Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.V. Prüfung der vorgeschichtlich-anthropologischen Gegeninstanzen. forscher Steenstrup (seit 1847) angenommen worden.1) Aber neuer-dings widersprechen sämmtliche competente Forscher dieser Annahme auf das Bestimmteste; sie leugnen es, daß die vereinzelt in den betr. Schutthügeln vorkommenden zerschlagenen oder aufgespaltenen Menschenknochen als sichre Spuren von Kannibalenmahlzeiten be- trachtet werden können. Virchow, Hellwald, Quatrefages, Zittel, K. Vogt, Bastian etc. nehmen die Kjökkenmöddinger von der Zahl der Orte, wo etwaige Spuren alter Anthropophagie angetroffen worden wären, entweder stillschweigend oder ausdrücklich aus. Ja Virchow geht -- hierin wohl weiter greifend als nöthig und einzelne notorische Thatsachen, z. B. die von Spring in der belgischen Höhle von Chauvaux wahrgenommenen übersehend -- so weit, die sämmt- lichen Beispiele eines ureuropäischen Kannibalismus, auf die man hie und da verwiesen hatte, für hinfällig zu erklären und demgemäß überhaupt "dabei stehen zu bleiben, daß die Anthropophagie kein nothwendiges Entwicklungsglied der Menschheit gewesen sei".2) So- fern er dabei jene dänischen Fundstätten mit im Auge hat, befindet er sich, wie jeder Unterrichtete dermalen weiß, unzweifelhaft im Rechte. Und für ein nur sehr mäßiges Alter derselben, das nicht bis in die Stein- oder Renthierzeit zurückreiche sondern wahrscheinlich zwischen diese und die Periode der europäischen Pfahlbauten zu setzen sei, hat sogar K. Vogt sich ausgesprochen.3) Was sonst von Küchen- abfall-Hügeln an verschiednen Küsten Europa's untersucht worden ist (in England, Schottland, Norwegen, Westfrankreich) ist keinenfalls 1) Vgl. Ausland 1870, S. 167; -- auch noch die unkritische Schrift von Wilh. Baer, Der vorgeschichtl. Mensch, Leipzig 1874, I, 185. 2) Virchow, Rede bei der Wiesbadener Naturforscher-Vers. 1873, s. das Tageblatt über diese Vers. (Wiesbaden 1873), S. 206. Vgl. sonst v. Hell- wald, Culturgeschichte, S. 26; Zittel, Aus d. Urzeit, S. 530; Quatre- fages, D. Menschengeschlecht I, 154 ff.; Bastian, in der Zeitschr. f. Ethnol., Bd. I, S. 386. 3) K. Vogt, Vorlesungen über den Menschen, Gießen 1863, II, 112 ff.,
sowie: "Ein Blick auf die Urzeiten des Menschengeschlechts", im Archiv f. An- thropol. Bd. I, 1867, S. 39. V. Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen. forſcher Steenſtrup (ſeit 1847) angenommen worden.1) Aber neuer-dings widerſprechen ſämmtliche competente Forſcher dieſer Annahme auf das Beſtimmteſte; ſie leugnen es, daß die vereinzelt in den betr. Schutthügeln vorkommenden zerſchlagenen oder aufgeſpaltenen Menſchenknochen als ſichre Spuren von Kannibalenmahlzeiten be- trachtet werden können. Virchow, Hellwald, Quatrefages, Zittel, K. Vogt, Baſtian ꝛc. nehmen die Kjökkenmöddinger von der Zahl der Orte, wo etwaige Spuren alter Anthropophagie angetroffen worden wären, entweder ſtillſchweigend oder ausdrücklich aus. Ja Virchow geht — hierin wohl weiter greifend als nöthig und einzelne notoriſche Thatſachen, z. B. die von Spring in der belgiſchen Höhle von Chauvaux wahrgenommenen überſehend — ſo weit, die ſämmt- lichen Beiſpiele eines ureuropäiſchen Kannibalismus, auf die man hie und da verwieſen hatte, für hinfällig zu erklären und demgemäß