Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen.
fluthliche Menschheit als von vornherein ausnahmslos auf der
Stufe der Metallcultur stehend denke? daß man ein auch noch spä-
teres sporadisches Vorkommen von "Steinmenschen" sich aus dem
Sinne schlage? -- Wenn sie aber dieß alles nicht fordert, viel-
mehr bestimmte Andeutungen betreffs eines Hineinreichens einzelner
Nachwirkungen der ursprünglichen Steincultur bis in die bekanntere
historische Zeit hinein darbietet -- man denke nur an Zippora's,
an Josua's steinerm Beschneidungsmesser, Exod. 4, 25; Jos. 5, 2
harmonirt sie nicht auch hierin wesentlich mit dem bisher durch die
vorhistorische wie historische Archäologie Ermittelten? Ein mehrfaches
örtlich bedingtes Hineinragen der Stein- in die Metallculturzeit
lehrt ja auch diese. Jm hohen Norden Sibiriens, bei den Papuas
der Humboldt-Bai und verschiednen andren Stämmen Neuguinea's,
bei den Eingeborenen Neucaledoniens und den Bewohnern der Ad-
miralitätsinseln (die dem Zeugnisse der Challenger-Reisenden zufolge
lediglich gewisse mit Obsidianspitzen versehene Lanzen als Waffen
gebrauchen) sowie auf einigen andren Punkten ist die Steinzeit als
noch gegenwärtig fortbestehend erwiesen worden. Bis in die neuere
Zeit hinein scheint dieselbe bei den Ainos der Japanesischen Jnseln
gedauert zu haben, bis ins 11. Jahrhundert unsrer Zeitrechnung
bei den Bewohnern der östlichen Mandschurei, deßgleichen wie es
scheint bis ins Mittelalter hinein oder noch länger bei mehreren
andren Stämmen Asiens und wohl auch Europas.1) Mit Stein-
äxten läßt ja noch das alte Hildebrandslied die Helden Hildebrand
und Hadubrand ihren Streit ausfechten; auf bloßen Steinwaffen-
gebrauch beschränkte Völker kannten noch verschiedne Historiker des
classischen Alterthums. Und was hindert's doch, auf Grund der
neuerdings viel erörterten Feuerstein-Artafacte der libyschen und der

1) Vgl. Ztschr. f. Ethnologie 1878, IV, 465; Archiv f. Anthropol. Bd. 8,
250; Bd. 9, 99 ff.; Globus Bd. XX, 16, 255; Bd. XXVI, Nr. 20. -- Beim
sechsten urgeschichtl.-anthropol. Congreß zu Brüssel 1876 einigten sich sämmtliche
Archäologen dahin, ein mehrfaches lokales Fortbestehen der Steinzeit anzu-
nehmen (Corresp.-Bl. etc., 1872, S. 91).

Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
fluthliche Menſchheit als von vornherein ausnahmslos auf der
Stufe der Metallcultur ſtehend denke? daß man ein auch noch ſpä-
teres ſporadiſches Vorkommen von „Steinmenſchen‟ ſich aus dem
Sinne ſchlage? — Wenn ſie aber dieß alles nicht fordert, viel-
mehr beſtimmte Andeutungen betreffs eines Hineinreichens einzelner
Nachwirkungen der urſprünglichen Steincultur bis in die bekanntere
hiſtoriſche Zeit hinein darbietet — man denke nur an Zippora’s,
an Joſua’s ſteinerm Beſchneidungsmeſſer, Exod. 4, 25; Joſ. 5, 2
harmonirt ſie nicht auch hierin weſentlich mit dem bisher durch die
vorhiſtoriſche wie hiſtoriſche Archäologie Ermittelten? Ein mehrfaches
örtlich bedingtes Hineinragen der Stein- in die Metallculturzeit
lehrt ja auch dieſe. Jm hohen Norden Sibiriens, bei den Papuas
der Humboldt-Bai und verſchiednen andren Stämmen Neuguinea’s,
bei den Eingeborenen Neucaledoniens und den Bewohnern der Ad-
miralitätsinſeln (die dem Zeugniſſe der Challenger-Reiſenden zufolge
lediglich gewiſſe mit Obſidianſpitzen verſehene Lanzen als Waffen
gebrauchen) ſowie auf einigen andren Punkten iſt die Steinzeit als
