Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

VII. Der Ursitz des Menschengeschlechts.
dann Klaproth, de Gobineau, George Browne,1) sowie der jüngst
verstorbene radikale Berliner Naturphilosoph Ph. Spiller, der sich
darin gefiel, speciell Grönland für den wahrscheinlichen Entstehungsort
der Menschheit zu erklären, "weil die Hochgebirge und die Polar-
gegenden nach einer hinreichenden Abkühlung des Erdkörpers zuerst
bewohnbar gewesen seien." Ferner gehört hieher die auf Europa,
als den Erdtheil wo der stupide Affe sich zuerst (im Kampf mit
den Unbilden eines kalten Klima) zum denkenden Menschen fort-
gebildet hätte, lautende Hypothese Mor. Wagners, sammt ihren
verschiednen Abwandlungen, welche bald Steiermark zur Zeit der
Braunkohlenbildung (Unger), bald Deutschland (L. Geiger), bald
Skythien oder Südrußland (J. G. Cuno, Spiegel), bald die aus-
gedehnte westpreußische Sumpfregion zwischen Dniepr und Niemen
(Poesche), bald Mitteleuropa ohne nähere Bestimmung (Latham,
Benfey, Whitney etc.) als muthmaaßliche Urheimath wenn nicht unsres
Geschlechts überhaupt so doch der dominirenden indogermanischen
Race ansehen. Aehnlich sind die auf Afrika als Ursitz der Mensch-
heit rathenden Speculationen Mehrerer zu beurtheilen, z. B. Dar-
wins und Huxleys, wegen ihrer Herleitung des menschlichen Stamm-
baumes von den schmalnasigen Affen Gorilla und Chimpanse; auch
Osc. Peschels, Leo Reinisch' und Robert Hartmann's.2) -- Unter
den der Descendenzlehre ergebenen Zoologen und Ethnologen hat
jüngst die Lemurien-Hypothese (s. oben, Nr. IV) besonders starken
Anhang gefunden (Häckel, Osc. Schmidt, v. Hellwald, Alb. Heim,
Thomassen, etc. etc.). Einiges Geologische, Thier- und Pflanzengeo-

1) Jn der phantastisch abenteuerlichen, vielleicht scherzhaft gemeinten Schrift:
"Paläorama; oceanisch-amerikanische Untersuchungeu und Aufklärungen zur bibl.
Urgeschichte", Erlangen 1867.
2) Vgl. O. Peschel, Neue Probleme der vergl. Erdkunde 1869 (wo zwischen
Centralafrika und Hinterindien als menschl. Ursitze die Wahl gelassen ist); Leo
Reinisch,
Der einheitliche Ursprung der Sprachen der alten Welt, etc. Wien
1873; Rob. Hartmann, Die Nigritier, Bd. I, 1876 -- die beiden Letzteren
theils aus linguistischen theils aus ethnologischen Gründen für Centralafrika.

VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts.
dann Klaproth, de Gobineau, George Browne,1) ſowie der jüngſt
verſtorbene radikale Berliner Naturphiloſoph Ph. Spiller, der ſich
darin gefiel, ſpeciell Grönland für den wahrſcheinlichen Entſtehungsort
der Menſchheit zu erklären, „weil die Hochgebirge und die Polar-
gegenden nach einer hinreichenden Abkühlung des Erdkörpers zuerſt
bewohnbar geweſen ſeien.‟ Ferner gehört hieher die auf Europa,
als den Erdtheil wo der ſtupide Affe ſich zuerſt (im Kampf mit
den Unbilden eines kalten Klima) zum denkenden Menſchen fort-
gebildet hätte, lautende Hypotheſe Mor. Wagners, ſammt ihren
verſchiednen Abwandlungen, welche bald Steiermark zur Zeit der
Braunkohlenbildung (Unger), bald Deutſchland (L. Geiger), bald
Skythien oder Südrußland (J. G. Cuno, Spiegel), bald die aus-
gedehnte weſtpreußiſche Sumpfregion zwiſchen Dniepr und Niemen
(Poeſche), bald Mitteleuropa ohne nähere Beſtimmung (Latham,
Benfey, Whitney ꝛc.) als muthmaaßliche Urheimath wenn nicht unſres
Geſchlechts überhaupt ſo doch der dominirenden indogermaniſchen
Race anſehen. Aehnlich ſind die auf Afrika als Urſitz der Menſch-
heit rathenden Speculationen Mehrerer zu beurtheilen, z. B. Dar-
wins und Huxleys, wegen ihrer Herleitung des menſchlichen Stamm-
baumes von den ſchmalnaſigen Affen Gorilla und Chimpanſe; auch
Osc. Peſchels, Leo Reiniſch’ und Robert Hartmann’s.2) — Unter
den der Deſcendenzlehre ergebenen Zoologen und Ethnologen hat
jüngſt die Lemurien-Hypotheſe (ſ. oben, Nr. IV) beſonders ſtarken
Anhang gefunden (Häckel, Osc. Schmidt, v. Hellwald, Alb. Heim,
Thomaſſen, ꝛc. ꝛc.). Einiges Geologiſche, Thier- und Pflanzengeo-

1) Jn der phantaſtiſch abenteuerlichen, vielleicht ſcherzhaft gemeinten Schrift:
„Paläorama; oceaniſch-amerikaniſche Unterſuchungeu und Aufklärungen zur bibl.
