Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen. Südostens, eines einst die Brücke zwischen Madagaskar und Süd-indien oder Neuholland bildenden Continents "Lemuria", hat als bequemes Auskunftsmittel aus dieser Verlegenheit neuerdings ziem- lichen Anhang gefunden, obschon kritisch gerichtete Thiergeographen und Geologen ihr fort und fort widersprechen.1) Einer ihrer Gegner, der das Drama der Verwandlung von Affe in Mensch lieber in kälteren und uns nähergelegenen Gegenden spielen läßt, hat mittelst scharfsinniger Deduction zu zeigen versucht, warum der "affenähn- liche Urerzeuger" unsres Geschlechts jedenfalls nur in wenigen Exem- plaren vorhanden gewesen sein werde: dieser geheimnißvolle Ahnherr könne unmöglich als ein kosmopolitisches Wesen von weiter Ver- breitung existirt haben, er könne lediglich Bewohner eines "sehr be- schränkten Verbreitungsbezirks" gewesen sein, und ebendeßhalb sei die Wahrscheinlichkeit seines gänzlichen Untergegangenseins weit größer als jede entgegengesetzte.2) Andere verweisen tröstend auf zukünftige Entdeckungen; so meint Rütimeyer: "Gerade fossile Orangs und Gorillas müßten für die hier besprochne Frage noch größeres Jn- teresse bieten, als die lebenden; um so mehr ist es zu beklagen, daß solche Ueberreste einstweilen so spärlich und unvollständig sind, daß wir sie hier nicht mit in den Vergleich aufnehmen können. Jmmerhin ist schon das genug, um uns zu warnen, die Untersuchung etwa zu früh als abgeschlossen zu erklären: -- ein einziger glücklicher Fund auf diesem Boden -- kann den Streit neu anfachen und vielleicht mit vollkommen neuem Lichte erhellen" etc.3) Der erwünschte Fund ist bis jetzt noch nicht gethan worden. 1) Siehe bes. Wallace, Tropical Nature and other Essays, London 1876, wo die Annahme eines "Lemurien" als eine jener Hypothesen charak- terisirt wird, welche nützen, indem sie die Aufmerksamkeit auf eine Kette ano- maler Thatsachen lenken, welche aber im Verlaufe eingehenderer Untersuchung sich als überflüssig herausstellen und in Wegfall kommen" (vgl. Spen- gel, Die Fortschritte des Darwinismus, III, 1879, S. 92). 2) Moriz Wagner, a. a. O. (Ausl. 1871), Nr. 23, S. 540. 3) Rütimeyer, Die Grenzen der Thierwelt etc., Basel 1868, S. 46.
V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. Südoſtens, eines einſt die Brücke zwiſchen Madagaskar und Süd-indien oder Neuholland bildenden Continents „Lemuria‟, hat als bequemes Auskunftsmittel aus dieſer Verlegenheit neuerdings ziem- lichen Anhang gefunden, obſchon kritiſch gerichtete Thiergeographen und Geologen ihr fort und fort widerſprechen.1) Einer ihrer Gegner, der das Drama der Verwandlung von Affe in Menſch lieber in kälteren und uns nähergelegenen Gegenden ſpielen läßt, hat mittelſt ſcharfſinniger Deduction zu zeigen verſucht, warum der „affenähn- liche Urerzeuger‟ unſres Geſchlechts jedenfalls nur in wenigen Exem- plaren vorhanden geweſen ſein werde: dieſer geheimnißvolle Ahnherr könne unmöglich als ein kosmopolitiſches Weſen von weiter Ver- breitung exiſtirt haben, er könne lediglich Bewohner eines „ſehr be- ſchränkten Verbreitungsbezirks‟ geweſen ſein, und ebendeßhalb ſei die Wahrſcheinlichkeit ſeines gänzlichen Untergegangenſeins weit größer als jede entgegengeſetzte.2) Andere verweiſen tröſtend auf zukünftige Entdeckungen; ſo meint Rütimeyer: „Gerade foſſile Orangs und Gorillas müßten