Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.IV. Die Opposition des modernen Naturalismus. wiesen worden, wo sie nothwendigerweise verkümmern und von Stufezu Stufe tiefer hätten sinken müssen. Die Annahme besonderer Stammväter dieser Stämme, eines Eskimo-Adam hier und eines Pescheräh-Adam dort, leide an den unbesiegbarsten Schwierigkeiten. "Nicht einmal der extravaganteste Vertreter des Polygenismus werde annehmen wollen, daß es wirklich einen Eskimo-Adam gegeben habe, daß also in den eisigen Polarländern Menschen, sei es durch Er- schaffung, sei es durch ursprüngliche spontane Entwicklung, ins Dasein getreten seien;" die Auffassung solcher tiefstehender Stämme als "degradirter Auswürflinge" der übrigen Menschheit, sei nicht bloße Glaubensmeinung, sondern wissenschaftliche Nothwendigkeit.1) Nicht anders aber werde es sich mit den Buschmännern der südafrikanischen Wüsten, den Van-Diemensländern, den Papuas und anderen austra- lischen Wilden, auch wohl den einstigen Urbewohnern Mitteleuropas zur Renthierzeit, deren Steingeräthschaften und sonstige Reste man jüngst aus den Kiesbetten des Sommethals, aus belgischen Höhlen etc. zu Tage gefördert habe, verhalten. Die Annahme einer Verdräng- ung, Ausstoßung und Entartung liege in allen diesen Fällen viel näher, als die einer uranfänglichen Wildheit der betr. Stämme. Was ferner die von Lubbock als allgemeine Grundlage der reli- giösen Entwicklung des Menschengeschlechts behauptete absolute Re- ligionslosigkeit betrifft, so lasse sich ein solcher Zustand, gesetzt er existirte wirklich bei diesen oder jenen heutigen Wilden, nimmermehr als etwas Ursprüngliches, sondern lediglich als Degradationsproduct, als Wirkung eines Abfalles der betr. Völker von ihren ursprünglich gehabten religiösen Vorstellungen und Gebräuchen begreifen. Die vergleichende Religionswissenschaft lehre für alle Religionen ein Her- absinken von ihrer anfänglichen relativen Reinheit als natürliches Entwicklungsgesetz kennen. Es könne nichts Widersinnigeres gedacht werden, als daß Teufelsdienst, Menschenopfer, religiös geweihter Kannibalismus, sammt so manchen anderen gräßlichen Formen des Aberglaubens roher Naturvölker, den Ausgangspunkt oder die nor- 1) A. a. O., p. 164 sq.
IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus. wieſen worden, wo ſie nothwendigerweiſe verkümmern und von Stufezu Stufe tiefer hätten ſinken müſſen. Die Annahme beſonderer Stammväter dieſer Stämme, eines Eskimo-Adam hier und eines Peſcheräh-Adam dort, leide an den unbeſiegbarſten Schwierigkeiten. „Nicht einmal der extravaganteſte Vertreter des Polygenismus werde annehmen wollen, daß es wirklich einen Eskimo-Adam gegeben habe, daß alſo in den eiſigen Polarländern Menſchen, ſei es durch Er- ſchaffung, ſei es durch urſprüngliche ſpontane Entwicklung, ins Daſein getreten ſeien;‟ die Auffaſſung ſolcher tiefſtehender Stämme als „degradirter Auswürflinge‟ der übrigen Menſchheit, ſei nicht bloße Glaubensmeinung, ſondern wiſſenſchaftliche Nothwendigkeit.1) Nicht anders aber werde es ſich mit den Buſchmännern der ſüdafrikaniſchen Wüſten, den Van-Diemensländern, den Papuas und anderen auſtra- liſchen Wilden, auch wohl den einſtigen Urbewohnern Mitteleuropas zur Renthierzeit, deren Steingeräthſchaften und ſonſtige Reſte man jüngſt aus den Kiesbetten des Sommethals, aus belgiſchen Höhlen ꝛc. zu Tage gefördert habe, verhalten. Die Annahme einer Verdräng- ung, Ausſtoßung und Entartung liege in allen dieſen Fällen viel näher, als die einer uranfänglichen Wildheit der betr. Stämme. Was ferner die von Lubbock als allgemeine Grundlage der reli- giöſen Entwicklung des Menſchengeſchlechts behauptete abſolute Re- ligionsloſigkeit betrifft, ſo laſſe ſich ein ſolcher Zuſtand, geſetzt er exiſtirte wirklich bei dieſen oder jenen heutigen Wilden, nimmermehr als etwas Urſprüngliches, ſondern lediglich als Degradationsproduct, als Wirkung eines Abfalles der betr. Völker von ihren urſprünglich gehabten religiöſen Vorſtellungen und Gebräuchen begreifen. Die vergleichende Religionswiſſenſchaft lehre für alle Religionen ein Her- abſinken von ihrer anfänglichen relativen Reinheit als natürliches Entwicklungsgeſetz kennen. Es könne nichts Widerſinnigeres gedacht werden, als daß Teufelsdienſt, Menſchenopfer, religiös geweihter Kannibalismus, ſammt ſo manchen anderen gräßlichen Formen des Aberglaubens roher Naturvölker, den Ausgangspunkt oder die nor- 1) A. a. O., p. 164 sq.
