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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen.
Rolle mehr. Jhre Exempel sind meist modernen Zeiten und Zu-
ständen entnommen -- oberflächlich abgeschöpfte Analogien und
übereilte Rückschlüsse von Wahrnehmungen am Leben dermaliger
Wilder auf die Urzeit. Daß der Kannibalismus in älteren Zeiten
des Menschengeschlechts hie und da verbreiteter war, als er es jetzt
ist, mag vielleicht anzunehmen sein. Die Behauptung, daß er die
Urform menschlicher Ernährung gebildet habe, ist eine Ungeheuerlich-
keit und ein Attentat auf die Würde unsres Geschlechts (vgl. auch
unten VI, 3).

Es würde hienächst eingehender von den soeben bereits beiläufig
erwähnten Pfahlbauten und deren Bewohnern zu handeln sein.
Wir behalten uns ihre nähere Besprechung für den auf die Alters-
frage bezüglichen Abschnitt vor, indem wir vorläufig nur dieß con-
statiren, daß dieselben in ein von paläontologischen Thatsachen han-
delndes Kapitel überhaupt gar nicht gehören. Die Zeiten sind
vorüber, wo man genöthigt war, unter den Monumenten frühester
Vergangenheit und rohester Urbarbarei unsres Geschlechts namentlich
auch diese immerhin interessanten Ausgrabungsproducte unsres emsig
forschenden Zeitalters zu besprechen. Der Frage wegen eines etwaigen
Kannibalenthums der Urmenschen bleibt, was bisher aus ihnen zu
Tag gefördert worden, völlig fern; ebenso der wegen eines etwaigen
Affenmenschenthums unsrer frühesten Vorfahren oder wegen sonstiger
Annahmen aus dem Bereiche der Descendenzlehre. Man lese, was
ein in keiner Weise orthodox befangener Schriftsteller über Ur-
geschichte erst jüngst über die anthropologische Ausbeute, welche die
Pfahlbauten Europas bisher gewährt, urtheilt: "Wenn wir auf die
Skeletreste des Menschen, die aus Pfahlbauten erhoben wurden,
ganz zuletzt zu sprechen kommen, so ist der Grund hievon nichts
anderes, als die Unbedeutendheit alles dessen, was bis heute in
dieser Richtung gefunden wurde. Der Funde sind es wenig; die
Gewißheit, daß sie nicht etwa einem später Ertrunknen angehören
oder durch sonst einen Zufall an den Ort kamen, dem sie enthoben
wurden, ist bei der geringen Zahl nicht vorauszusetzen und wäre

V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
Rolle mehr. Jhre Exempel ſind meiſt modernen Zeiten und Zu-
ſtänden entnommen — oberflächlich abgeſchöpfte Analogien und
übereilte Rückſchlüſſe von Wahrnehmungen am Leben dermaliger
Wilder auf die Urzeit. Daß der Kannibalismus in älteren Zeiten
des Menſchengeſchlechts hie und da verbreiteter war, als er es jetzt
iſt, mag vielleicht anzunehmen ſein. Die Behauptung, daß er die
Urform menſchlicher Ernährung gebildet habe, iſt eine Ungeheuerlich-
keit und ein Attentat auf die Würde unſres Geſchlechts (vgl. auch
unten VI, 3).