noch gegenwärtig fortbeſtehend erwieſen worden. Bis in die neuere
Zeit hinein ſcheint dieſelbe bei den Aïnos der Japaneſiſchen Jnſeln
gedauert zu haben, bis ins 11. Jahrhundert unſrer Zeitrechnung
bei den Bewohnern der öſtlichen Mandſchurei, deßgleichen wie es
ſcheint bis ins Mittelalter hinein oder noch länger bei mehreren
andren Stämmen Aſiens und wohl auch Europas.1) Mit Stein-
äxten läßt ja noch das alte Hildebrandslied die Helden Hildebrand
und Hadubrand ihren Streit ausfechten; auf bloßen Steinwaffen-
gebrauch beſchränkte Völker kannten noch verſchiedne Hiſtoriker des
claſſiſchen Alterthums. Und was hindert’s doch, auf Grund der
neuerdings viel erörterten Feuerſtein-Artafacte der libyſchen und der

1) Vgl. Ztſchr. f. Ethnologie 1878, IV, 465; Archiv f. Anthropol. Bd. 8,
250; Bd. 9, 99 ff.; Globus Bd. XX, 16, 255; Bd. XXVI, Nr. 20. — Beim
ſechſten urgeſchichtl.-anthropol. Congreß zu Brüſſel 1876 einigten ſich ſämmtliche
Archäologen dahin, ein mehrfaches lokales Fortbeſtehen der Steinzeit anzu-
nehmen (Correſp.-Bl. ꝛc., 1872, S. 91).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0164" n="154"/><fw place="top" type="header">Prüfung der vorge&#x017F;chichtlich-anthropologi&#x017F;chen Gegenin&#x017F;tanzen.</fw><lb/>
fluthliche Men&#x017F;chheit als von vornherein ausnahmslos auf der<lb/>
Stufe der Metallcultur &#x017F;tehend denke? daß man ein auch noch &#x017F;pä-<lb/>
teres &#x017F;poradi&#x017F;ches Vorkommen von &#x201E;Steinmen&#x017F;chen&#x201F; &#x017F;ich aus dem<lb/>
Sinne &#x017F;chlage? &#x2014; Wenn &#x017F;ie aber dieß alles <hi rendition="#g">nicht</hi> fordert, viel-<lb/>
mehr be&#x017F;timmte Andeutungen betreffs eines Hineinreichens einzelner<lb/>
Nachwirkungen der ur&#x017F;prünglichen Steincultur bis in die bekanntere<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;che Zeit hinein darbietet &#x2014; man denke nur an Zippora&#x2019;s,<lb/>
an Jo&#x017F;ua&#x2019;s &#x017F;teinerm Be&#x017F;chneidungsme&#x017F;&#x017F;er, Exod. 4, 25; Jo&#x017F;. 5, 2<lb/>
harmonirt &#x017F;ie nicht auch hierin we&#x017F;entlich mit dem bisher durch die<lb/>
vorhi&#x017F;tori&#x017F;che wie hi&#x017F;tori&#x017F;che Archäologie Ermittelten? Ein mehrfaches<lb/>
örtlich bedingtes Hineinragen der Stein- in die Metallculturzeit<lb/>
lehrt ja auch die&#x017F;e. Jm hohen Norden Sibiriens, bei den Papuas<lb/>
der Humboldt-Bai und ver&#x017F;chiednen andren Stämmen Neuguinea&#x2019;s,<lb/>
bei den Eingeborenen Neucaledoniens und den Bewohnern der Ad-<lb/>
miralitätsin&#x017F;eln (die dem Zeugni&#x017F;&#x017F;e der Challenger-Rei&#x017F;enden zufolge<lb/>
lediglich gewi&#x017F;&#x017F;e mit Ob&#x017F;idian&#x017F;pitzen ver&#x017F;ehene Lanzen als Waffen<lb/>
gebrauchen) &#x017F;owie auf einigen andren Punkten i&#x017F;t die Steinzeit als<lb/>
noch gegenwärtig fortbe&#x017F;tehend erwie&#x017F;en worden. Bis in die neuere<lb/>
Zeit hinein &#x017F;cheint die&#x017F;elbe bei den A<hi rendition="#aq">ï</hi>nos der Japane&#x017F;i&#x017F;chen Jn&#x017F;eln<lb/>
gedauert zu haben, bis ins 11. Jahrhundert un&#x017F;rer Zeitrechnung<lb/>
bei den Bewohnern der ö&#x017F;tlichen Mand&#x017F;churei, deßgleichen wie es<lb/>
&#x017F;cheint bis ins Mittelalter hinein oder noch länger bei mehreren<lb/>
andren Stämmen A&#x017F;iens und wohl auch Europas.<note place="foot" n="1)">Vgl. Zt&#x017F;chr. f. Ethnologie 1878, <hi rendition="#aq">IV,</hi> 465; Archiv f. Anthropol. Bd. 8,<lb/>