überhaupt „dabei ſtehen zu bleiben, daß die Anthropophagie kein nothwendiges Entwicklungsglied der Menſchheit geweſen ſei‟.2) So- fern er dabei jene däniſchen Fundſtätten mit im Auge hat, befindet er ſich, wie jeder Unterrichtete dermalen weiß, unzweifelhaft im Rechte. Und für ein nur ſehr mäßiges Alter derſelben, das nicht bis in die Stein- oder Renthierzeit zurückreiche ſondern wahrſcheinlich zwiſchen dieſe und die Periode der europäiſchen Pfahlbauten zu ſetzen ſei, hat ſogar K. Vogt ſich ausgeſprochen.3) Was ſonſt von Küchen- abfall-Hügeln an verſchiednen Küſten Europa’s unterſucht worden iſt (in England, Schottland, Norwegen, Weſtfrankreich) iſt keinenfalls 1) Vgl. Ausland 1870, S. 167; — auch noch die unkritiſche Schrift von Wilh. Baer, Der vorgeſchichtl. Menſch, Leipzig 1874, I, 185. 2) Virchow, Rede bei der Wiesbadener Naturforſcher-Verſ. 1873, ſ. das Tageblatt über dieſe Verſ. (Wiesbaden 1873), S. 206. Vgl. ſonſt v. Hell- wald, Culturgeſchichte, S. 26; Zittel, Aus d. Urzeit, S. 530; Quatre- fages, D. Menſchengeſchlecht I, 154 ff.; Baſtian, in der Zeitſchr. f. Ethnol., Bd. I, S. 386. 3) K. Vogt, Vorleſungen über den Menſchen, Gießen 1863, II, 112 ff.,
ſowie: „Ein Blick auf die Urzeiten des Menſchengeſchlechts‟, im Archiv f. An- thropol. Bd. I, 1867, S. 39. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0180" n="170"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Prüfung der vorgeſchichtlich-anthropologiſchen Gegeninſtanzen.</fw><lb/> forſcher Steenſtrup (ſeit 1847) angenommen worden.<note place="foot" n="1)">Vgl. Ausland 1870, S. 167; — auch noch die unkritiſche Schrift von<lb/> Wilh. <hi rendition="#g">Baer,</hi> Der vorgeſchichtl. Menſch, Leipzig 1874, <hi rendition="#aq">I,</hi> 185.</note> Aber neuer-<lb/> dings widerſprechen ſämmtliche competente Forſcher dieſer Annahme<lb/> auf das Beſtimmteſte; ſie leugnen es, daß die vereinzelt in den<lb/> betr. Schutthügeln vorkommenden zerſchlagenen oder aufgeſpaltenen<lb/> Menſchenknochen als ſichre Spuren von Kannibalenmahlzeiten be-<lb/> trachtet werden können. Virchow, Hellwald, Quatrefages, Zittel,<lb/> K. Vogt, Baſtian ꝛc. nehmen die Kjökkenmöddinger von der Zahl<lb/> der Orte, wo etwaige Spuren alter Anthropophagie angetroffen<lb/> worden wären, entweder ſtillſchweigend oder ausdrücklich aus. Ja<lb/> Virchow geht — hierin wohl weiter greifend als nöthig und einzelne<lb/> notoriſche Thatſachen, z. B. die von Spring in der belgiſchen Höhle<lb/> von Chauvaux wahrgenommenen überſehend — ſo weit, die ſämmt-<lb/> lichen Beiſpiele eines ureuropäiſchen Kannibalismus, auf die man<lb/> hie und da verwieſen hatte, für hinfällig zu erklären und demgemäß<lb/> überhaupt „dabei ſtehen zu bleiben, daß die Anthropophagie kein<lb/> nothwendiges Entwicklungsglied der Menſchheit geweſen ſei‟.<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Virchow,</hi> Rede bei der Wiesbadener Naturforſcher-Verſ. 1873, ſ. das<lb/> Tageblatt über dieſe Verſ. (Wiesbaden 1873), S. 206. Vgl. ſonſt v. <hi rendition="#g">Hell-<lb/> wald,</hi> Culturgeſchichte, S. 26; <hi rendition="#g">Zittel,</hi> Aus d. Urzeit, S. 530; <hi rendition="#g">Quatre-<lb/> fages,</hi> D. Menſchengeſchlecht <hi rendition="#aq">I,</hi> 154 ff.; <hi rendition="#g">Baſtian,</hi> in der Zeitſchr. f. Ethnol.,<lb/> Bd. <hi rendition="#aq">I,</hi> S. 386.