Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen. älter als jene dänischen und entbehrt der auf menschliche Thätigkeitzurückweisenden Spuren meist ganz. Wirkliche Kannibalen-Kjökken- möddinger sollen die von Essequibo in Guyana sein; man will in ihnen zahlreiche zerbrochne Menschenknochen gefunden haben. Aber gerade für sie scheint ein höheres Alter als das der Entdeckungszeit Mittel- und Südamerika's -- wo ja Columbus ein in üppiger Blüthe stehendes Kannibalenthum antraf -- schwerlich nachweisbar! Und mehrere andre Muschelhügel oder Sambaquis der Neuen Welt, sie alle entweder keine, oder keine irgendwie sichren Spuren von Menschenknochen enthaltend, sind von den sie untersuchenden Ge- lehrten sogar noch für jünger erklärt worden. Der brasilianische Telegraphendirector Capanema hält die Sambaquis der Küste Brasiliens für nicht viel älter als 2--300 Jahre; etwas weiter geht Professor White zu Brunswick im Staate Maine in seinen die Küchenabfälle im Mississippithal betreffenden Erörterungen, doch will auch er betreffs einzelner dieser Fundstätten nur ein etwa 200- jähriges Alter statuirt wissen. Gewisse südcalifornische Muschel- abfälle hat P. Schumacher in San Francisco einer entfernteren Urzeit zuzuweisen versucht, jedoch unter Widerspruch von andrer Seite her.1) Von etwaigen Jndicien einstigen Kannibalenthums ist bei den Verhandlungen über diese nordamerikanischen Küchenabfälle überhaupt nicht die Rede. -- Es gibt immer noch einzelne Ver- theidiger der Annahme einer ursprünglichen Allgemeinheit des Menschenfresserthums (Wojedowski, Schaaffhausen, Caspari, Karsten etc.).2) Die Küchenabfälle spielen in ihren Argumentationen keine 1) S. Petermann's Geogr. Mittheilungen 1874, VI, 228; Ausland 1873, Nr. 47, S. 956 f., sowie Schumacher im Arch. f. Anthrop. 1876 (Bd. VIII), H. 3, S. 217 ff. (nebst dem seinen Ausführungen widersprechenden Redactions-Bermerk); auch denselben in den Mittheilungen der Anthropolog. Gesellsch. zu Wien 1876, Nr. 10, sowie in der Ztschr. f. Ethnologie 1878, H. III, S. 183. 2) Vgl. bes. Leop. Wojedowski (Prof. zu Odessa), in den Aufzeichnungen
der neuruss. Universität daselbst, 1874 u. 1875 (Magaz. f. Lit. des Auslands 1878, Nr. 15). V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. älter als jene däniſchen und entbehrt der auf menſchliche Thätigkeitzurückweiſenden Spuren meiſt ganz. Wirkliche Kannibalen-Kjökken- möddinger ſollen die von Eſſequibo in Guyana ſein; man will in ihnen zahlreiche zerbrochne Menſchenknochen gefunden haben. Aber gerade für ſie ſcheint ein höheres Alter als das der Entdeckungszeit Mittel- und Südamerika’s — wo ja Columbus ein in üppiger Blüthe ſtehendes Kannibalenthum antraf — ſchwerlich nachweisbar! Und mehrere andre Muſchelhügel oder Sambaquis der Neuen Welt, ſie alle entweder keine, oder keine irgendwie ſichren Spuren von Menſchenknochen enthaltend, ſind von den ſie unterſuchenden Ge- lehrten ſogar noch für jünger erklärt worden. Der braſilianiſche Telegraphendirector Capanema hält die Sambaquis der Küſte Braſiliens für nicht viel älter als 2—300 Jahre; etwas weiter geht Profeſſor White zu Brunswick im Staate Maine in ſeinen die Küchenabfälle im Miſſiſſippithal betreffenden Erörterungen, doch will auch er betreffs einzelner dieſer Fundſtätten nur ein etwa 200- jähriges Alter ſtatuirt wiſſen. Gewiſſe ſüdcaliforniſche Muſchel- abfälle hat P. Schumacher in San Francisco einer entfernteren Urzeit zuzuweiſen verſucht, jedoch unter Widerſpruch von andrer Seite her.1) Von etwaigen Jndicien einſtigen Kannibalenthums iſt bei den Verhandlungen über dieſe nordamerikaniſchen Küchenabfälle überhaupt nicht die Rede. — Es gibt immer noch einzelne Ver- theidiger der Annahme einer urſprünglichen Allgemeinheit des Menſchenfreſſerthums (Wojedowski, Schaaffhauſen, Caspari, Karſten ꝛc.).2) Die Küchenabfälle ſpielen in ihren Argumentationen keine 1) S. Petermann’s Geogr. Mittheilungen 1874, VI, 228; Ausland 1873, Nr. 47, S. 956 f., ſowie Schumacher im Arch. f. Anthrop. 