Urgeſchichte‟, Erlangen 1867.
2) Vgl. O. Peſchel, Neue Probleme der vergl. Erdkunde 1869 (wo zwiſchen
Centralafrika und Hinterindien als menſchl. Urſitze die Wahl gelaſſen iſt); Leo
Reiniſch,
Der einheitliche Urſprung der Sprachen der alten Welt, ꝛc. Wien
1873; Rob. Hartmann, Die Nigritier, Bd. I, 1876 — die beiden Letzteren
theils aus linguiſtiſchen theils aus ethnologiſchen Gründen für Centralafrika.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0239" n="229"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VII.</hi> Der Ur&#x017F;itz des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts.</fw><lb/>
dann Klaproth, de Gobineau, George Browne,<note place="foot" n="1)">Jn der phanta&#x017F;ti&#x017F;ch abenteuerlichen, vielleicht &#x017F;cherzhaft gemeinten Schrift:<lb/>
&#x201E;Paläorama; oceani&#x017F;ch-amerikani&#x017F;che Unter&#x017F;uchungeu und Aufklärungen zur bibl.<lb/>
Urge&#x017F;chichte&#x201F;, Erlangen 1867.</note> &#x017F;owie der jüng&#x017F;t<lb/>
ver&#x017F;torbene radikale Berliner Naturphilo&#x017F;oph Ph. Spiller, der &#x017F;ich<lb/>
darin gefiel, &#x017F;peciell Grönland für den wahr&#x017F;cheinlichen Ent&#x017F;tehungsort<lb/>
der Men&#x017F;chheit zu erklären, &#x201E;weil die Hochgebirge und die Polar-<lb/>
gegenden nach einer hinreichenden Abkühlung des Erdkörpers zuer&#x017F;t<lb/>
bewohnbar gewe&#x017F;en &#x017F;eien.&#x201F; Ferner gehört hieher die auf <hi rendition="#g">Europa,</hi><lb/>
als den Erdtheil wo der &#x017F;tupide Affe &#x017F;ich zuer&#x017F;t (im Kampf mit<lb/>
den Unbilden eines kalten Klima) zum denkenden Men&#x017F;chen fort-<lb/>
gebildet hätte, lautende Hypothe&#x017F;e Mor. <hi rendition="#g">Wagners,</hi> &#x017F;ammt ihren<lb/>
ver&#x017F;chiednen Abwandlungen, welche bald Steiermark zur Zeit der<lb/>
Braunkohlenbildung (Unger), bald Deut&#x017F;chland (L. Geiger), bald<lb/>
Skythien oder Südrußland (J. G. Cuno, Spiegel), bald die aus-<lb/>
gedehnte we&#x017F;tpreußi&#x017F;che Sumpfregion zwi&#x017F;chen Dniepr und Niemen<lb/>
(Poe&#x017F;che), bald Mitteleuropa ohne nähere Be&#x017F;timmung (Latham,<lb/>
Benfey, Whitney &#xA75B;c.) als muthmaaßliche Urheimath wenn nicht un&#x017F;res<lb/>
Ge&#x017F;chlechts überhaupt &#x017F;o doch der dominirenden indogermani&#x017F;chen<lb/>
Race an&#x017F;ehen. Aehnlich &#x017F;ind die auf <hi rendition="#g">Afrika</hi> als Ur&#x017F;itz der Men&#x017F;ch-<lb/>
heit rathenden Speculationen Mehrerer zu beurtheilen, z. B. Dar-<lb/>
wins und Huxleys, wegen ihrer Herleitung des men&#x017F;chlichen Stamm-<lb/>
baumes von den &#x017F;chmalna&#x017F;igen Affen Gorilla und Chimpan&#x017F;e; auch<lb/>
Osc. Pe&#x017F;chels, Leo Reini&#x017F;ch&#x2019; und Robert Hartmann&#x2019;s.<note place="foot" n="2)">Vgl. O. <hi rendition="#g">Pe&#x017F;chel,</hi> Neue Probleme der vergl. Erdkunde 1869 (wo zwi&#x017F;chen<lb/>
Centralafrika und Hinterindien als men&#x017F;chl. Ur&#x017F;itze die Wahl gela&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t); <hi rendition="#g">Leo<lb/>
Reini&#x017F;ch,</hi> Der einheitliche Ur&#x017F;prung der Sprachen der alten Welt, &#xA75B;c. Wien<lb/>
