Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.1723. Warum ist unser Aug auf euer Nu gewandt, Davon der meiste Theil bereits dahin gerannt? Wie, blickt es nicht vielmehr ins Jnnerste der Seelen, Wo mit der Ewigkeit die Blicke sich vermählen? Es ist wol eines Theils des trägen Fleisches Schuld, Das beuget seinen Hals nicht unter die Gedult, Die nach der Liebe Rath so selig ist, so süsse, Und machet, daß das Kind die Hand des Vaters küsse. Wie aber unser Freund des Fleisches Blödigkeit Genugsam eingesehn, gefühlt zu seiner Zeit; So dringt ihn alles diß zu hertzlichem Erbarmen: Die Schwachheit träget er auf seinen starcken Armen. Wie selig muß nicht oft die tiefste Trauer seyn! Es gehe nur das Hertz recht in den Zweck hinein; Sonst muß ein leichter Mensch uns mit dem Wandel sagen: Warum der grosse GOtt so tief, so wund geschlagen? Wenn so ein laues Hertz durch lange Heucheley Die Menschen glauben macht, als ob es redlich sey, Und dann die Crone erst vom Haupte abgefallen; So zeigt, so blösset sich der Larve Schmach vor allen. Sie, die ihr redlichs Hertz zu JEsu jedermann, So vor als nach der Eh' in Christo kund gethan! Erlaube, (ob ich ihr die Trauer nicht verdencke,) Daß ich ihr einen Trost aus JEsu Wunden schencke. Der ists: Jhr Bräutigam ruft seinen Knecht dahin, Und sättigt den nach ihm hier ausgespannten Sinn; Jhr nimmt er das hinweg, was ihre Augen lieben, Damit sie sich nur bloß an seiner Schönheit üben. Darf aber, oder soll vielmehr mein schwacher Kiel, Jn dieser kurtzen Schrift und enger Reime Ziel, Das Angedencken noch von ihrem Herrn berühren, Und wessenthalben mag ich ihn so späte führen? Gewiß, ich darf, ich soll: Er war des HErren Knecht: Von deren Ende schreibt und rühmet man mit Recht: Und weil man hier davon nicht allzuviel vernommen, So bin ich wohlgemeint auf dieses Denckmahl kommen. Der
1723. Warum iſt unſer Aug auf euer Nu gewandt, Davon der meiſte Theil bereits dahin gerannt? Wie, blickt es nicht vielmehr ins Jnnerſte der Seelen, Wo mit der Ewigkeit die Blicke ſich vermaͤhlen? Es iſt wol eines Theils des traͤgen Fleiſches Schuld, Das beuget ſeinen Hals nicht unter die Gedult, Die nach der Liebe Rath ſo ſelig iſt, ſo ſuͤſſe, Und machet, daß das Kind die Hand des Vaters kuͤſſe. Wie aber unſer Freund des Fleiſches Bloͤdigkeit Genugſam eingeſehn, gefuͤhlt zu ſeiner Zeit; So dringt ihn alles diß zu hertzlichem Erbarmen: Die Schwachheit traͤget er auf ſeinen ſtarcken Armen. Wie ſelig muß nicht oft die tiefſte Trauer ſeyn! Es gehe nur das Hertz recht in den Zweck hinein; Sonſt muß ein leichter Menſch uns mit dem Wandel ſagen: Warum der groſſe GOtt ſo tief, ſo wund geſchlagen? Wenn ſo ein laues Hertz durch lange Heucheley Die Menſchen glauben macht, als ob es redlich ſey, Und dann die Crone erſt vom Haupte abgefallen; So zeigt, ſo bloͤſſet ſich der Larve Schmach vor allen. Sie, die ihr redlichs Hertz zu JEſu jedermann, So vor als nach der Eh’ in Chriſto kund gethan! Erlaube, (ob ich ihr die Trauer nicht verdencke,) Daß ich ihr einen Troſt aus JEſu Wunden ſchencke. Der iſts: Jhr Braͤutigam ruft ſeinen Knecht dahin, Und ſaͤttigt den nach ihm hier ausgeſpannten Sinn; Jhr nimmt er das hinweg, was ihre Augen lieben, Damit ſie ſich nur bloß an ſeiner Schoͤnheit uͤben. Darf aber, oder ſoll vielmehr mein ſchwacher Kiel, Jn dieſer kurtzen Schrift und enger Reime Ziel, Das Angedencken noch von ihrem Herrn beruͤhren, Und weſſenthalben mag ich ihn ſo ſpaͤte fuͤhren? Gewiß, ich darf, ich ſoll: Er war des HErren Knecht: Von deren Ende ſchreibt und ruͤhmet man mit Recht: Und weil man hier davon nicht allzuviel vernommen, So bin ich wohlgemeint auf dieſes Denckmahl kommen. Der