1876 (Bd. VIII), H. 3, S. 217 ff. (nebſt dem ſeinen Ausführungen widerſprechenden Redactions-Bermerk); auch denſelben in den Mittheilungen der Anthropolog. Geſellſch. zu Wien 1876, Nr. 10, ſowie in der Ztſchr. f. Ethnologie 1878, H. III, S. 183. 2) Vgl. beſ. Leop. Wojedowski (Prof. zu Odeſſa), in den Aufzeichnungen
der neuruſſ. Univerſität daſelbſt, 1874 u. 1875 (Magaz. f. Lit. des Auslands 1878, Nr. 15). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0181" n="171"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.</fw><lb/> älter als jene däniſchen und entbehrt der auf menſchliche Thätigkeit<lb/> zurückweiſenden Spuren meiſt ganz. Wirkliche Kannibalen-Kjökken-<lb/> möddinger ſollen die von Eſſequibo in Guyana ſein; man will in<lb/> ihnen zahlreiche zerbrochne Menſchenknochen gefunden haben. Aber<lb/> gerade für ſie ſcheint ein höheres Alter als das der Entdeckungszeit<lb/> Mittel- und Südamerika’s — wo ja Columbus ein in üppiger<lb/> Blüthe ſtehendes Kannibalenthum antraf — ſchwerlich nachweisbar!<lb/> Und mehrere andre Muſchelhügel oder Sambaquis der Neuen Welt,<lb/> ſie alle entweder keine, oder keine irgendwie ſichren Spuren von<lb/> Menſchenknochen enthaltend, ſind von den ſie unterſuchenden Ge-<lb/> lehrten ſogar noch für jünger erklärt worden. Der braſilianiſche<lb/> Telegraphendirector Capanema hält die Sambaquis der Küſte<lb/> Braſiliens für nicht viel älter als 2—300 Jahre; etwas weiter<lb/> geht Profeſſor White zu Brunswick im Staate Maine in ſeinen<lb/> die Küchenabfälle im Miſſiſſippithal betreffenden Erörterungen, doch<lb/> will auch er betreffs einzelner dieſer Fundſtätten nur ein etwa 200-<lb/> jähriges Alter ſtatuirt wiſſen. Gewiſſe ſüdcaliforniſche Muſchel-<lb/> abfälle hat P. Schumacher in San Francisco einer entfernteren<lb/> Urzeit zuzuweiſen verſucht, jedoch unter Widerſpruch von andrer<lb/> Seite her.<note place="foot" n="1)">S. <hi rendition="#g">Petermann’s</hi> Geogr. Mittheilungen 1874, <hi rendition="#aq">VI,</hi> 228; Ausland<lb/> 1873, Nr. 47, S. 956 f., ſowie <hi rendition="#g">Schumacher</hi> im Arch. f. Anthrop. 1876<lb/> (Bd. <hi rendition="#aq">VIII</hi>), H. 3, S. 217 ff. (nebſt dem ſeinen Ausführungen widerſprechenden<lb/> Redactions-Bermerk); auch denſelben in den Mittheilungen der Anthropolog.<lb/> Geſellſch. zu Wien 1876, Nr. 10, ſowie in der Ztſchr. f. Ethnologie 1878,<lb/> H. <hi rendition="#aq">III,</hi> S. 183.</note> Von etwaigen Jndicien einſtigen Kannibalenthums iſt<lb/> bei den Verhandlungen über dieſe nordamerikaniſchen Küchenabfälle<lb/> überhaupt nicht die Rede. — Es gibt immer noch einzelne Ver-<lb/> theidiger der Annahme einer urſprünglichen Allgemeinheit des<lb/> Menſchenfreſſerthums (Wojedowski, Schaaffhauſen, Caspari, Karſten<lb/> ꝛc.).<note place="foot" n="2)">Vgl. beſ. Leop. <hi rendition="#g">Wojedowski</hi> (Prof. zu Odeſſa), in den Aufzeichnungen<lb/> der neuruſſ. Univerſität daſelbſt, 1874 u. 1875 (Magaz. f. Lit. des Auslands<lb/> 1878, Nr. 15).</note> Die Küchenabfälle ſpielen in ihren Argumentationen keine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [171/0181]
V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.
