Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.IV. Die Opposition des modernen Naturalismus. male Vorstufe zur Entwicklung höherer Religionsformen gebildethaben sollten, während sie augenscheinlich nichts als Corruptionen und Verfallproducte einstiger reinerer Vorstellungsweisen und Sitten seien. -- Manche dieser Einwürfe waren offenbar schlagender Art, obschon sie eine reichlichere Exemplification vermissen ließen und theilweise nur in kurzen Andeutungen bestanden. Das über die Eskimo als gen Norden gedrängte Auswürflinge der einstigen Jn- dianerbevölkerung Nordamerikas fast nur vermuthungsweise Gesagte haben neuere Forschungen über die nationalen Ueberlieferungen der Grönländer etc. sozusagen experimental und aufs Kräftigste bestätigt (s. unten). Deßgleichen ist die Hypothese einer ursprünglichen abso- luten Religionslosigkeit mehr und mehr als unhaltbar erwiesen, also auch auf diesem Punkte das Argyllsche Räsonnement als richtig be- währt worden. Jmmerhin war die Opposition des edlen schottischen Peer gegen den Lubbockismus in mancher Hinsicht eine schwächliche; sie räumte auf einigen Punkten, z. B. betreffs der Frage des Alters der Menschheit, wo der Herzog der gefeierten Autorität eines Lyell weichend die biblischen Anschauungen preisgab, dem Gegner mehr als nöthig ein. Auch ließ sie durch die Fülle gelehrter ethnologischer und archäologischer Beweisinstanzen, womit Lubbock in seiner fol- genden Schrift: "Ueber den Ursprung der Civilisation" (1870) seine Position zu decken und jeden Widerspruch zu Boden zu schlagen suchte,1) sich unnöthig rasch zum Schweigen bringen. Lubbock brachte in diesem neuen Werke keine wesentlich neue Behauptung vor; nur die Exemplificirung seiner die angebliche Urwildheit betreffenden Thesen erscheint als eine nach mehreren Seiten hin reichere und ge- schickter gruppirte als früher. Er vertheilt sein Material unter die Kapitel: Kunstthätigkeit und Verzierungen; Eheschließung und Ver- wandtschaft; Religion; Moral; Sprache; Gesetzgebung. Bei den drei mittleren Materien verweilt er mit besonderer Angelegentlich- keit: bei den Ehesitten, um als Ausgangspunkt von deren Entwick- 1) On the origin of civilisation and the primitive condition of man.
Mental and social condition of savages. 2. edit., London 1870. IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. male Vorſtufe zur Entwicklung höherer Religionsformen gebildethaben ſollten, während ſie augenſcheinlich nichts als Corruptionen und Verfallproducte einſtiger reinerer Vorſtellungsweiſen und Sitten ſeien. — Manche dieſer Einwürfe waren offenbar ſchlagender Art, obſchon ſie eine reichlichere Exemplification vermiſſen ließen und theilweiſe nur in kurzen Andeutungen beſtanden. Das über die Eskimo als gen Norden gedrängte Auswürflinge der einſtigen Jn- dianerbevölkerung Nordamerikas faſt nur vermuthungsweiſe Geſagte haben neuere Forſchungen über die nationalen Ueberlieferungen der Grönländer ꝛc. ſozuſagen experimental und aufs Kräftigſte beſtätigt (ſ. unten). Deßgleichen iſt die Hypotheſe einer urſprünglichen abſo- luten Religionsloſigkeit mehr und mehr als unhaltbar erwieſen, alſo auch auf dieſem Punkte das Argyllſche Räſonnement als richtig be- währt worden. Jmmerhin war die Oppoſition des edlen ſchottiſchen Peer gegen den Lubbockismus in mancher Hinſicht eine ſchwächliche; ſie räumte auf einigen Punkten, z. B. betreffs