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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VI. Sprach-, religions- und culturgeschichtliche Jnstanzen.
aus der Luft gegriffen: die Behauptung, daß es religionslose Völker
gebe, und die Voraussetzung, daß wenn solche Völker jetzt nach-
gewiesen würden, sich daraus ein Rückschluß auf die Urzeit unsres
Geschlechts ziehen ließe.

Von wie vielen Völkern ist nicht schon auf Grund flüchtiger
Beobachtung seitens Reisender, die nicht einmal sich zuverlässige
Kenntniß ihrer Sprache verschafft hatten, behauptet worden, sie ent-
behrten jedweder Vorstellung von Gott, Jenseits, Vergeltung, aller
religiösen Gebräuche u. s. w., während tieferes Eindringen in den
Schatz ihrer Sprache, Sitten und Ueberlieferungen jedesmal das
Gegentheil an den Tag brachte! Von verschiednen Eingeborenen-
Stämmen Neuhollands ist behauptet worden, es fehle ihnen jedes
Element religiösen Glaubens und Handelns. Aber Schritt für
Schritt hat genauere Erforschung widerlegende Jnstanzen hiegegen zu
Tage gefördert, vom bösen Schlangengeiste Budyah der Queenslander
an, bis zu dem Schöpfergotte Bhaiami der Kamilarois in Neusüd-
wales und den Waldfeen und Wassernixen (Balumbals und Wan-
guls) eines ihnen benachbarten Stammes, den man auch eine Zeitlang
für absolut atheistisch ausgegeben hatte. Jn Bezug auf die kopf-
abschneidenden Dayacks auf Borneo hatte der Radscha James Brooke
längere Zeit gemeint, sie seien völlig religionslos, bis genauere
Kenntniß ihn diese Meinung zu widerrufen nöthigte. Bezüglich der
Kolhs-Stämme in Bengalen hatte Missionar Jellinghaus, überein-
stimmend mit einer weit verbreiteten Ansicht, angenommen, es mangle
ihnen jede Spur von Religion; tieferes Eindringen ins Studium
ihrer Sprachen und Sitten belehrte ihn jedoch dahin: nicht sowohl
Gottesleugnung, als vielmehr "Jgnorirung Gottes (Röm. 1, 28--31)",
bei gleichzeitiger "Verehrung von Naturkräften und geheimnißvollen
dämonischen Mächten durch Zauberei und zauberische Opfer", sei
das Wesen des Heidenthums dieser Stämme. Auch den Hotten-
totten und verschiednen Kaffernstämmen Südafrikas hatten manche
der anfänglich unter ihnen wirkenden Missionare, wie Campbell, van
der Kemp, theilweise auch Moffat, alle bestimmter lautende religiöse

VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen.
aus der Luft gegriffen: die Behauptung, daß es religionsloſe Völker
gebe, und die Vorausſetzung, daß wenn ſolche Völker jetzt nach-
gewieſen würden, ſich daraus ein Rückſchluß auf die Urzeit unſres
Geſchlechts ziehen ließe.

