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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
sein solle:1) so hat ein neuerer mediciuischer Schriftsteller doch wohl
nicht ganz unrecht, wenn er gerade wegen der außerordentlichen
Seltenheit der Fälle eines so extrem hohen Alters annimmt, daß
dieselben "der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht wohl zu entgehen
vermöchten", daß demnach entsprechend der Abnormität der That-
sachen in gewisser Weise auch ihre Glaubwürdigkeit wachse.2) Neben
den oben angeführten mancherlei Cautelen des englischen Hyper-
kritikers scheint uns doch auch diese Maxime einige Beachtung zu
verdienen. Beide Grundsätze lassen sich sehr wohl in Verbindung
miteinander anwenden: der eben zuletzt besprochene als Mittel zur
Constatirung des jeweiligen Falls im Allgemeinen, und jener früher
gutgeheißene, wonach die größtmöglichste Vorsicht nach allen Seiten
hin anzuwenden, als kritisches Correctiv, wodurch zuweilen eine
Reduction der angegebnen hohen Ziffern nöthig gemacht werden
kann, ohne daß darum das Außerordentliche des Falles jedesmal
ganz und gar beseitigt werden müßte. Wenn demnach jüngst, im
Januar 1879, den Zeitungen zufolge ein Bürger Brombergs
Namens Bagnewsky 117 Jahre alt verstorben sein soll, und wenn
vor drei Jahren die zu Prag verstorbene Hamburgerin Therese
Fiedler v. Hülsenstein, einstige Hofdame bei Maria Theresia, 1757
geboren sein, also ein Alter von 119 Jahren erreicht haben soll:
so mag die eine wie die andre dieser Nachrichten durch exactere
Untersuchung des Thatbestandes vielleicht etwelche Correctur erfahren
können. Aber daß die Herabminderung der Altersziffern, welche
möglicherweise so resultirt, selten eine sehr beträchtliche zu sein pflegt,

1) Plinius, H. nat., VII, 48 (Zur Beurtheilung der hier gebotenen
Angaben vgl. den Aufsatz "Human Longevity", im Edinb. Review 1857,
Jan., p. 60). -- Sodaun Trebell. Pollio, Vit. Claudii c. 1: "Doctis-
simi mathematicorum centum et viginti annos homini ad vivendum
datos judicant, neque amplius cuiquam jactitant esse concessum: etiam
illud addentes, Mosen solum, Dei (ut Judaeorum libri loquuntur) |fami-
liarem, CXXV annos vixisse, etc.
Vgl. z. d. St. E. Nestle, in der Zeit-
schrift der deutschen morgenl. Gesellsch. 1879 (Bd. 33), S. 509.
2) So Medicinalrath Dr. Wald, im "Daheim" 1866, S. 129.

VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
ſein ſolle:1) ſo hat ein neuerer mediciuiſcher Schriftſteller doch wohl
nicht ganz unrecht, wenn er gerade wegen der außerordentlichen
Seltenheit der Fälle eines ſo extrem hohen Alters annimmt, daß
dieſelben „der öffentlichen Aufmerkſamkeit nicht wohl zu entgehen
vermöchten‟, daß demnach entſprechend der Abnormität der That-
ſachen in gewiſſer Weiſe auch ihre Glaubwürdigkeit wachſe.2) Neben
den oben angeführten mancherlei Cautelen des engliſchen Hyper-
kritikers ſcheint uns doch auch dieſe Maxime einige Beachtung zu
verdienen. Beide Grundſätze laſſen ſich ſehr wohl in Verbindung
miteinander anwenden: der eben zuletzt beſprochene als Mittel zur
Conſtatirung des jeweiligen Falls im Allgemeinen, und jener früher
gutgeheißene, wonach die größtmöglichſte Vorſicht nach allen Seiten
hin anzuwenden, als kritiſches Correctiv, wodurch zuweilen eine
Reduction der angegebnen hohen Ziffern nöthig gemacht werden
kann, ohne daß darum das Außerordentliche des Falles jedesmal
ganz und gar beſeitigt werden müßte. Wenn demnach jüngſt, im
Januar 1879, den Zeitungen zufolge ein Bürger Brombergs
Namens Bagnewsky 117 Jahre alt verſtorben ſein ſoll, und wenn
vor drei Jahren die zu Prag verſtorbene Hamburgerin Thereſe
Fiedler v. Hülſenſtein, einſtige Hofdame bei Maria Thereſia, 1757
geboren ſein, alſo ein Alter von 119 Jahren erreicht haben ſoll:
ſo mag die eine wie die andre dieſer Nachrichten durch exactere
Unterſuchung des Thatbeſtandes vielleicht etwelche Correctur erfahren
können. Aber daß die Herabminderung der Altersziffern, welche
möglicherweiſe ſo reſultirt, ſelten eine ſehr beträchtliche zu ſein pflegt,