<TEI> <text> <body> <div> <lg type="poem"> <pb facs="#f0072" n="62"/> <fw place="top" type="header">1723.</fw><lb/> <lg n="25"> <l>Warum iſt unſer Aug auf euer <hi rendition="#fr">Nu</hi> gewandt,</l><lb/> <l>Davon der meiſte Theil bereits dahin gerannt?</l><lb/> <l>Wie, blickt es nicht vielmehr ins Jnnerſte der Seelen,</l><lb/> <l>Wo mit der Ewigkeit die Blicke ſich vermaͤhlen?</l> </lg><lb/> <lg n="26"> <l>Es iſt wol eines Theils des traͤgen Fleiſches Schuld,</l><lb/> <l>Das beuget ſeinen Hals nicht unter die Gedult,</l><lb/> <l>Die nach der Liebe Rath ſo ſelig iſt, ſo ſuͤſſe,</l><lb/> <l>Und machet, daß das Kind die Hand des Vaters kuͤſſe.</l> </lg><lb/> <lg n="27"> <l>Wie aber <hi rendition="#fr">unſer Freund</hi> des Fleiſches Bloͤdigkeit</l><lb/> <l>Genugſam eingeſehn, gefuͤhlt zu ſeiner Zeit;</l><lb/> <l>So dringt ihn alles diß zu hertzlichem Erbarmen:</l><lb/> <l>Die Schwachheit traͤget er auf ſeinen ſtarcken Armen.</l> </lg><lb/> <lg n="28"> <l>Wie ſelig muß nicht oft die tiefſte Trauer ſeyn!</l><lb/> <l>Es gehe nur das Hertz recht in den Zweck hinein;</l><lb/> <l>Sonſt muß ein leichter Menſch uns mit dem Wandel ſagen:</l><lb/> <l>Warum der groſſe GOtt ſo tief, ſo wund geſchlagen?</l> </lg><lb/> <lg n="29"> <l>Wenn ſo ein laues Hertz durch lange Heucheley</l><lb/> <l>Die Menſchen glauben macht, als ob es redlich ſey,</l><lb/> <l>Und dann die Crone erſt vom Haupte abgefallen;</l><lb/> <l>So zeigt, ſo bloͤſſet ſich der Larve Schmach vor allen.</l> </lg><lb/> <lg n="30"> <l><hi rendition="#fr">Sie,</hi> die ihr redlichs Hertz zu JEſu jedermann,</l><lb/> <l>So vor als nach der Eh’ in Chriſto kund gethan!</l><lb/> <l>Erlaube, (ob ich ihr die Trauer nicht verdencke,)</l><lb/> <l>Daß ich ihr einen <hi rendition="#fr">Troſt</hi> aus JEſu Wunden ſchencke.</l> </lg><lb/> <lg n="31"> <l>Der iſts: <hi rendition="#fr">Jhr Braͤutigam ruft ſeinen Knecht dahin,</hi></l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Und ſaͤttigt den nach ihm hier ausgeſpannten Sinn;</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Jhr nimmt er das hinweg, was ihre Augen lieben,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Damit ſie ſich nur bloß an ſeiner Schoͤnheit uͤben.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="32"> <l><hi rendition="#fr">Darf</hi> aber, oder <hi rendition="#fr">ſoll vielmehr</hi> mein ſchwacher Kiel,</l><lb/> <l>Jn dieſer kurtzen Schrift und enger Reime Ziel,</l><lb/> <l>Das Angedencken noch von ihrem Herrn beruͤhren,</l><lb/> <l>Und weſſenthalben mag ich ihn ſo ſpaͤte fuͤhren?</l> </lg><lb/> <lg n="33"> <l>Gewiß, <hi rendition="#fr">ich darf, ich ſoll:</hi> Er war des HErren Knecht:</l><lb/> <l>Von deren Ende ſchreibt und ruͤhmet man mit Recht:</l><lb/> <l>Und weil man hier davon nicht allzuviel vernommen,</l><lb/> <l>So bin ich wohlgemeint auf dieſes Denckmahl kommen.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [62/0072]
1723.
Warum iſt unſer Aug auf euer Nu gewandt,
Davon der meiſte Theil bereits dahin gerannt?
Wie, blickt es nicht vielmehr ins Jnnerſte der Seelen,
Wo mit der Ewigkeit die Blicke ſich vermaͤhlen?
Es iſt wol eines Theils des traͤgen Fleiſches Schuld,
Das beuget ſeinen Hals nicht unter die Gedult,
Die nach der Liebe Rath ſo ſelig iſt, ſo ſuͤſſe,
Und machet, daß das Kind die Hand des Vaters kuͤſſe.
Wie aber unſer Freund des Fleiſches Bloͤdigkeit
Genugſam eingeſehn, gefuͤhlt zu ſeiner Zeit;
So dringt ihn alles diß zu hertzlichem Erbarmen:
Die Schwachheit traͤget er auf ſeinen ſtarcken Armen.
Wie ſelig muß nicht oft die tiefſte Trauer ſeyn!
Es gehe nur das Hertz recht in den Zweck hinein;
Sonſt muß ein leichter Menſch uns mit dem Wandel ſagen:
Warum der groſſe GOtt ſo tief, ſo wund geſchlagen?
Wenn ſo ein laues Hertz durch lange Heucheley
Die Menſchen glauben macht, als ob es redlich ſey,
Und dann die Crone erſt vom Haupte abgefallen;
So zeigt, ſo bloͤſſet ſich der Larve Schmach vor allen.
Sie, die ihr redlichs Hertz zu JEſu jedermann,
So vor als nach der Eh’ in Chriſto kund gethan!
Erlaube, (ob ich ihr die Trauer nicht verdencke,)
Daß ich ihr einen Troſt aus JEſu Wunden ſchencke.
Der iſts: Jhr Braͤutigam ruft ſeinen Knecht dahin,
Und ſaͤttigt den nach ihm hier ausgeſpannten Sinn;
Jhr nimmt er das hinweg, was ihre Augen lieben,
Damit ſie ſich nur bloß an ſeiner Schoͤnheit uͤben.
Darf aber, oder ſoll vielmehr mein ſchwacher Kiel,
Jn dieſer kurtzen Schrift und enger Reime Ziel,
Das Angedencken noch von ihrem Herrn beruͤhren,
Und weſſenthalben mag ich ihn ſo ſpaͤte fuͤhren?
Gewiß, ich darf, ich ſoll: Er war des HErren Knecht:
Von deren Ende ſchreibt und ruͤhmet man mit Recht:
Und weil man hier davon nicht allzuviel vernommen,
So bin ich wohlgemeint auf dieſes Denckmahl kommen.
Der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |