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Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.

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1721.
XIII. Sehnliche Gedancken am 72sten Ge-
burts-Tage der Frau Groß-Mutter.
Komm Ewigkeit Jnbegriff innigster Wonne,
Bestrahle und heitere unser Gemüth:
Erscheine, du helle durchdringende Sonne,
Darunter der Seegen erwächset und blüth:
Wir schauen mit Sehnen,
Erwarten mit Thränen
Auf deine unendliche Klarheit und Gläntzen,
Und wallen mit Wehmuth in irrdischen Gräntzen.
Die Arbeit der Sünden macht Krafft-loß und müde:
Wie wird sie uns sauer die fleischliche Last!
Wie süsse hingegen, wie schöne klingst: Friede!
Und Ruhe von Arbeit und ewige Rast!
O seelige Schaaren,
Die dahin gefahren,
Wo Christi Verlobte mit edlen Geschmeiden
Und köstlichem Schmucke im Rosen-Busch weiden.
Verlauffet, ihr Zeiten, verschwindet, ihr Stunden,
Macht unserem Bräutigam Bahne und Platz;
Wir haben den Ausgang des Jammerthals funden;
Wir graben nach einem verborgenen Schatz.
Die Nacht hindurch sorgen
Wir nur auf den Morgen.
Ach! käme derselbe, was würde uns qvälen?
Was würde uns mehr an der Seeligkeit fehlen?
Wohlan denn, Geliebter, du wirst ja erscheinen,
Dein Seiger geht langsam; so zeige dich doch!
Schau nun nach den Frommen, erfreue die Deinen;
Sie hassen die Welt-Lust, sie lieben dein Joch.
Befeuchte den Garten:
Er kan nicht mehr warten:
Die Mitternacht nahet: wir hoffen mit Schmertzen;
Die Lampen sind fertig: auch brennen die Kertzen.
Wir hören Dich, Liebster; Du heissest uns warten:
Man lauffet dir niemahls mit Förderung vor:
Doch
1721.
XIII. Sehnliche Gedancken am 72ſten Ge-
burts-Tage der Frau Groß-Mutter.
Komm Ewigkeit Jnbegriff innigſter Wonne,
Beſtrahle und heitere unſer Gemuͤth:
Erſcheine, du helle durchdringende Sonne,
Darunter der Seegen erwaͤchſet und bluͤth:
Wir ſchauen mit Sehnen,
Erwarten mit Thraͤnen
Auf deine unendliche Klarheit und Glaͤntzen,
Und wallen mit Wehmuth in irrdiſchen Graͤntzen.
Die Arbeit der Suͤnden macht Krafft-loß und muͤde:
Wie wird ſie uns ſauer die fleiſchliche Laſt!
Wie ſuͤſſe hingegen, wie ſchoͤne klingſt: Friede!
Und Ruhe von Arbeit und ewige Raſt!
O ſeelige Schaaren,
Die dahin gefahren,
Wo Chriſti Verlobte mit edlen Geſchmeiden
Und koͤſtlichem Schmucke im Roſen-Buſch weiden.
Verlauffet, ihr Zeiten, verſchwindet, ihr Stunden,
Macht unſerem Braͤutigam Bahne und Platz;
Wir haben den Ausgang des Jammerthals funden;
Wir graben nach einem verborgenen Schatz.
Die Nacht hindurch ſorgen
Wir nur auf den Morgen.
Ach! kaͤme derſelbe, was wuͤrde uns qvaͤlen?
Was wuͤrde uns mehr an der Seeligkeit fehlen?
Wohlan denn, Geliebter, du wirſt ja erſcheinen,
Dein Seiger geht langſam; ſo zeige dich doch!
Schau nun nach den Frommen, erfreue die Deinen;
Sie haſſen die Welt-Luſt, ſie lieben dein Joch.
Befeuchte den Garten:
Er kan nicht mehr warten:
Die Mitternacht nahet: wir hoffen mit Schmertzen;
Die Lampen ſind fertig: auch brennen die Kertzen.
Wir hoͤren Dich, Liebſter; Du heiſſeſt uns warten:
Man lauffet dir niemahls mit Foͤrderung vor:
Doch
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[24/0034] 1721. XIII. Sehnliche Gedancken am 72ſten Ge- burts-Tage der Frau Groß-Mutter. Komm Ewigkeit Jnbegriff innigſter Wonne, Beſtrahle und heitere unſer Gemuͤth: Erſcheine, du helle durchdringende Sonne, Darunter der Seegen erwaͤchſet und bluͤth: Wir ſchauen mit Sehnen, Erwarten mit Thraͤnen Auf deine unendliche Klarheit und Glaͤntzen, Und wallen mit Wehmuth in irrdiſchen Graͤntzen. Die Arbeit der Suͤnden macht Krafft-loß und muͤde: Wie wird ſie uns ſauer die fleiſchliche Laſt! Wie ſuͤſſe hingegen, wie ſchoͤne klingſt: Friede! Und Ruhe von Arbeit und ewige Raſt! O ſeelige Schaaren, Die dahin gefahren, Wo Chriſti Verlobte mit edlen Geſchmeiden Und koͤſtlichem Schmucke im Roſen-Buſch weiden. Verlauffet, ihr Zeiten, verſchwindet, ihr Stunden, Macht unſerem Braͤutigam Bahne und Platz; Wir haben den Ausgang des Jammerthals funden; Wir graben nach einem verborgenen Schatz. Die Nacht hindurch ſorgen Wir nur auf den Morgen. Ach! kaͤme derſelbe, was wuͤrde uns qvaͤlen? Was wuͤrde uns mehr an der Seeligkeit fehlen? Wohlan denn, Geliebter, du wirſt ja erſcheinen, Dein Seiger geht langſam; ſo zeige dich doch! Schau nun nach den Frommen, erfreue die Deinen; Sie haſſen die Welt-Luſt, ſie lieben dein Joch. Befeuchte den Garten: Er kan nicht mehr warten: Die Mitternacht nahet: wir hoffen mit Schmertzen; Die Lampen ſind fertig: auch brennen die Kertzen. Wir hoͤren Dich, Liebſter; Du heiſſeſt uns warten: Man lauffet dir niemahls mit Foͤrderung vor: Doch

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Zitationshilfe: Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/34>, abgerufen am 20.04.2024.