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Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735.

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1724.

Bereiten hier doch nichts als blauen Dunst.
Man komme nur erst an des Todes Thor,
Und säe da die Spreu Philosophie;

So erndtet man gewiß vergebne Müh,
Der Einfalt kommt das Werck gantz leichte vor.

Spricht die Vernunft: Daß solches daran liege,
Weil so ein Kind noch keine Schlüsse macht;
Es würde sonst zu einem solchen Siege,
Nicht also leicht und spielende gebracht:
Wohlan! so sey, o Vater! hochgelobt,
Daß du den Preiß der Einfalt aufgestellt;
Wir geben sie nicht um die gantze Welt,
Die Einfalt ruht, wenn der Vernunft-Sturm tobt.
Drum mögen dir die Eltern kühnlich sagen,
Was sich, dafür, daß sie ihr einig Kind,
Dir williglich in deinen Schooß getragen,
Jn ihrem Geist vor ein Verlangen find:
Sie wünschen sich auf ihrer Pilger-Bahn,
(Da du nunmehr dem Kindlein alles bist,)
Du bändest sie, weils ihm nicht nöthig ist,
Mit seinem Sinn, zum Angedencken an.
Sie wollen es von deiner Treue hoffen,
(Du bist so gut und hörst auf stilles Schreyn,)

Und hat ihr Wunsch zum Ziele eingetroffen:
So gehen sie in deine Ruhe ein.
Sie mögen denn, so lange als du wilt,
Jm Jammer-Karrn an deinen Seilen ziehn;
Sie werden dir nicht aus der Schule fliehn:
Vollende sie, zu deinem Ebenbild.
Du aber geh und ruhe: Sohn der Rechten,
Auch dein Gebein soll grünen, da es liegt;
GOtt, lehre uns so still, so sicher fechten.
Du hast gekämpft, bevor du obgesiegt.
Dein Klage-Lied, und unser Lied ist aus.
So lobe denn. Doch bist du noch zu matt:
So trinck dich vor an JEsu Fülle satt;
Und denn so werd ein ewigs Lied daraus:
XXXIII.

1724.

Bereiten hier doch nichts als blauen Dunſt.
Man komme nur erſt an des Todes Thor,
Und ſaͤe da die Spreu Philoſophie;

So erndtet man gewiß vergebne Muͤh,
Der Einfalt kommt das Werck gantz leichte vor.

Spricht die Vernunft: Daß ſolches daran liege,
Weil ſo ein Kind noch keine Schluͤſſe macht;
Es wuͤrde ſonſt zu einem ſolchen Siege,
Nicht alſo leicht und ſpielende gebracht:
Wohlan! ſo ſey, o Vater! hochgelobt,
Daß du den Preiß der Einfalt aufgeſtellt;
Wir geben ſie nicht um die gantze Welt,
Die Einfalt ruht, wenn der Vernunft-Sturm tobt.
Drum moͤgen dir die Eltern kuͤhnlich ſagen,
Was ſich, dafuͤr, daß ſie ihr einig Kind,
Dir williglich in deinen Schooß getragen,
Jn ihrem Geiſt vor ein Verlangen find:
Sie wuͤnſchen ſich auf ihrer Pilger-Bahn,
(Da du nunmehr dem Kindlein alles biſt,)
Du baͤndeſt ſie, weils ihm nicht noͤthig iſt,
Mit ſeinem Sinn, zum Angedencken an.
Sie wollen es von deiner Treue hoffen,
(Du biſt ſo gut und hoͤrſt auf ſtilles Schreyn,)

Und hat ihr Wunſch zum Ziele eingetroffen:
So gehen ſie in deine Ruhe ein.
Sie moͤgen denn, ſo lange als du wilt,
Jm Jammer-Karrn an deinen Seilen ziehn;
Sie werden dir nicht aus der Schule fliehn:
Vollende ſie, zu deinem Ebenbild.
Du aber geh und ruhe: Sohn der Rechten,
Auch dein Gebein ſoll gruͤnen, da es liegt;
GOtt, lehre uns ſo ſtill, ſo ſicher fechten.
Du haſt gekaͤmpft, bevor du obgeſiegt.
Dein Klage-Lied, und unſer Lied iſt aus.
So lobe denn. Doch biſt du noch zu matt:
So trinck dich vor an JEſu Fuͤlle ſatt;
Und denn ſo werd ein ewigs Lied daraus:
XXXIII.
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[80/0090] 1724. Bereiten hier doch nichts als blauen Dunſt. Man komme nur erſt an des Todes Thor, Und ſaͤe da die Spreu Philoſophie; So erndtet man gewiß vergebne Muͤh, Der Einfalt kommt das Werck gantz leichte vor. Spricht die Vernunft: Daß ſolches daran liege, Weil ſo ein Kind noch keine Schluͤſſe macht; Es wuͤrde ſonſt zu einem ſolchen Siege, Nicht alſo leicht und ſpielende gebracht: Wohlan! ſo ſey, o Vater! hochgelobt, Daß du den Preiß der Einfalt aufgeſtellt; Wir geben ſie nicht um die gantze Welt, Die Einfalt ruht, wenn der Vernunft-Sturm tobt. Drum moͤgen dir die Eltern kuͤhnlich ſagen, Was ſich, dafuͤr, daß ſie ihr einig Kind, Dir williglich in deinen Schooß getragen, Jn ihrem Geiſt vor ein Verlangen find: Sie wuͤnſchen ſich auf ihrer Pilger-Bahn, (Da du nunmehr dem Kindlein alles biſt,) Du baͤndeſt ſie, weils ihm nicht noͤthig iſt, Mit ſeinem Sinn, zum Angedencken an. Sie wollen es von deiner Treue hoffen, (Du biſt ſo gut und hoͤrſt auf ſtilles Schreyn,) Und hat ihr Wunſch zum Ziele eingetroffen: So gehen ſie in deine Ruhe ein. Sie moͤgen denn, ſo lange als du wilt, Jm Jammer-Karrn an deinen Seilen ziehn; Sie werden dir nicht aus der Schule fliehn: Vollende ſie, zu deinem Ebenbild. Du aber geh und ruhe: Sohn der Rechten, Auch dein Gebein ſoll gruͤnen, da es liegt; GOtt, lehre uns ſo ſtill, ſo ſicher fechten. Du haſt gekaͤmpft, bevor du obgeſiegt. Dein Klage-Lied, und unſer Lied iſt aus. So lobe denn. Doch biſt du noch zu matt: So trinck dich vor an JEſu Fuͤlle ſatt; Und denn ſo werd ein ewigs Lied daraus: XXXIII.

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Zitationshilfe: Zinzendorf, Nicolaus Ludwig von: Teutscher Gedichte Erster Theil. Herrnhuth, 1735, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zinzendorf_gedichte_1735/90>, abgerufen am 29.04.2024.