älter als jene däniſchen und entbehrt der auf menſchliche Thätigkeit
zurückweiſenden Spuren meiſt ganz. Wirkliche Kannibalen-Kjökken-
möddinger ſollen die von Eſſequibo in Guyana ſein; man will in
ihnen zahlreiche zerbrochne Menſchenknochen gefunden haben. Aber
gerade für ſie ſcheint ein höheres Alter als das der Entdeckungszeit
Mittel- und Südamerika’s — wo ja Columbus ein in üppiger
Blüthe ſtehendes Kannibalenthum antraf — ſchwerlich nachweisbar!
Und mehrere andre Muſchelhügel oder Sambaquis der Neuen Welt,
ſie alle entweder keine, oder keine irgendwie ſichren Spuren von
Menſchenknochen enthaltend, ſind von den ſie unterſuchenden Ge-
lehrten ſogar noch für jünger erklärt worden. Der braſilianiſche
Telegraphendirector Capanema hält die Sambaquis der Küſte
Braſiliens für nicht viel älter als 2—300 Jahre; etwas weiter
geht Profeſſor White zu Brunswick im Staate Maine in ſeinen
die Küchenabfälle im Miſſiſſippithal betreffenden Erörterungen, doch
will auch er betreffs einzelner dieſer Fundſtätten nur ein etwa 200-
jähriges Alter ſtatuirt wiſſen. Gewiſſe ſüdcaliforniſche Muſchel-
abfälle hat P. Schumacher in San Francisco einer entfernteren
Urzeit zuzuweiſen verſucht, jedoch unter Widerſpruch von andrer
Seite her. 1) Von etwaigen Jndicien einſtigen Kannibalenthums iſt
bei den Verhandlungen über dieſe nordamerikaniſchen Küchenabfälle
überhaupt nicht die Rede. — Es gibt immer noch einzelne Ver-
theidiger der Annahme einer urſprünglichen Allgemeinheit des
Menſchenfreſſerthums (Wojedowski, Schaaffhauſen, Caspari, Karſten
ꝛc.). 2) Die Küchenabfälle ſpielen in ihren Argumentationen keine
1) S. Petermann’s Geogr. Mittheilungen 1874, VI, 228; Ausland
1873, Nr. 47, S. 956 f., ſowie Schumacher im Arch. f. Anthrop. 1876
(Bd. VIII), H. 3, S. 217 ff. (nebſt dem ſeinen Ausführungen widerſprechenden
Redactions-Bermerk); auch denſelben in den Mittheilungen der Anthropolog.
Geſellſch. zu Wien 1876, Nr. 10, ſowie in der Ztſchr. f. Ethnologie 1878,
H. III, S. 183.
2) Vgl. beſ. Leop. Wojedowski (Prof. zu Odeſſa), in den Aufzeichnungen
der neuruſſ. Univerſität daſelbſt, 1874 u. 1875 (Magaz. f. Lit. des Auslands
1878, Nr. 15).
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