Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen. Wahr ist's: die sprachvergleichende Wissenschaft hat bis jetzt 1) Friedr. Müller, Grundriß der allgemeinen Sprachwissenschaft, Bd. I,
Wien 1876. VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. Wahr iſt’s: die ſprachvergleichende Wiſſenſchaft hat bis jetzt 1) Friedr. Müller, Grundriß der allgemeinen Sprachwiſſenſchaft, Bd. I,
Wien 1876. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0196" n="186"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.</fw><lb/> <p>Wahr iſt’s: die ſprachvergleichende Wiſſenſchaft hat bis jetzt<lb/> zur Erweiſung einer allgemeinen Verwandtſchaft und genealogiſchen<lb/> Ureinheit der Sprachen nichts Entſcheidendes beizutragen vermocht.<lb/> Jene Muthmaaßung, daß die aſynthetiſchen, oder jedenfalls die poly-<lb/> ſynthetiſchen Jdiome degradirte oder gleichſam verwitterte Flexions-<lb/> ſprachen ſeien, iſt weſentlich nur Poſtulat, allerdings wahrſcheinlicher<lb/> und durch reichlichere Analogien gedeckt, als die umgekehrte Hypotheſe,<lb/> aber immerhin der directen wiſſenſchaftlichen Begründung entbehrend.<lb/> Ja ſelbſt innerhalb jener drei Hauptſprachgruppen gibt es der Fälle<lb/> eines gänzlichen Mangels von Spuren genealogiſchen Zuſammenhangs<lb/> der Sprachen oder Sprachſtämme miteinander zahlreichere als der-<lb/> jenigen des Gegentheils. Die zahlreichen Familien des theils in<lb/> Amerika, theils in Aſien und Oſteuropa mächtig ausgebreiteten<lb/> agglutinirenden Sprachengeſchlechts auf eine Ureinheit zurückzuführen,<lb/> ſcheint ſchlechthin unmöglich; und ſelbſt innerhalb der flectirenden<lb/> Sprachengruppe gelten die Kluft zwiſchen ariſchen und ſemitiſchen,<lb/> oder auch die zwiſchen hamitiſchen und ariſchen Jdiomen manchen<lb/> Linguiſten für unausfüllbar, die einzelnen Beiſpiele von Wurzel-<lb/> verwandtſchaften zwiſchen denſelben, die man geſammelt hat, für<lb/> nichts beweiſend. — Man hat dieß vielfach zu Ungunſten der<lb/> Annahme eines einheitlichen Urſprungs unſeres Geſchlechts zu ver-<lb/> werthen geſucht und würde, falls der Einwurf in der That gegründet<lb/> und zwingend zu nennen wäre, ebendamit auch dem Glauben an<lb/> einen paradieſiſchen Urſtand ernſtliche Schwierigkeiten bereiten. Doch<lb/> fehlt viel daran, daß jenes Unvermögen der Sprachforſchung, die<lb/> verſchiednen Sprachſtämme als urverwandt darzuthun, irgendwie als<lb/> entſcheidendes Zeugniß gegen den einheitlichen Urſprung der Menſchheit<lb/> gelten könnte. Und beliefen ſich die iſolirt ſtehenden, gegenüber jedem<lb/> Genealogiſirungsſtreben ſich abſolut ſpröde verhaltenden Sprachſtämme<lb/> in der That auf die hohe Zahl von nicht weniger als 78, welche eine<lb/> der eifrigſten Darwiniſten unter den modernen Sprachgelehrten angibt:<note place="foot" n="1)">Friedr. <hi rendition="#g">Müller,</hi> Grundriß der allgemeinen Sprachwiſſenſchaft, Bd. <hi rendition="#aq">I,</hi><lb/> Wien 1876.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [186/0196]
VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
Wahr iſt’s: die ſprachvergleichende Wiſſenſchaft hat bis jetzt
zur Erweiſung einer allgemeinen Verwandtſchaft und genealogiſchen
Ureinheit der Sprachen nichts Entſcheidendes beizutragen vermocht.
Jene Muthmaaßung, daß die aſynthetiſchen, oder jedenfalls die poly-
ſynthetiſchen Jdiome degradirte oder gleichſam verwitterte Flexions-
ſprachen ſeien, iſt weſentlich nur Poſtulat, allerdings wahrſcheinlicher
und durch reichlichere Analogien gedeckt, als die umgekehrte Hypotheſe,
aber immerhin der directen wiſſenſchaftlichen Begründung entbehrend.
Ja ſelbſt innerhalb jener drei Hauptſprachgruppen gibt es der Fälle
eines gänzlichen Mangels von Spuren genealogiſchen Zuſammenhangs
der Sprachen oder Sprachſtämme miteinander zahlreichere als der-
jenigen des Gegentheils. Die zahlreichen Familien des theils in
Amerika, theils in Aſien und Oſteuropa mächtig ausgebreiteten
agglutinirenden Sprachengeſchlechts auf eine Ureinheit zurückzuführen,
ſcheint ſchlechthin unmöglich; und ſelbſt innerhalb der flectirenden
Sprachengruppe gelten die Kluft zwiſchen ariſchen und ſemitiſchen,
oder auch die zwiſchen hamitiſchen und ariſchen Jdiomen manchen
Linguiſten für unausfüllbar, die einzelnen Beiſpiele von Wurzel-
verwandtſchaften zwiſchen denſelben, die man geſammelt hat, für
nichts beweiſend. — Man hat dieß vielfach zu Ungunſten der
Annahme eines einheitlichen Urſprungs unſeres Geſchlechts zu ver-
werthen geſucht und würde, falls der Einwurf in der That gegründet
und zwingend zu nennen wäre, ebendamit auch dem Glauben an
einen paradieſiſchen Urſtand ernſtliche Schwierigkeiten bereiten. Doch
fehlt viel daran, daß jenes Unvermögen der Sprachforſchung, die
verſchiednen Sprachſtämme als urverwandt darzuthun, irgendwie als
entſcheidendes Zeugniß gegen den einheitlichen Urſprung der Menſchheit
gelten könnte. Und beliefen ſich die iſolirt ſtehenden, gegenüber jedem
Genealogiſirungsſtreben ſich abſolut ſpröde verhaltenden Sprachſtämme
in der That auf die hohe Zahl von nicht weniger als 78, welche eine
der eifrigſten Darwiniſten unter den modernen Sprachgelehrten angibt: 1)
1) Friedr. Müller, Grundriß der allgemeinen Sprachwiſſenſchaft, Bd. I,
Wien 1876.
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