schätzen, als wenn du den unsichtbahren JEsum mit deinem Morgen-Abend- und Tisch-Gebete, mit deinem Kirchen-gehen, vielleicht auch dei- nem Allmosen und guten Wercken bedienen wilst. Maria aber hat das beste Theil er- wehlet; nicht, daß durch Faullentzen und Niedersitzen dergleichen erlanget werde, son- dern, daß das Christenthum auf wahrer Erkänntniß und lebendigem Grunde stehet. Maria wuste die rechte Speise des HErrn; und Martha bemühete sich vergeblich. Wenn du also, o lieber Mensch! die rechte Art und das Wesen des Christenthums ein- sehen lernetest; die Erklärung der herrlichen Wor- b 2
Erinnerung an den Leſer. Jhn. Jch weiß nicht, ob dir dieſes zu Sinn-bilderiſch iſt; Nimm denn ein deutlicher Exempel: Es ſtellet dir das Kupffer einen Menſchen fuͤr, der, nach des Heylands Leh- re, ſehr tief graben will; Die Erklaͤrung giebet dir das eroͤffnete Zimmer, da ſteheſt du Mariam zu JESU Fuͤſſen. Meyneſt du: Martha ſey geitzig geweſen, und habe des Braͤutigams ihrer Seelen, um ihrer Hauß-Geſchaͤffte willen, vergeſſen? Du irreſt dich; Sie wolte das Lamm GOttes bedienen; Und ich ſehe keine Urſache, die- ſen Dienſt geringer zu ſchaͤtzen, als wenn du den unſichtbahren JEſum mit deinem Morgen-Abend- und Tiſch-Gebete, mit deinem Kirchen-gehen, vielleicht auch dei- nem Allmoſen und guten Wercken bedienen wilſt. Maria aber hat das beſte Theil er- wehlet; nicht, daß durch Faullentzen und Niederſitzen dergleichen erlanget werde, ſon- dern, daß das Chriſtenthum auf wahrer Erkaͤnntniß und lebendigem Grunde ſtehet. Maria wuſte die rechte Speiſe des HErrn; und Martha bemuͤhete ſich vergeblich. Wenn du alſo, o lieber Menſch! die rechte Art und das Weſen des Chriſtenthums ein- ſehen lerneteſt; die Erklaͤrung der herrlichen Wor- b 2
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Erinnerung an den Leſer.
Jhn. Jch weiß nicht, ob dir dieſes zu Sinn-
bilderiſch iſt; Nimm denn ein deutlicher
Exempel: Es ſtellet dir das Kupffer einen
Menſchen fuͤr, der, nach des Heylands Leh-
re, ſehr tief graben will; Die Erklaͤrung
giebet dir das eroͤffnete Zimmer, da ſteheſt
du Mariam zu JESU Fuͤſſen. Meyneſt
du: Martha ſey geitzig geweſen, und habe
des Braͤutigams ihrer Seelen, um ihrer
Hauß-Geſchaͤffte willen, vergeſſen? Du
irreſt dich; Sie wolte das Lamm GOttes
bedienen; Und ich ſehe keine Urſache, die-
ſen Dienſt geringer zu ſchaͤtzen, als wenn
du den unſichtbahren JEſum mit deinem
Morgen-Abend- und Tiſch-Gebete, mit
deinem Kirchen-gehen, vielleicht auch dei-
nem Allmoſen und guten Wercken bedienen
wilſt. Maria aber hat das beſte Theil er-
wehlet; nicht, daß durch Faullentzen und
Niederſitzen dergleichen erlanget werde, ſon-
dern, daß das Chriſtenthum auf wahrer
Erkaͤnntniß und lebendigem Grunde ſtehet.
Maria wuſte die rechte Speiſe des HErrn;
und Martha bemuͤhete ſich vergeblich.
Wenn du alſo, o lieber Menſch! die rechte
Art und das Weſen des Chriſtenthums ein-
ſehen lerneteſt; die Erklaͤrung der herrlichen
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