1873; Rob. <hi rendition="#g">Hartmann,</hi> Die Nigritier, Bd. <hi rendition="#aq">I,</hi> 1876 &#x2014; die beiden Letzteren<lb/>
theils aus lingui&#x017F;ti&#x017F;chen theils aus ethnologi&#x017F;chen Gründen für Centralafrika.</note> &#x2014; Unter<lb/>
den der De&#x017F;cendenzlehre ergebenen Zoologen und Ethnologen hat<lb/>
jüng&#x017F;t die <hi rendition="#g">Lemurien</hi>-Hypothe&#x017F;e (&#x017F;. oben, Nr. <hi rendition="#aq">IV</hi>) be&#x017F;onders &#x017F;tarken<lb/>
Anhang gefunden (Häckel, Osc. Schmidt, v. Hellwald, Alb. Heim,<lb/>
Thoma&#x017F;&#x017F;en, &#xA75B;c. &#xA75B;c.). Einiges Geologi&#x017F;che, Thier- und Pflanzengeo-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0239] VII. Der Urſitz des Menſchengeſchlechts. dann Klaproth, de Gobineau, George Browne, 1) ſowie der jüngſt verſtorbene radikale Berliner Naturphiloſoph Ph. Spiller, der ſich darin gefiel, ſpeciell Grönland für den wahrſcheinlichen Entſtehungsort der Menſchheit zu erklären, „weil die Hochgebirge und die Polar- gegenden nach einer hinreichenden Abkühlung des Erdkörpers zuerſt bewohnbar geweſen ſeien.‟ Ferner gehört hieher die auf Europa, als den Erdtheil wo der ſtupide Affe ſich zuerſt (im Kampf mit den Unbilden eines kalten Klima) zum denkenden Menſchen fort- gebildet hätte, lautende Hypotheſe Mor. Wagners, ſammt ihren verſchiednen Abwandlungen, welche bald Steiermark zur Zeit der Braunkohlenbildung (Unger), bald Deutſchland (L. Geiger), bald Skythien oder Südrußland (J. G. Cuno, Spiegel), bald die aus- gedehnte weſtpreußiſche Sumpfregion zwiſchen Dniepr und Niemen (Poeſche), bald Mitteleuropa ohne nähere Beſtimmung (Latham, Benfey, Whitney ꝛc.) als muthmaaßliche Urheimath wenn nicht unſres Geſchlechts überhaupt ſo doch der dominirenden indogermaniſchen Race anſehen. Aehnlich ſind die auf Afrika als Urſitz der Menſch- heit rathenden Speculationen Mehrerer zu beurtheilen, z. B. Dar- wins und Huxleys, wegen ihrer Herleitung des menſchlichen Stamm- baumes von den ſchmalnaſigen Affen Gorilla und Chimpanſe; auch Osc. Peſchels, Leo Reiniſch’ und Robert Hartmann’s. 2) — Unter den der Deſcendenzlehre ergebenen Zoologen und Ethnologen hat jüngſt die Lemurien-Hypotheſe (ſ. oben, Nr. IV) beſonders ſtarken Anhang gefunden (Häckel, Osc. Schmidt, v. Hellwald, Alb. Heim, Thomaſſen, ꝛc. ꝛc.). Einiges Geologiſche, Thier- und Pflanzengeo- 1) Jn der phantaſtiſch abenteuerlichen, vielleicht ſcherzhaft gemeinten Schrift: „Paläorama; oceaniſch-amerikaniſche Unterſuchungeu und Aufklärungen zur bibl. Urgeſchichte‟, Erlangen 1867. 2) Vgl. O. Peſchel, Neue Probleme der vergl. Erdkunde 1869 (wo zwiſchen Centralafrika und Hinterindien als menſchl. Urſitze die Wahl gelaſſen iſt); Leo Reiniſch, Der einheitliche Urſprung der Sprachen der alten Welt, ꝛc. Wien 1873; Rob. Hartmann, Die Nigritier, Bd. I, 1876 — die beiden Letzteren theils aus linguiſtiſchen theils aus ethnologiſchen Gründen für Centralafrika.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/239
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/239>, abgerufen am 24.11.2024.