</note> So-<lb/> fern er dabei jene däniſchen Fundſtätten mit im Auge hat, befindet<lb/> er ſich, wie jeder Unterrichtete dermalen weiß, unzweifelhaft im<lb/> Rechte. Und für ein nur ſehr mäßiges Alter derſelben, das <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/> bis in die Stein- oder Renthierzeit zurückreiche ſondern wahrſcheinlich<lb/> zwiſchen dieſe und die Periode der europäiſchen Pfahlbauten zu ſetzen<lb/> ſei, hat ſogar K. Vogt ſich ausgeſprochen.<note place="foot" n="3)">K. <hi rendition="#g">Vogt,</hi> Vorleſungen über den Menſchen, Gießen 1863, <hi rendition="#aq">II,</hi> 112 ff.,<lb/> ſowie: „Ein Blick auf die Urzeiten des Menſchengeſchlechts‟, im Archiv f. An-<lb/> thropol. Bd. <hi rendition="#aq">I,</hi> 1867, S. 39.</note> Was ſonſt von Küchen-<lb/> abfall-Hügeln an verſchiednen Küſten Europa’s unterſucht worden<lb/> iſt (in England, Schottland, Norwegen, Weſtfrankreich) iſt keinenfalls<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [170/0180]
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dings widerſprechen ſämmtliche competente Forſcher dieſer Annahme
auf das Beſtimmteſte; ſie leugnen es, daß die vereinzelt in den
betr. Schutthügeln vorkommenden zerſchlagenen oder aufgeſpaltenen
Menſchenknochen als ſichre Spuren von Kannibalenmahlzeiten be-
trachtet werden können. Virchow, Hellwald, Quatrefages, Zittel,
K. Vogt, Baſtian ꝛc. nehmen die Kjökkenmöddinger von der Zahl
der Orte, wo etwaige Spuren alter Anthropophagie angetroffen
worden wären, entweder ſtillſchweigend oder ausdrücklich aus. Ja
Virchow geht — hierin wohl weiter greifend als nöthig und einzelne
notoriſche Thatſachen, z. B. die von Spring in der belgiſchen Höhle
von Chauvaux wahrgenommenen überſehend — ſo weit, die ſämmt-
lichen Beiſpiele eines ureuropäiſchen Kannibalismus, auf die man
hie und da verwieſen hatte, für hinfällig zu erklären und demgemäß
überhaupt „dabei ſtehen zu bleiben, daß die Anthropophagie kein
nothwendiges Entwicklungsglied der Menſchheit geweſen ſei‟. 2) So-
fern er dabei jene däniſchen Fundſtätten mit im Auge hat, befindet
er ſich, wie jeder Unterrichtete dermalen weiß, unzweifelhaft im
Rechte. Und für ein nur ſehr mäßiges Alter derſelben, das nicht
bis in die Stein- oder Renthierzeit zurückreiche ſondern wahrſcheinlich
zwiſchen dieſe und die Periode der europäiſchen Pfahlbauten zu ſetzen
ſei, hat ſogar K. Vogt ſich ausgeſprochen. 3) Was ſonſt von Küchen-
abfall-Hügeln an verſchiednen Küſten Europa’s unterſucht worden
iſt (in England, Schottland, Norwegen, Weſtfrankreich) iſt keinenfalls
1) Vgl. Ausland 1870, S. 167; — auch noch die unkritiſche Schrift von
Wilh. Baer, Der vorgeſchichtl. Menſch, Leipzig 1874, I, 185.
2) Virchow, Rede bei der Wiesbadener Naturforſcher-Verſ. 1873, ſ. das
Tageblatt über dieſe Verſ. (Wiesbaden 1873), S. 206. Vgl. ſonſt v. Hell-
wald, Culturgeſchichte, S. 26; Zittel, Aus d. Urzeit, S. 530; Quatre-
fages, D. Menſchengeſchlecht I, 154 ff.; Baſtian, in der Zeitſchr. f. Ethnol.,
Bd. I, S. 386.
3) K. Vogt, Vorleſungen über den Menſchen, Gießen 1863, II, 112 ff.,
ſowie: „Ein Blick auf die Urzeiten des Menſchengeſchlechts‟, im Archiv f. An-
thropol. Bd. I, 1867, S. 39.
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