Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen. gegen die Annahme einer Ureinheit unsrer Race würde auch damitkein durchschlagender Gegengrund aufgebracht sein. Mangelnde Sprachverwandtschaft gilt besonnener wissenschaftlicher Forschung längst nicht mehr als gleichbedeutend mit mangelnder Stamm- verwandtschaft. Es verhält sich mit der Gruppirung der Stämme nach ihren Sprachen anerkanntermaaßen wie mit der Classification nach Schädelformen: das eine dieser Verwandtschaftsmerkmale ist so unzuverlässig wie das andre; beide Maaßstäbe sind durchaus veränderlicher Art. Der Beispiele für einen thatsächlich stattgehabten Sprachenaustausch, kraft dessen kleinere oder mächtigere Stämme ihr anererbtes Jdiom mehr oder minder vollständig preisgaben, um das eines höher cultivirten Nachbarvolks dafür einzutauschen, sind aus älterer wie neuerer Zeit von den semitisirten Phönikern an bis zu den walaysirten Bulgaren, den arabisirten Berbern Marokko's und den analysirten Chinesen auf Borneo -- zahlreiche nachgewiesen worden. Nicht minder wird der Fall, daß der Wortvorrath mancher Sprachen durch Despotenlaune oder sonstige tyrannische Willkür (wie die Tepi oder Sprach-Umwandlung auf Tahiti und andres Aehnliche auf den Südseeinseln) binnen Kurzem die erheblichsten Umgestaltungen erfährt, durch eine ziemliche Zahl von Beispielen illustrirt. Noch reichlichere Fälle einerseits vom Hervorgehen neuer Sprachen aus rothwelsch-artigen Mischdialecten oder Jargons (wie die jetzige Zi- geunersprache, das Pirschen-Englisch in China und Britisch-Columbia, der Oregon-Jargon, der franco-anglo-chinesische Jargon auf Neu- caledonien etc.), andrerseits von der Ausbildung eigenthümlicher Jdiome in Folge vielhundertjähriger Jsolirung kleinerer Stämme (wie z. B. in den Gebirgsthälern der Pyrenäen und Alpen, sowie mehr noch in denen des Kaukasus, des Himalaya etc.), sind durch die historische Sprachforschung constatirt worden. Ganz so gut, wie die unter den Einflüssen theils des Klima theils gewisser conventioneller Unsitten: künstlicher Umformungen, Plattdrückungen, Einschnürungen etc., wech- selnden Schädeltypen, ja wohl noch in höherem Grade als sie, bilden die Spracheigenthümlichkeiten ein veränderliches, unsichres, als Mittel VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. gegen die Annahme einer Ureinheit unſrer Race würde auch damitkein durchſchlagender Gegengrund aufgebracht ſein. Mangelnde Sprachverwandtſchaft gilt beſonnener wiſſenſchaftlicher Forſchung längſt nicht mehr als gleichbedeutend mit mangelnder Stamm- verwandtſchaft. Es verhält ſich mit der Gruppirung der Stämme nach ihren Sprachen anerkanntermaaßen wie mit der Claſſification nach Schädelformen: das eine dieſer Verwandtſchaftsmerkmale iſt ſo unzuverläſſig wie das andre; beide Maaßſtäbe ſind durchaus veränderlicher Art. Der Beiſpiele für einen thatſächlich ſtattgehabten Sprachenaustauſch, kraft deſſen kleinere oder mächtigere Stämme ihr anererbtes Jdiom mehr oder minder vollſtändig preisgaben, um das eines höher cultivirten Nachbarvolks dafür einzutauſchen, ſind aus älterer wie neuerer Zeit von den ſemitiſirten Phönikern an bis zu den walayſirten Bulgaren, den arabiſirten Berbern Marokko’s und den analyſirten Chineſen auf Borneo — zahlreiche nachgewieſen worden. Nicht minder wird der Fall, daß der Wortvorrath mancher Sprachen durch Despotenlaune oder ſonſtige tyranniſche Willkür (wie die Tepi oder Sprach-Umwandlung auf Tahiti und andres Aehnliche auf den Südſeeinſeln) binnen Kurzem die erheblichſten Umgeſtaltungen erfährt, durch eine ziemliche Zahl von Beiſpielen illuſtrirt. Noch reichlichere Fälle