der Frage des Alters der Menſchheit, wo der Herzog der gefeierten Autorität eines Lyell weichend die bibliſchen Anſchauungen preisgab, dem Gegner mehr als nöthig ein. Auch ließ ſie durch die Fülle gelehrter ethnologiſcher und archäologiſcher Beweisinſtanzen, womit Lubbock in ſeiner fol- genden Schrift: „Ueber den Urſprung der Civiliſation‟ (1870) ſeine Poſition zu decken und jeden Widerſpruch zu Boden zu ſchlagen ſuchte,1) ſich unnöthig raſch zum Schweigen bringen. Lubbock brachte in dieſem neuen Werke keine weſentlich neue Behauptung vor; nur die Exemplificirung ſeiner die angebliche Urwildheit betreffenden Theſen erſcheint als eine nach mehreren Seiten hin reichere und ge- ſchickter gruppirte als früher. Er vertheilt ſein Material unter die Kapitel: Kunſtthätigkeit und Verzierungen; Eheſchließung und Ver- wandtſchaft; Religion; Moral; Sprache; Geſetzgebung. Bei den drei mittleren Materien verweilt er mit beſonderer Angelegentlich- keit: bei den Eheſitten, um als Ausgangspunkt von deren Entwick- 1) On the origin of civilisation and the primitive condition of man.
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IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
male Vorſtufe zur Entwicklung höherer Religionsformen gebildet
haben ſollten, während ſie augenſcheinlich nichts als Corruptionen
und Verfallproducte einſtiger reinerer Vorſtellungsweiſen und Sitten
ſeien. — Manche dieſer Einwürfe waren offenbar ſchlagender Art,
obſchon ſie eine reichlichere Exemplification vermiſſen ließen und
theilweiſe nur in kurzen Andeutungen beſtanden. Das über die
Eskimo als gen Norden gedrängte Auswürflinge der einſtigen Jn-
dianerbevölkerung Nordamerikas faſt nur vermuthungsweiſe Geſagte
haben neuere Forſchungen über die nationalen Ueberlieferungen der
Grönländer ꝛc. ſozuſagen experimental und aufs Kräftigſte beſtätigt
(ſ. unten). Deßgleichen iſt die Hypotheſe einer urſprünglichen abſo-
luten Religionsloſigkeit mehr und mehr als unhaltbar erwieſen, alſo
auch auf dieſem Punkte das Argyllſche Räſonnement als richtig be-
währt worden. Jmmerhin war die Oppoſition des edlen ſchottiſchen
Peer gegen den Lubbockismus in mancher Hinſicht eine ſchwächliche;
ſie räumte auf einigen Punkten, z. B. betreffs der Frage des Alters
der Menſchheit, wo der Herzog der gefeierten Autorität eines Lyell
weichend die bibliſchen Anſchauungen preisgab, dem Gegner mehr
als nöthig ein. Auch ließ ſie durch die Fülle gelehrter ethnologiſcher
und archäologiſcher Beweisinſtanzen, womit Lubbock in ſeiner fol-
genden Schrift: „Ueber den Urſprung der Civiliſation‟ (1870) ſeine
Poſition zu decken und jeden Widerſpruch zu Boden zu ſchlagen
ſuchte, 1) ſich unnöthig raſch zum Schweigen bringen. Lubbock brachte
in dieſem neuen Werke keine weſentlich neue Behauptung vor; nur
die Exemplificirung ſeiner die angebliche Urwildheit betreffenden
Theſen erſcheint als eine nach mehreren Seiten hin reichere und ge-
ſchickter gruppirte als früher. Er vertheilt ſein Material unter die
Kapitel: Kunſtthätigkeit und Verzierungen; Eheſchließung und Ver-
wandtſchaft; Religion; Moral; Sprache; Geſetzgebung. Bei den
drei mittleren Materien verweilt er mit beſonderer Angelegentlich-
keit: bei den Eheſitten, um als Ausgangspunkt von deren Entwick-
1) On the origin of civilisation and the primitive condition of man.
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