Von wie vielen Völkern iſt nicht ſchon auf Grund flüchtiger
Beobachtung ſeitens Reiſender, die nicht einmal ſich zuverläſſige
Kenntniß ihrer Sprache verſchafft hatten, behauptet worden, ſie ent-
behrten jedweder Vorſtellung von Gott, Jenſeits, Vergeltung, aller
religiöſen Gebräuche u. ſ. w., während tieferes Eindringen in den
Schatz ihrer Sprache, Sitten und Ueberlieferungen jedesmal das
Gegentheil an den Tag brachte! Von verſchiednen Eingeborenen-
Stämmen Neuhollands iſt behauptet worden, es fehle ihnen jedes
Element religiöſen Glaubens und Handelns. Aber Schritt für
Schritt hat genauere Erforſchung widerlegende Jnſtanzen hiegegen zu
Tage gefördert, vom böſen Schlangengeiſte Budyah der Queenslander
an, bis zu dem Schöpfergotte Bhaiami der Kamilarois in Neuſüd-
wales und den Waldfeen und Waſſernixen (Balumbals und Wan-
guls) eines ihnen benachbarten Stammes, den man auch eine Zeitlang
für abſolut atheiſtiſch ausgegeben hatte. Jn Bezug auf die kopf-
abſchneidenden Dayacks auf Borneo hatte der Radſcha James Brooke
längere Zeit gemeint, ſie ſeien völlig religionslos, bis genauere
Kenntniß ihn dieſe Meinung zu widerrufen nöthigte. Bezüglich der
Kolhs-Stämme in Bengalen hatte Miſſionar Jellinghaus, überein-
ſtimmend mit einer weit verbreiteten Anſicht, angenommen, es mangle
ihnen jede Spur von Religion; tieferes Eindringen ins Studium
ihrer Sprachen und Sitten belehrte ihn jedoch dahin: nicht ſowohl
Gottesleugnung, als vielmehr „Jgnorirung Gottes (Röm. 1, 28—31)‟,
bei gleichzeitiger „Verehrung von Naturkräften und geheimnißvollen
dämoniſchen Mächten durch Zauberei und zauberiſche Opfer‟, ſei
das Weſen des Heidenthums dieſer Stämme. Auch den Hotten-
totten und verſchiednen Kaffernſtämmen Südafrikas hatten manche
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der Kemp, theilweiſe auch Moffat, alle beſtimmter lautende religiöſe

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[192/0202] VI. Sprach-, religions- und culturgeſchichtliche Jnſtanzen. aus der Luft gegriffen: die Behauptung, daß es religionsloſe Völker gebe, und die Vorausſetzung, daß wenn ſolche Völker jetzt nach- gewieſen würden, ſich daraus ein Rückſchluß auf die Urzeit unſres Geſchlechts ziehen ließe. Von wie vielen Völkern iſt nicht ſchon auf Grund flüchtiger Beobachtung ſeitens Reiſender, die nicht einmal ſich zuverläſſige Kenntniß ihrer Sprache verſchafft hatten, behauptet worden, ſie ent- behrten jedweder Vorſtellung von Gott, Jenſeits, Vergeltung, aller religiöſen Gebräuche u. ſ. w., während tieferes Eindringen in den Schatz ihrer Sprache, Sitten und Ueberlieferungen jedesmal das Gegentheil an den Tag brachte! Von verſchiednen Eingeborenen- Stämmen Neuhollands iſt behauptet worden, es fehle ihnen jedes Element religiöſen Glaubens und Handelns. Aber Schritt für Schritt hat genauere Erforſchung widerlegende Jnſtanzen hiegegen zu Tage gefördert, vom böſen Schlangengeiſte Budyah der Queenslander an, bis zu dem Schöpfergotte Bhaiami der Kamilarois in Neuſüd- wales und den Waldfeen und Waſſernixen (Balumbals und Wan- guls) eines ihnen benachbarten Stammes, den man auch eine Zeitlang für abſolut atheiſtiſch ausgegeben hatte. Jn Bezug auf die kopf- abſchneidenden Dayacks auf Borneo hatte der Radſcha James Brooke längere Zeit gemeint, ſie ſeien völlig religionslos, bis genauere Kenntniß ihn dieſe Meinung zu widerrufen nöthigte. Bezüglich der Kolhs-Stämme in Bengalen hatte Miſſionar Jellinghaus, überein- ſtimmend mit einer weit verbreiteten Anſicht, angenommen, es mangle ihnen jede Spur von Religion; tieferes Eindringen ins Studium ihrer Sprachen und Sitten belehrte ihn jedoch dahin: nicht ſowohl Gottesleugnung, als vielmehr „Jgnorirung Gottes (Röm. 1, 28—31)‟, bei gleichzeitiger „Verehrung von Naturkräften und geheimnißvollen dämoniſchen Mächten durch Zauberei und zauberiſche Opfer‟, ſei das Weſen des Heidenthums dieſer Stämme. Auch den Hotten- totten und verſchiednen Kaffernſtämmen Südafrikas hatten manche der anfänglich unter ihnen wirkenden Miſſionare, wie Campbell, van der Kemp, theilweiſe auch Moffat, alle beſtimmter lautende religiöſe

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/202>, abgerufen am 22.11.2024.