Es würde hienächſt eingehender von den ſoeben bereits beiläufig
erwähnten Pfahlbauten und deren Bewohnern zu handeln ſein.
Wir behalten uns ihre nähere Beſprechung für den auf die Alters-
frage bezüglichen Abſchnitt vor, indem wir vorläufig nur dieß con-
ſtatiren, daß dieſelben in ein von paläontologiſchen Thatſachen han-
delndes Kapitel überhaupt gar nicht gehören. Die Zeiten ſind
vorüber, wo man genöthigt war, unter den Monumenten früheſter
Vergangenheit und roheſter Urbarbarei unſres Geſchlechts namentlich
auch dieſe immerhin intereſſanten Ausgrabungsproducte unſres emſig
forſchenden Zeitalters zu beſprechen. Der Frage wegen eines etwaigen
Kannibalenthums der Urmenſchen bleibt, was bisher aus ihnen zu
Tag gefördert worden, völlig fern; ebenſo der wegen eines etwaigen
Affenmenſchenthums unſrer früheſten Vorfahren oder wegen ſonſtiger
Annahmen aus dem Bereiche der Deſcendenzlehre. Man leſe, was
ein in keiner Weiſe orthodox befangener Schriftſteller über Ur-
geſchichte erſt jüngſt über die anthropologiſche Ausbeute, welche die
Pfahlbauten Europas bisher gewährt, urtheilt: „Wenn wir auf die
Skeletreſte des Menſchen, die aus Pfahlbauten erhoben wurden,
ganz zuletzt zu ſprechen kommen, ſo iſt der Grund hievon nichts
anderes, als die Unbedeutendheit alles deſſen, was bis heute in
dieſer Richtung gefunden wurde. Der Funde ſind es wenig; die
Gewißheit, daß ſie nicht etwa einem ſpäter Ertrunknen angehören
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[172/0182] V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. Rolle mehr. Jhre Exempel ſind meiſt modernen Zeiten und Zu- ſtänden entnommen — oberflächlich abgeſchöpfte Analogien und übereilte Rückſchlüſſe von Wahrnehmungen am Leben dermaliger Wilder auf die Urzeit. Daß der Kannibalismus in älteren Zeiten des Menſchengeſchlechts hie und da verbreiteter war, als er es jetzt iſt, mag vielleicht anzunehmen ſein. Die Behauptung, daß er die Urform menſchlicher Ernährung gebildet habe, iſt eine Ungeheuerlich- keit und ein Attentat auf die Würde unſres Geſchlechts (vgl. auch unten VI, 3). Es würde hienächſt eingehender von den ſoeben bereits beiläufig erwähnten Pfahlbauten und deren Bewohnern zu handeln ſein. Wir behalten uns ihre nähere Beſprechung für den auf die Alters- frage bezüglichen Abſchnitt vor, indem wir vorläufig nur dieß con- ſtatiren, daß dieſelben in ein von paläontologiſchen Thatſachen han- delndes Kapitel überhaupt gar nicht gehören. Die Zeiten ſind vorüber, wo man genöthigt war, unter den Monumenten früheſter Vergangenheit und roheſter Urbarbarei unſres Geſchlechts namentlich auch dieſe immerhin intereſſanten Ausgrabungsproducte unſres emſig forſchenden Zeitalters zu beſprechen. Der Frage wegen eines etwaigen Kannibalenthums der Urmenſchen bleibt, was bisher aus ihnen zu Tag gefördert worden, völlig fern; ebenſo der wegen eines etwaigen Affenmenſchenthums unſrer früheſten Vorfahren oder wegen ſonſtiger Annahmen aus dem Bereiche der Deſcendenzlehre. Man leſe, was ein in keiner Weiſe orthodox befangener Schriftſteller über Ur- geſchichte erſt jüngſt über die anthropologiſche Ausbeute, welche die Pfahlbauten Europas bisher gewährt, urtheilt: „Wenn wir auf die Skeletreſte des Menſchen, die aus Pfahlbauten erhoben wurden, ganz zuletzt zu ſprechen kommen, ſo iſt der Grund hievon nichts anderes, als die Unbedeutendheit alles deſſen, was bis heute in dieſer Richtung gefunden wurde. Der Funde ſind es wenig; die Gewißheit, daß ſie nicht etwa einem ſpäter Ertrunknen angehören oder durch ſonſt einen Zufall an den Ort kamen, dem ſie enthoben wurden, iſt bei der geringen Zahl nicht vorauszuſetzen und wäre

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/182>, abgerufen am 21.11.2024.