Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.III. Die Traditionen des Heidenthums. frühesten Geschlechter, an eine absteigende Folge der Zeitalter, einegroße Fluth etc. kann schwerlich so beurtheilt werden, wie das Vor- kommen grünlicher und gelblicher Nephrit- und Jadeit-Werkzeuge bei den Völkern fast aller Welttheile, oder wie die ähnlichen Phänomene einer Jdentität gewisser Lieblingsgeräthe, abergläubiger Sitten, Cere- monien etc. bei Stämmen der verschiedensten Art. Jene mythologi- schen Parallelen mit ihren auffallend bestimmten Anklängen an die biblische Urgeschichte haben denn doch etwas Anderes zu bedeuten, als das gleichzeitige und wohl von einander unabhängige Vorkommen heiliger Steinkreise (Cromlechs), Felsentische (Dolmen) und Stein- pfeiler (Menhirs) im celtischen Westeuropa, in Nordafrika und in Hinterindien; oder als die analoge sporadische Wiederkehr solcher Gebräuche wie das Nägeleinschlagen in Unglücksbäume und sonstige Beschwörungs- und Behexungsriten, das sitzende Begraben der Todten, das Trinken aus Schädelbechern, das Spitzfeilen der Zähne u. dgl. m. Die Vorliebe für diejenige Auffassung dieser "ethnographischen Pa- rallelen", welche dieselben als völlig unabhängig voneinander ent- standen denkt, unter möglichstem Ausschlusse jeder "Entlehnungs- Hypothese", ist dermalen weit genug verbreitet;1) es mag ihr auch, abgesehen von einer Reihe von Fällen, wo sie sich notorisch einer Competenz-Ueberschreitung schuldig macht (vgl. darüber unten) eine gewisse beschränkte Wahrheit zuzugestehen sein, namentlich betreffs solcher Sitten wie die zuletzerwähnten. Dagegen jedoch, daß man diese Betrachtungsweise ohne Weiteres auch auf den uns beschäfti- genden Complex urzeitlicher Sagen ausdehne, müssen wir, und zwar nicht blos auf Grund unsres Glaubens an die Schrift sondern auch aus wissenschaftlichen Gründen, entschieden protestiren. Es handelt sich hier nicht um bloße "Geschichten" oder Schwänke, gleich den nordamerikanischen Jndianermythen über Schöpfung etc. oder gleich sonstigen Einfällen mäßigen Phantasirens roher Naturvölker; auch 1) Vgl. besonders Rich. Andree, Ethnographische Parallelen und Ver-
gleiche. Stuttgart 1878. Auch verschiedne Aufsätze im "Globus", z. B. 1879, S. 288. III. Die Traditionen des Heidenthums. früheſten Geſchlechter, an eine abſteigende Folge der Zeitalter, einegroße Fluth ꝛc. kann ſchwerlich ſo beurtheilt werden, wie das Vor- kommen grünlicher und gelblicher Nephrit- und Jadeït-Werkzeuge bei den Völkern faſt aller Welttheile, oder wie die ähnlichen Phänomene einer Jdentität gewiſſer Lieblingsgeräthe, abergläubiger Sitten, Cere- monien ꝛc. bei Stämmen der verſchiedenſten Art. Jene mythologi- ſchen Parallelen mit ihren auffallend beſtimmten Anklängen an die bibliſche Urgeſchichte haben denn doch etwas Anderes zu bedeuten, als das gleichzeitige und wohl von einander unabhängige Vorkommen heiliger Steinkreiſe (Cromlechs), Felſentiſche (Dolmen) und Stein- pfeiler (Menhirs) im celtiſchen Weſteuropa, in Nordafrika und in Hinterindien; oder als die analoge ſporadiſche Wiederkehr ſolcher Gebräuche wie das Nägeleinſchlagen in Unglücksbäume und ſonſtige Beſchwörungs- und Behexungsriten, das ſitzende Begraben der Todten, das Trinken aus Schädelbechern, das Spitzfeilen der Zähne u. dgl. m. Die Vorliebe für diejenige Auffaſſung dieſer „ethnographiſchen Pa- rallelen‟, welche dieſelben als völlig unabhängig voneinander ent- ſtanden denkt, unter möglichſtem Ausſchluſſe jeder „Entlehnungs- Hypotheſe‟, iſt dermalen weit