250; Bd. 9, 99 ff.; Globus Bd. <hi rendition="#aq">XX,</hi> 16, 255; Bd. <hi rendition="#aq">XXVI,</hi> Nr. 20. &#x2014; Beim<lb/>
&#x017F;ech&#x017F;ten urge&#x017F;chichtl.-anthropol. Congreß zu Brü&#x017F;&#x017F;el 1876 einigten &#x017F;ich &#x017F;ämmtliche<lb/>
Archäologen dahin, ein mehrfaches lokales <hi rendition="#g">Fortbe&#x017F;tehen</hi> der Steinzeit anzu-<lb/>
nehmen (Corre&#x017F;p.-Bl. &#xA75B;c., 1872, S. 91).</note> Mit Stein-<lb/>
äxten läßt ja noch das alte Hildebrandslied die Helden Hildebrand<lb/>
und Hadubrand ihren Streit ausfechten; auf bloßen Steinwaffen-<lb/>
gebrauch be&#x017F;chränkte Völker kannten noch ver&#x017F;chiedne Hi&#x017F;toriker des<lb/>
cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Alterthums. Und was hindert&#x2019;s doch, auf Grund der<lb/>
neuerdings viel erörterten Feuer&#x017F;tein-Artafacte der liby&#x017F;chen und der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0164] Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. fluthliche Menſchheit als von vornherein ausnahmslos auf der Stufe der Metallcultur ſtehend denke? daß man ein auch noch ſpä- teres ſporadiſches Vorkommen von „Steinmenſchen‟ ſich aus dem Sinne ſchlage? — Wenn ſie aber dieß alles nicht fordert, viel- mehr beſtimmte Andeutungen betreffs eines Hineinreichens einzelner Nachwirkungen der urſprünglichen Steincultur bis in die bekanntere hiſtoriſche Zeit hinein darbietet — man denke nur an Zippora’s, an Joſua’s ſteinerm Beſchneidungsmeſſer, Exod. 4, 25; Joſ. 5, 2 harmonirt ſie nicht auch hierin weſentlich mit dem bisher durch die vorhiſtoriſche wie hiſtoriſche Archäologie Ermittelten? Ein mehrfaches örtlich bedingtes Hineinragen der Stein- in die Metallculturzeit lehrt ja auch dieſe. Jm hohen Norden Sibiriens, bei den Papuas der Humboldt-Bai und verſchiednen andren Stämmen Neuguinea’s, bei den Eingeborenen Neucaledoniens und den Bewohnern der Ad- miralitätsinſeln (die dem Zeugniſſe der Challenger-Reiſenden zufolge lediglich gewiſſe mit Obſidianſpitzen verſehene Lanzen als Waffen gebrauchen) ſowie auf einigen andren Punkten iſt die Steinzeit als noch gegenwärtig fortbeſtehend erwieſen worden. Bis in die neuere Zeit hinein ſcheint dieſelbe bei den Aïnos der Japaneſiſchen Jnſeln gedauert zu haben, bis ins 11. Jahrhundert unſrer Zeitrechnung bei den Bewohnern der öſtlichen Mandſchurei, deßgleichen wie es ſcheint bis ins Mittelalter hinein oder noch länger bei mehreren andren Stämmen Aſiens und wohl auch Europas. 1) Mit Stein- äxten läßt ja noch das alte Hildebrandslied die Helden Hildebrand und Hadubrand ihren Streit ausfechten; auf bloßen Steinwaffen- gebrauch beſchränkte Völker kannten noch verſchiedne Hiſtoriker des claſſiſchen Alterthums. Und was hindert’s doch, auf Grund der neuerdings viel erörterten Feuerſtein-Artafacte der libyſchen und der 1) Vgl. Ztſchr. f. Ethnologie 1878, IV, 465; Archiv f. Anthropol. Bd. 8, 250; Bd. 9, 99 ff.; Globus Bd. XX, 16, 255; Bd. XXVI, Nr. 20. — Beim ſechſten urgeſchichtl.-anthropol. Congreß zu Brüſſel 1876 einigten ſich ſämmtliche Archäologen dahin, ein mehrfaches lokales Fortbeſtehen der Steinzeit anzu- nehmen (Correſp.-Bl. ꝛc., 1872, S. 91).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/164
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/164>, abgerufen am 21.11.2024.