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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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IV. Die Opposition des modernen Naturalismus.
lung einen rohen Hetärismus oder eine völlige Weibergemeinschaft
als angebliche Ursitte aller Völker zu behaupten; bei der Religion,
um ein gewisses, sehr künstliches siebenstufiges Schema: Atheismus,
Fetischismus, Totemismus (Sinnbilderdienst), Schamanismus, Jdo-
lolatrismus (oder Anthropomorphismus), Anbetung naturbeherr-
schender geistiger Mächte und ethisirte Gottheitsidee, als den Stufen-
gang, welchen wesentlich alle Völker auf dem Wege zur Religiosität
zu durchlaufen pflegten, darzuthun; bei der Moral, um ihr erst
sehr spätes Jnverbindungtreten mit religiösen Vorstellungen durch
Citirung einer Reihe von Beispielen aus dem Leben verschiedner
Wilden wahrscheinlich zu machen. Denn, so führt er betreffs des
letztgenannten Punkts aus: bei sämmtlichen wilden Völkern erscheinen
religiöse Vorstellungen und moralische Eindrücke oder Motive gänzlich
voneinander getrennt; dieselben zeigen niemals Reue wegen einer
Sünde; ihrem Glauben an ein Jenseits und eine Geisterwelt wohnt
nie die Erwartung einer sittlichen Vergeltung bei; die Mehrzahl
ihrer Götter sind nicht gute, sondern schlimme, ja diabolische Wesen,
u. s. f. Es sei ihm selbst, fügt er gewissermaaßen entschuldigend
hier bei, schwer genug gefallen, sich diese ungünstige Vorstellung vom
natürlichen Charakter der Menschen anzueignen; er habe ursprünglich
eine weit bessere Meinung in diesem Betreff gehegt, die ihn indessen
sein fortgesetztes Studium der Wilden aufzugeben genöthigt hätte.1)
-- Der Rückschluß vom gegenwärtigen Sein und Denken der Natur-
völker auf ihre ursprünglichen Zustände wird hiebei bis zum Er-
müden oft gemacht, ohne Rücksicht darauf, ob das Gegenwärtige
wirklich als Maaßstab für Vergangenes und zudem für Urzeitliches
dienen könne oder nicht. Bei Construction jener siebenstufigen Scala,
welche das angebliche Emporsteigen von ursprünglichem Atheismus
zu ethisirter Religiosität veranschaulichen soll, werden die heterogensten
Dinge aus allen Weltgegenden zusammengebracht und so ein angeb-
liches Entwicklungsgesetz aufgebaut, für welches gewiß auch kein
Schatten von thatsächlicher Begründung aus dem wirklichen Leben

1) p. 301--370.

IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
lung einen rohen Hetärismus oder eine völlige Weibergemeinſchaft
als angebliche Urſitte aller Völker zu behaupten; bei der Religion,
um ein gewiſſes, ſehr künſtliches ſiebenſtufiges Schema: Atheismus,
Fetiſchismus, Totemismus (Sinnbilderdienſt), Schamanismus, Jdo-
lolatrismus (oder Anthropomorphismus), Anbetung naturbeherr-
ſchender geiſtiger Mächte und ethiſirte Gottheitsidee, als den Stufen-
gang, welchen weſentlich alle Völker auf dem Wege zur Religioſität
zu durchlaufen pflegten, darzuthun; bei der Moral, um ihr erſt
ſehr ſpätes Jnverbindungtreten mit religiöſen Vorſtellungen durch
Citirung einer Reihe von Beiſpielen aus dem Leben verſchiedner
Wilden wahrſcheinlich zu machen. Denn, ſo führt er betreffs des
letztgenannten Punkts aus: bei ſämmtlichen wilden Völkern erſcheinen
religiöſe Vorſtellungen und moraliſche Eindrücke oder Motive gänzlich
voneinander getrennt; dieſelben zeigen niemals Reue wegen einer
Sünde; ihrem Glauben an ein Jenſeits und eine Geiſterwelt wohnt
nie die Erwartung einer ſittlichen Vergeltung bei; die Mehrzahl
ihrer Götter ſind nicht gute, ſondern ſchlimme, ja diaboliſche Weſen,
u. ſ. f. Es ſei ihm ſelbſt, fügt er gewiſſermaaßen entſchuldigend
hier bei, ſchwer genug gefallen, ſich dieſe ungünſtige Vorſtellung vom
natürlichen Charakter der Menſchen anzueignen; er habe urſprünglich
eine weit beſſere Meinung in dieſem Betreff gehegt, die ihn indeſſen
ſein fortgeſetztes Studium der Wilden aufzugeben genöthigt hätte.1)
— Der Rückſchluß vom gegenwärtigen Sein und Denken der Natur-
völker auf ihre urſprünglichen Zuſtände wird hiebei bis zum Er-
müden oft gemacht, ohne Rückſicht darauf, ob das Gegenwärtige
wirklich als Maaßſtab für Vergangenes und zudem für Urzeitliches
dienen könne oder nicht. Bei Conſtruction jener ſiebenſtufigen Scala,
welche das angebliche Emporſteigen von urſprünglichem Atheismus
zu ethiſirter Religioſität veranſchaulichen ſoll, werden die heterogenſten
Dinge aus allen Weltgegenden zuſammengebracht und ſo ein angeb-
liches Entwicklungsgeſetz aufgebaut, für welches gewiß auch kein
Schatten von thatſächlicher Begründung aus dem wirklichen Leben