einerſeits vom Hervorgehen neuer Sprachen aus rothwelſch-artigen Miſchdialecten oder Jargons (wie die jetzige Zi- geunerſprache, das Pirſchen-Engliſch in China und Britiſch-Columbia, der Oregon-Jargon, der franco-anglo-chineſiſche Jargon auf Neu- caledonien ꝛc.), andrerſeits von der Ausbildung eigenthümlicher Jdiome in Folge vielhundertjähriger Jſolirung kleinerer Stämme (wie z. B. in den Gebirgsthälern der Pyrenäen und Alpen, ſowie mehr noch in denen des Kaukaſus, des Himalaya ꝛc.), ſind durch die hiſtoriſche Sprachforſchung conſtatirt worden. Ganz ſo gut, wie die unter den Einflüſſen theils des Klima theils gewiſſer conventioneller Unſitten: künſtlicher Umformungen, Plattdrückungen, Einſchnürungen ꝛc., wech- ſelnden Schädeltypen, ja wohl noch in höherem Grade als ſie, bilden die Spracheigenthümlichkeiten ein veränderliches, unſichres, als Mittel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0197" n="187"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.</fw><lb/> gegen die Annahme einer Ureinheit unſrer Race würde auch damit<lb/> kein durchſchlagender Gegengrund aufgebracht ſein. Mangelnde<lb/> Sprachverwandtſchaft gilt beſonnener wiſſenſchaftlicher Forſchung<lb/> längſt nicht mehr als gleichbedeutend mit mangelnder Stamm-<lb/> verwandtſchaft. 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VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
gegen die Annahme einer Ureinheit unſrer Race würde auch damit
kein durchſchlagender Gegengrund aufgebracht ſein. Mangelnde
Sprachverwandtſchaft gilt beſonnener wiſſenſchaftlicher Forſchung
längſt nicht mehr als gleichbedeutend mit mangelnder Stamm-
verwandtſchaft. Es verhält ſich mit der Gruppirung der Stämme
nach ihren Sprachen anerkanntermaaßen wie mit der Claſſification
nach Schädelformen: das eine dieſer Verwandtſchaftsmerkmale iſt
ſo unzuverläſſig wie das andre; beide Maaßſtäbe ſind durchaus
veränderlicher Art. Der Beiſpiele für einen thatſächlich ſtattgehabten
Sprachenaustauſch, kraft deſſen kleinere oder mächtigere Stämme ihr
anererbtes Jdiom mehr oder minder vollſtändig preisgaben, um das
eines höher cultivirten Nachbarvolks dafür einzutauſchen, ſind aus
älterer wie neuerer Zeit von den ſemitiſirten Phönikern an bis zu
den walayſirten Bulgaren, den arabiſirten Berbern Marokko’s und
den analyſirten Chineſen auf Borneo — zahlreiche nachgewieſen
worden. Nicht minder wird der Fall, daß der Wortvorrath mancher
Sprachen durch Despotenlaune oder ſonſtige tyranniſche Willkür (wie
die Tepi oder Sprach-Umwandlung auf Tahiti und andres Aehnliche
auf den Südſeeinſeln) binnen Kurzem die erheblichſten Umgeſtaltungen
erfährt, durch eine ziemliche Zahl von Beiſpielen illuſtrirt. Noch
reichlichere Fälle einerſeits vom Hervorgehen neuer Sprachen aus
rothwelſch-artigen Miſchdialecten oder Jargons (wie die jetzige Zi-
geunerſprache, das Pirſchen-Engliſch in China und Britiſch-Columbia,
der Oregon-Jargon, der franco-anglo-chineſiſche Jargon auf Neu-
caledonien ꝛc.), andrerſeits von der Ausbildung eigenthümlicher Jdiome
in Folge vielhundertjähriger Jſolirung kleinerer Stämme (wie z. B.
in den Gebirgsthälern der Pyrenäen und Alpen, ſowie mehr noch
in denen des Kaukaſus, des Himalaya ꝛc.), ſind durch die hiſtoriſche
Sprachforſchung conſtatirt worden. Ganz ſo gut, wie die unter den
Einflüſſen theils des Klima theils gewiſſer conventioneller Unſitten:
künſtlicher Umformungen, Plattdrückungen, Einſchnürungen ꝛc., wech-
ſelnden Schädeltypen, ja wohl noch in höherem Grade als ſie, bilden
die Spracheigenthümlichkeiten ein veränderliches, unſichres, als Mittel
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