genug verbreitet;1) es mag ihr auch, abgeſehen von einer Reihe von Fällen, wo ſie ſich notoriſch einer Competenz-Ueberſchreitung ſchuldig macht (vgl. darüber unten) eine gewiſſe beſchränkte Wahrheit zuzugeſtehen ſein, namentlich betreffs ſolcher Sitten wie die zuletzerwähnten. Dagegen jedoch, daß man dieſe Betrachtungsweiſe ohne Weiteres auch auf den uns beſchäfti- genden Complex urzeitlicher Sagen ausdehne, müſſen wir, und zwar nicht blos auf Grund unſres Glaubens an die Schrift ſondern auch aus wiſſenſchaftlichen Gründen, entſchieden proteſtiren. Es handelt ſich hier nicht um bloße „Geſchichten‟ oder Schwänke, gleich den nordamerikaniſchen Jndianermythen über Schöpfung ꝛc. oder gleich ſonſtigen Einfällen mäßigen Phantaſirens roher Naturvölker; auch 1) Vgl. beſonders Rich. Andree, Ethnographiſche Parallelen und Ver-
gleiche. Stuttgart 1878. Auch verſchiedne Aufſätze im „Globus‟, z. B. 1879, S. 288. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0117" n="107"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> Die Traditionen des Heidenthums.</fw><lb/> früheſten Geſchlechter, an eine abſteigende Folge der Zeitalter, eine<lb/> große Fluth ꝛc. kann ſchwerlich ſo beurtheilt werden, wie das Vor-<lb/> kommen grünlicher und gelblicher Nephrit- und Jade<hi rendition="#aq">ï</hi>t-Werkzeuge bei<lb/> den Völkern faſt aller Welttheile, oder wie die ähnlichen Phänomene<lb/> einer Jdentität gewiſſer Lieblingsgeräthe, abergläubiger Sitten, Cere-<lb/> monien ꝛc. bei Stämmen der verſchiedenſten Art. Jene mythologi-<lb/> ſchen Parallelen mit ihren auffallend beſtimmten Anklängen an die<lb/> bibliſche Urgeſchichte haben denn doch etwas Anderes zu bedeuten,<lb/> als das gleichzeitige und wohl von einander unabhängige Vorkommen<lb/> heiliger Steinkreiſe (Cromlechs), Felſentiſche (Dolmen) und Stein-<lb/> pfeiler (Menhirs) im celtiſchen Weſteuropa, in Nordafrika und in<lb/> Hinterindien; oder als die analoge ſporadiſche Wiederkehr ſolcher<lb/> Gebräuche wie das Nägeleinſchlagen in Unglücksbäume und ſonſtige<lb/> Beſchwörungs- und Behexungsriten, das ſitzende Begraben der Todten,<lb/> das Trinken aus Schädelbechern, das Spitzfeilen der Zähne u. dgl. m.<lb/> Die Vorliebe für diejenige Auffaſſung dieſer „ethnographiſchen Pa-<lb/> rallelen‟, welche dieſelben als völlig unabhängig voneinander ent-<lb/> ſtanden denkt, unter möglichſtem Ausſchluſſe jeder „Entlehnungs-<lb/> Hypotheſe‟, iſt dermalen weit genug verbreitet;<note place="foot" n="1)">Vgl. beſonders <hi rendition="#g">Rich. Andree,</hi> Ethnographiſche Parallelen und Ver-<lb/> gleiche. Stuttgart 1878. Auch verſchiedne Aufſätze im „Globus‟, z. B. 1879,<lb/> S. 288.</note> es mag ihr auch,<lb/> abgeſehen von einer Reihe von Fällen, wo ſie ſich notoriſch einer<lb/> Competenz-Ueberſchreitung ſchuldig macht (vgl. darüber unten) eine<lb/> gewiſſe beſchränkte Wahrheit zuzugeſtehen ſein, namentlich betreffs<lb/> ſolcher Sitten wie die zuletzerwähnten. Dagegen jedoch, daß man<lb/> dieſe Betrachtungsweiſe ohne Weiteres auch auf den uns beſchäfti-<lb/> genden Complex urzeitlicher Sagen ausdehne, müſſen wir, und zwar<lb/> nicht blos auf Grund unſres Glaubens an die Schrift ſondern auch<lb/> aus wiſſenſchaftlichen Gründen, entſchieden proteſtiren. Es handelt<lb/> ſich hier nicht um bloße „Geſchichten‟ oder Schwänke, gleich den<lb/> nordamerikaniſchen Jndianermythen über Schöpfung ꝛc. oder gleich<lb/> ſonſtigen Einfällen mäßigen Phantaſirens roher Naturvölker; auch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [107/0117]