1) p. 301—370.
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[138/0148] IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. lung einen rohen Hetärismus oder eine völlige Weibergemeinſchaft als angebliche Urſitte aller Völker zu behaupten; bei der Religion, um ein gewiſſes, ſehr künſtliches ſiebenſtufiges Schema: Atheismus, Fetiſchismus, Totemismus (Sinnbilderdienſt), Schamanismus, Jdo- lolatrismus (oder Anthropomorphismus), Anbetung naturbeherr- ſchender geiſtiger Mächte und ethiſirte Gottheitsidee, als den Stufen- gang, welchen weſentlich alle Völker auf dem Wege zur Religioſität zu durchlaufen pflegten, darzuthun; bei der Moral, um ihr erſt ſehr ſpätes Jnverbindungtreten mit religiöſen Vorſtellungen durch Citirung einer Reihe von Beiſpielen aus dem Leben verſchiedner Wilden wahrſcheinlich zu machen. Denn, ſo führt er betreffs des letztgenannten Punkts aus: bei ſämmtlichen wilden Völkern erſcheinen religiöſe Vorſtellungen und moraliſche Eindrücke oder Motive gänzlich voneinander getrennt; dieſelben zeigen niemals Reue wegen einer Sünde; ihrem Glauben an ein Jenſeits und eine Geiſterwelt wohnt nie die Erwartung einer ſittlichen Vergeltung bei; die Mehrzahl ihrer Götter ſind nicht gute, ſondern ſchlimme, ja diaboliſche Weſen, u. ſ. f. Es ſei ihm ſelbſt, fügt er gewiſſermaaßen entſchuldigend hier bei, ſchwer genug gefallen, ſich dieſe ungünſtige Vorſtellung vom natürlichen Charakter der Menſchen anzueignen; er habe urſprünglich eine weit beſſere Meinung in dieſem Betreff gehegt, die ihn indeſſen ſein fortgeſetztes Studium der Wilden aufzugeben genöthigt hätte. 1) — Der Rückſchluß vom gegenwärtigen Sein und Denken der Natur- völker auf ihre urſprünglichen Zuſtände wird hiebei bis zum Er- müden oft gemacht, ohne Rückſicht darauf, ob das Gegenwärtige wirklich als Maaßſtab für Vergangenes und zudem für Urzeitliches dienen könne oder nicht. Bei Conſtruction jener ſiebenſtufigen Scala, welche das angebliche Emporſteigen von urſprünglichem Atheismus zu ethiſirter Religioſität veranſchaulichen ſoll, werden die heterogenſten Dinge aus allen Weltgegenden zuſammengebracht und ſo ein angeb- liches Entwicklungsgeſetz aufgebaut, für welches gewiß auch kein Schatten von thatſächlicher Begründung aus dem wirklichen Leben 1) p. 301—370.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/148>, abgerufen am 21.11.2024.