für die hier beſprochne Frage noch größeres Jn- tereſſe bieten, als die lebenden; um ſo mehr iſt es zu beklagen, daß ſolche Ueberreſte einſtweilen ſo ſpärlich und unvollſtändig ſind, daß wir ſie hier nicht mit in den Vergleich aufnehmen können. Jmmerhin iſt ſchon das genug, um uns zu warnen, die Unterſuchung etwa zu früh als abgeſchloſſen zu erklären: — ein einziger glücklicher Fund auf dieſem Boden — kann den Streit neu anfachen und vielleicht mit vollkommen neuem Lichte erhellen‟ ꝛc.3) Der erwünſchte Fund iſt bis jetzt noch nicht gethan worden. 1) Siehe beſ. Wallace, Tropical Nature and other Essays, London 1876, wo die Annahme eines „Lemurien‟ als eine jener Hypotheſen charak- teriſirt wird, welche nützen, indem ſie die Aufmerkſamkeit auf eine Kette ano- maler Thatſachen lenken, welche aber im Verlaufe eingehenderer Unterſuchung ſich als überflüſſig herausſtellen und in Wegfall kommen‟ (vgl. Spen- gel, Die Fortſchritte des Darwinismus, III, 1879, S. 92). 2) Moriz Wagner, a. a. O. (Ausl. 1871), Nr. 23, S. 540. 3) Rütimeyer, Die Grenzen der Thierwelt ꝛc., Baſel 1868, S. 46.
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V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
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bequemes Auskunftsmittel aus dieſer Verlegenheit neuerdings ziem-
lichen Anhang gefunden, obſchon kritiſch gerichtete Thiergeographen
und Geologen ihr fort und fort widerſprechen. 1) Einer ihrer Gegner,
der das Drama der Verwandlung von Affe in Menſch lieber in
kälteren und uns nähergelegenen Gegenden ſpielen läßt, hat mittelſt
ſcharfſinniger Deduction zu zeigen verſucht, warum der „affenähn-
liche Urerzeuger‟ unſres Geſchlechts jedenfalls nur in wenigen Exem-
plaren vorhanden geweſen ſein werde: dieſer geheimnißvolle Ahnherr
könne unmöglich als ein kosmopolitiſches Weſen von weiter Ver-
breitung exiſtirt haben, er könne lediglich Bewohner eines „ſehr be-
ſchränkten Verbreitungsbezirks‟ geweſen ſein, und ebendeßhalb ſei
die Wahrſcheinlichkeit ſeines gänzlichen Untergegangenſeins weit größer
als jede entgegengeſetzte. 2) Andere verweiſen tröſtend auf zukünftige
Entdeckungen; ſo meint Rütimeyer: „Gerade foſſile Orangs und
Gorillas müßten für die hier beſprochne Frage noch größeres Jn-
tereſſe bieten, als die lebenden; um ſo mehr iſt es zu beklagen, daß
ſolche Ueberreſte einſtweilen ſo ſpärlich und unvollſtändig ſind, daß
wir ſie hier nicht mit in den Vergleich aufnehmen können. Jmmerhin
iſt ſchon das genug, um uns zu warnen, die Unterſuchung etwa zu
früh als abgeſchloſſen zu erklären: — ein einziger glücklicher Fund
auf dieſem Boden — kann den Streit neu anfachen und vielleicht
mit vollkommen neuem Lichte erhellen‟ ꝛc. 3)
Der erwünſchte Fund iſt bis jetzt noch nicht gethan worden.
1) Siehe beſ. Wallace, Tropical Nature and other Essays, London
1876, wo die Annahme eines „Lemurien‟ als eine jener Hypotheſen charak-
teriſirt wird, welche nützen, indem ſie die Aufmerkſamkeit auf eine Kette ano-
maler Thatſachen lenken, welche aber im Verlaufe eingehenderer Unterſuchung ſich
als überflüſſig herausſtellen und in Wegfall kommen‟ (vgl. Spen-
gel, Die Fortſchritte des Darwinismus, III, 1879, S. 92).
2) Moriz Wagner, a. a. O. (Ausl. 1871), Nr. 23, S. 540.
3) Rütimeyer, Die Grenzen der Thierwelt ꝛc., Baſel 1868, S. 46.
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