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IV. Die Oppoſition des modernen Naturalismus.
wieſen worden, wo ſie nothwendigerweiſe verkümmern und von Stufe
zu Stufe tiefer hätten ſinken müſſen. Die Annahme beſonderer
Stammväter dieſer Stämme, eines Eskimo-Adam hier und eines
Peſcheräh-Adam dort, leide an den unbeſiegbarſten Schwierigkeiten.
„Nicht einmal der extravaganteſte Vertreter des Polygenismus werde
annehmen wollen, daß es wirklich einen Eskimo-Adam gegeben habe,
daß alſo in den eiſigen Polarländern Menſchen, ſei es durch Er-
ſchaffung, ſei es durch urſprüngliche ſpontane Entwicklung, ins Daſein
getreten ſeien;‟ die Auffaſſung ſolcher tiefſtehender Stämme als
„degradirter Auswürflinge‟ der übrigen Menſchheit, ſei nicht bloße
Glaubensmeinung, ſondern wiſſenſchaftliche Nothwendigkeit. 1) Nicht
anders aber werde es ſich mit den Buſchmännern der ſüdafrikaniſchen
Wüſten, den Van-Diemensländern, den Papuas und anderen auſtra-
liſchen Wilden, auch wohl den einſtigen Urbewohnern Mitteleuropas
zur Renthierzeit, deren Steingeräthſchaften und ſonſtige Reſte man
jüngſt aus den Kiesbetten des Sommethals, aus belgiſchen Höhlen ꝛc.
zu Tage gefördert habe, verhalten. Die Annahme einer Verdräng-
ung, Ausſtoßung und Entartung liege in allen dieſen Fällen viel
näher, als die einer uranfänglichen Wildheit der betr. Stämme.
Was ferner die von Lubbock als allgemeine Grundlage der reli-
giöſen Entwicklung des Menſchengeſchlechts behauptete abſolute Re-
ligionsloſigkeit betrifft, ſo laſſe ſich ein ſolcher Zuſtand, geſetzt er
exiſtirte wirklich bei dieſen oder jenen heutigen Wilden, nimmermehr
als etwas Urſprüngliches, ſondern lediglich als Degradationsproduct,
als Wirkung eines Abfalles der betr. Völker von ihren urſprünglich
gehabten religiöſen Vorſtellungen und Gebräuchen begreifen. Die
vergleichende Religionswiſſenſchaft lehre für alle Religionen ein Her-
abſinken von ihrer anfänglichen relativen Reinheit als natürliches
Entwicklungsgeſetz kennen. Es könne nichts Widerſinnigeres gedacht
werden, als daß Teufelsdienſt, Menſchenopfer, religiös geweihter
Kannibalismus, ſammt ſo manchen anderen gräßlichen Formen des
Aberglaubens roher Naturvölker, den Ausgangspunkt oder die nor-
1) A. a. O., p. 164 sq.
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