III. Die Traditionen des Heidenthums.
früheſten Geſchlechter, an eine abſteigende Folge der Zeitalter, eine
große Fluth ꝛc. kann ſchwerlich ſo beurtheilt werden, wie das Vor-
kommen grünlicher und gelblicher Nephrit- und Jadeït-Werkzeuge bei
den Völkern faſt aller Welttheile, oder wie die ähnlichen Phänomene
einer Jdentität gewiſſer Lieblingsgeräthe, abergläubiger Sitten, Cere-
monien ꝛc. bei Stämmen der verſchiedenſten Art. Jene mythologi-
ſchen Parallelen mit ihren auffallend beſtimmten Anklängen an die
bibliſche Urgeſchichte haben denn doch etwas Anderes zu bedeuten,
als das gleichzeitige und wohl von einander unabhängige Vorkommen
heiliger Steinkreiſe (Cromlechs), Felſentiſche (Dolmen) und Stein-
pfeiler (Menhirs) im celtiſchen Weſteuropa, in Nordafrika und in
Hinterindien; oder als die analoge ſporadiſche Wiederkehr ſolcher
Gebräuche wie das Nägeleinſchlagen in Unglücksbäume und ſonſtige
Beſchwörungs- und Behexungsriten, das ſitzende Begraben der Todten,
das Trinken aus Schädelbechern, das Spitzfeilen der Zähne u. dgl. m.
Die Vorliebe für diejenige Auffaſſung dieſer „ethnographiſchen Pa-
rallelen‟, welche dieſelben als völlig unabhängig voneinander ent-
ſtanden denkt, unter möglichſtem Ausſchluſſe jeder „Entlehnungs-
Hypotheſe‟, iſt dermalen weit genug verbreitet; 1) es mag ihr auch,
abgeſehen von einer Reihe von Fällen, wo ſie ſich notoriſch einer
Competenz-Ueberſchreitung ſchuldig macht (vgl. darüber unten) eine
gewiſſe beſchränkte Wahrheit zuzugeſtehen ſein, namentlich betreffs
ſolcher Sitten wie die zuletzerwähnten. Dagegen jedoch, daß man
dieſe Betrachtungsweiſe ohne Weiteres auch auf den uns beſchäfti-
genden Complex urzeitlicher Sagen ausdehne, müſſen wir, und zwar
nicht blos auf Grund unſres Glaubens an die Schrift ſondern auch
aus wiſſenſchaftlichen Gründen, entſchieden proteſtiren. Es handelt
ſich hier nicht um bloße „Geſchichten‟ oder Schwänke, gleich den
nordamerikaniſchen Jndianermythen über Schöpfung ꝛc. oder gleich
ſonſtigen Einfällen mäßigen Phantaſirens roher Naturvölker; auch
1) Vgl. beſonders Rich. Andree, Ethnographiſche Parallelen und Ver-
gleiche. Stuttgart 1878. Auch verſchiedne Aufſätze im „Globus‟, z. B. 1879,
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