1) Plinius, H. nat., VII, 48 (Zur Beurtheilung der hier gebotenen
Angaben vgl. den Aufſatz „Human Longevity‟, im Edinb. Review 1857,
Jan., p. 60). — Sodaun Trebell. Pollio, Vit. Claudii c. 1: „Doctis-
simi mathematicorum centum et viginti annos homini ad vivendum
datos judicant, neque amplius cuiquam jactitant esse concessum: etiam
illud addentes, Mosen solum, Dei (ut Judaeorum libri loquuntur) |fami-
liarem, CXXV annos vixisse, etc.
Vgl. z. d. St. E. Neſtle, in der Zeit-
ſchrift der deutſchen morgenl. Geſellſch. 1879 (Bd. 33), S. 509.
2) So Medicinalrath Dr. Wald, im „Daheim‟ 1866, S. 129.
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[256/0266] VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. ſein ſolle: 1) ſo hat ein neuerer mediciuiſcher Schriftſteller doch wohl nicht ganz unrecht, wenn er gerade wegen der außerordentlichen Seltenheit der Fälle eines ſo extrem hohen Alters annimmt, daß dieſelben „der öffentlichen Aufmerkſamkeit nicht wohl zu entgehen vermöchten‟, daß demnach entſprechend der Abnormität der That- ſachen in gewiſſer Weiſe auch ihre Glaubwürdigkeit wachſe. 2) Neben den oben angeführten mancherlei Cautelen des engliſchen Hyper- kritikers ſcheint uns doch auch dieſe Maxime einige Beachtung zu verdienen. Beide Grundſätze laſſen ſich ſehr wohl in Verbindung miteinander anwenden: der eben zuletzt beſprochene als Mittel zur Conſtatirung des jeweiligen Falls im Allgemeinen, und jener früher gutgeheißene, wonach die größtmöglichſte Vorſicht nach allen Seiten hin anzuwenden, als kritiſches Correctiv, wodurch zuweilen eine Reduction der angegebnen hohen Ziffern nöthig gemacht werden kann, ohne daß darum das Außerordentliche des Falles jedesmal ganz und gar beſeitigt werden müßte. Wenn demnach jüngſt, im Januar 1879, den Zeitungen zufolge ein Bürger Brombergs Namens Bagnewsky 117 Jahre alt verſtorben ſein ſoll, und wenn vor drei Jahren die zu Prag verſtorbene Hamburgerin Thereſe Fiedler v. Hülſenſtein, einſtige Hofdame bei Maria Thereſia, 1757 geboren ſein, alſo ein Alter von 119 Jahren erreicht haben ſoll: ſo mag die eine wie die andre dieſer Nachrichten durch exactere Unterſuchung des Thatbeſtandes vielleicht etwelche Correctur erfahren können. Aber daß die Herabminderung der Altersziffern, welche möglicherweiſe ſo reſultirt, ſelten eine ſehr beträchtliche zu ſein pflegt, 1) Plinius, H. nat., VII, 48 (Zur Beurtheilung der hier gebotenen Angaben vgl. den Aufſatz „Human Longevity‟, im Edinb. Review 1857, Jan., p. 60). — Sodaun Trebell. Pollio, Vit. Claudii c. 1: „Doctis- simi mathematicorum centum et viginti annos homini ad vivendum datos judicant, neque amplius cuiquam jactitant esse concessum: etiam illud addentes, Mosen solum, Dei (ut Judaeorum libri loquuntur) |fami- liarem, CXXV annos vixisse, etc. Vgl. z. d. St. E. Neſtle, in der Zeit- ſchrift der deutſchen morgenl. Geſellſch. 1879 (Bd. 33), S. 509. 2) So Medicinalrath Dr. Wald, im „Daheim‟ 1866, S. 129.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/266>, abgerufen am 22.11.2024.