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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen.
wohl ohnedies nur von den im Torf begrabnen Pfahlbauten vor-
auszusetzen; so muß denn die Deutung hier vor Allem mit der
größten Vorsicht vorgehen. Was bis heute über die Schädel ver-
lautet, die man aus Pfahlbauten erhoben, läßt vermuthen, daß sie
alle keine Merkmale tragen, die sie entschieden von denen der heut
an gleichen Orten lebenden Menschen unterschieden. Jedenfalls scheint
das Eine gewiß, daß die Pfahlbauer ihre Todten nicht in den See
warfen, über dem sie wohnten, sondern daß sie dieselben am Lande
bestatteten1)".

Was die Monumente der Vorzeit nirgends darbieten wollen:
klare, unzweideutige Jndicien unsres Thierursprunges, das hat man
schließlich mit um so größerem Eifer dem anthropologisch-ethnolo-
gischen Forschungsbereiche der Gegenwart zu entnehmen versucht.
Wir überschreiten im Grunde unser eigentliches Untersuchungsgebiet,
wenn wir auch diesem Gegenstande hier noch eine flüchtige Be-
trachtung widmen; doch darf dieselbe, damit wir unsre Auseinander-
setzung mit unsren Gegnern darwinistischen Standpunkts zu voll-
ständigem Abschlusse bringen, hier nicht fehlen. Man hat, da
Skeletbau, Hirn- und Schädelbildung der jetzigen anthropoiden
Affenarten (Orang, Chimpanse, Gorilla) bei genauerer Vergleichung
mit denen des Menschen nie andre als negative Resultate ergeben
und ein Zwischenglied zwischen beiden Theilen auf das Empfindlichste
vermissen lassen, dieses fehlende Zwischenglied auf allerlei Wegen
herbeizuschaffen versucht. Die angeblichen Waldmenschen ver-
schiedner Tropenländer, d. h. von Wurzeln, Beeren oder Baum-
früchten lebende, viehisch rohe und absolut culturfeindliche Wilde,
sind verschiedentlich zur Ausfüllung der klaffenden Lücke zu verwerthen
gesucht worden. Allein die ihnen angedichteten affengleichen Schädel
oder thierähnlichen Schnauzen sind bei nüchterner anatomischer Unter-
suchung noch jedesmal als Phantasiegebilde entlarvt worden. Des
Amerikaners Bond Waldmenschenpaar aus den Bergjungles der

1) Ratzel, a. a. O., 198 f.

V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
wohl ohnedies nur von den im Torf begrabnen Pfahlbauten vor-
auszuſetzen; ſo muß denn die Deutung hier vor Allem mit der
größten Vorſicht vorgehen. Was bis heute über die Schädel ver-
lautet, die man aus Pfahlbauten erhoben, läßt vermuthen, daß ſie
alle keine Merkmale tragen, die ſie entſchieden von denen der heut
an gleichen Orten lebenden Menſchen unterſchieden. Jedenfalls ſcheint
das Eine gewiß, daß die Pfahlbauer ihre Todten nicht in den See
warfen, über dem ſie wohnten, ſondern daß ſie dieſelben am Lande
beſtatteten1)‟.

Was die Monumente der Vorzeit nirgends darbieten wollen:
klare, unzweideutige Jndicien unſres Thierurſprunges, das hat man
ſchließlich mit um ſo größerem Eifer dem anthropologiſch-ethnolo-
giſchen Forſchungsbereiche der Gegenwart zu entnehmen verſucht.
Wir überſchreiten im Grunde unſer eigentliches Unterſuchungsgebiet,
wenn wir auch dieſem Gegenſtande hier noch eine flüchtige Be-
trachtung widmen; doch darf dieſelbe, damit wir unſre Auseinander-
ſetzung mit unſren Gegnern darwiniſtiſchen Standpunkts zu voll-
ſtändigem Abſchluſſe bringen, hier nicht fehlen. Man hat, da
Skeletbau, Hirn- und Schädelbildung der jetzigen anthropoïden
Affenarten (Orang, Chimpanſe, Gorilla) bei genauerer Vergleichung
mit denen des Menſchen nie andre als negative Reſultate ergeben
und ein Zwiſchenglied zwiſchen beiden Theilen auf das Empfindlichſte
vermiſſen laſſen, dieſes fehlende Zwiſchenglied auf allerlei Wegen
herbeizuſchaffen verſucht. Die angeblichen Waldmenſchen ver-
ſchiedner Tropenländer, d. h. von Wurzeln, Beeren oder Baum-
früchten lebende, viehiſch rohe und abſolut culturfeindliche Wilde,
ſind verſchiedentlich zur Ausfüllung der klaffenden Lücke zu verwerthen
geſucht worden. Allein die ihnen angedichteten affengleichen Schädel
oder thierähnlichen Schnauzen ſind bei nüchterner anatomiſcher Unter-
ſuchung noch jedesmal als Phantaſiegebilde entlarvt worden. Des
Amerikaners Bond Waldmenſchenpaar aus den Bergjungles der

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[173/0183] V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. wohl ohnedies nur von den im Torf begrabnen Pfahlbauten vor- auszuſetzen; ſo muß denn die Deutung hier vor Allem mit der größten Vorſicht vorgehen. Was bis heute über die Schädel ver- lautet, die man aus Pfahlbauten erhoben, läßt vermuthen, daß ſie alle keine Merkmale tragen, die ſie entſchieden von denen der heut an gleichen Orten lebenden Menſchen unterſchieden. Jedenfalls ſcheint das Eine gewiß, daß die Pfahlbauer ihre Todten nicht in den See warfen, über dem ſie wohnten, ſondern daß ſie dieſelben am Lande beſtatteten 1)‟. Was die Monumente der Vorzeit nirgends darbieten wollen: klare, unzweideutige Jndicien unſres Thierurſprunges, das hat man ſchließlich mit um ſo größerem Eifer dem anthropologiſch-ethnolo- giſchen Forſchungsbereiche der Gegenwart zu entnehmen verſucht. Wir überſchreiten im Grunde unſer eigentliches Unterſuchungsgebiet, wenn wir auch dieſem Gegenſtande hier noch eine flüchtige Be- trachtung widmen; doch darf dieſelbe, damit wir unſre Auseinander- ſetzung mit unſren Gegnern darwiniſtiſchen Standpunkts zu voll- ſtändigem Abſchluſſe bringen, hier nicht fehlen. Man hat, da Skeletbau, Hirn- und Schädelbildung der jetzigen anthropoïden Affenarten (Orang, Chimpanſe, Gorilla) bei genauerer Vergleichung mit denen des Menſchen nie andre als negative Reſultate ergeben und ein Zwiſchenglied zwiſchen beiden Theilen auf das Empfindlichſte vermiſſen laſſen, dieſes fehlende Zwiſchenglied auf allerlei Wegen herbeizuſchaffen verſucht. Die angeblichen Waldmenſchen ver- ſchiedner Tropenländer, d. h. von Wurzeln, Beeren oder Baum- früchten lebende, viehiſch rohe und abſolut culturfeindliche Wilde, ſind verſchiedentlich zur Ausfüllung der klaffenden Lücke zu verwerthen geſucht worden. Allein die ihnen angedichteten affengleichen Schädel oder thierähnlichen Schnauzen ſind bei nüchterner anatomiſcher Unter- ſuchung noch jedesmal als Phantaſiegebilde entlarvt worden. Des Amerikaners Bond Waldmenſchenpaar aus den Bergjungles der 1) Ratzel, a. a. O., 198 f.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/183>, abgerufen am 21.11.2024.