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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
um Motivirung unsrer Einsprache gegen das Axiom von einer Un-
veränderlichkeit der durchschnittlichen Lebenslänge des Menschen durch
alle Epochen seiner Geschichte.



3. Die Langlebigkeit der Patriarchen ist eine Erscheinung, die
nicht blindlings verworfen, nicht stumpfsinnig und interesselos ge-
glaubt, nicht grübelnd hinweggedeutelt, wohl aber geschichtlich erklärt
sein will. Der Erklärungsgründe haben die orthodoxen Ausleger
von jeher nur allzuviele angegeben. Mit dem Einen zusammen-
fassenden Argument, das Johannes von Salisbury einmal hervor-
hebt: die Patriarchen hätten wahrhaft naturgemäß gelebt,1)
ist eigentlich mehr gesagt, als mit den vielerlei Muthmaaßungen
und Wahrscheinlichkeiten, in deren Zusammenschichtung exegetischer
Scharfsinn von jeher bei Behandlung des Themas sich gefallen hat.
Pererius gab nicht weniger als sieben Gründe an: höhere Vortreff-
lichkeit der Leibesbeschaffenheit (bonitas constitutionis et tempe-
rationis humani corporis
); Maaßhalten in Speise und Trank
(sobrietas et continentia in victu et potu); Vorzüglichkeit der
Lebensmittel, darauf beruhend daß die salzigen Gewässer der Sint-
fluth dem Erdboden seine ursprüngliche Fruchtbarkeit noch nicht ge-
raubt hatten (alimentorum praestantia); Bekanntschaft Adams und
seiner durch ihn belehrten Nachkommen mit den edelsten und heil-
kräftigsten, zur Lebensverlängerung aufs beste geeigneten Kräutern,
Früchten, Metallen und Steinen (scientia virium herbarum etc.);
günstigere Einflüsse des Himmels und seiner Gestirne, insbesondre
der s. g. achten Sphäre, durch deren Bewegungen Tod und Leben
der Erdengeschöpfe namentlich bedingt sind (caelorum influentia);
die göttliche Absicht, durch längeres Leben der Stammeltern die
Vermehrung des Menschengeschlechts möglichst zu fördern (generis

1) Policraticus VIII, 17: Patres et patriarchae vivendi ducem opti-
mam naturam secuti sunt.
-- Aehnliches bei R. Baco, Op. maj. p. 38
ed. Jebb.

VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
um Motivirung unſrer Einſprache gegen das Axiom von einer Un-
veränderlichkeit der durchſchnittlichen Lebenslänge des Menſchen durch
alle Epochen ſeiner Geſchichte.



3. Die Langlebigkeit der Patriarchen iſt eine Erſcheinung, die
nicht blindlings verworfen, nicht ſtumpfſinnig und intereſſelos ge-
glaubt, nicht grübelnd hinweggedeutelt, wohl aber geſchichtlich erklärt
ſein will. Der Erklärungsgründe haben die orthodoxen Ausleger
von jeher nur allzuviele angegeben. Mit dem Einen zuſammen-
faſſenden Argument, das Johannes von Salisbury einmal hervor-
hebt: die Patriarchen hätten wahrhaft naturgemäß gelebt,1)
iſt eigentlich mehr geſagt, als mit den vielerlei Muthmaaßungen
und Wahrſcheinlichkeiten, in deren Zuſammenſchichtung exegetiſcher
Scharfſinn von jeher bei Behandlung des Themas ſich gefallen hat.
Pererius gab nicht weniger als ſieben Gründe an: höhere Vortreff-
lichkeit der Leibesbeſchaffenheit (bonitas constitutionis et tempe-
rationis humani corporis
); Maaßhalten in Speiſe und Trank
(sobrietas et continentia in victu et potu); Vorzüglichkeit der
Lebensmittel, darauf beruhend daß die ſalzigen Gewäſſer der Sint-
fluth dem Erdboden ſeine urſprüngliche Fruchtbarkeit noch nicht ge-
raubt hatten (alimentorum praestantia); Bekanntſchaft Adams und
ſeiner durch ihn belehrten Nachkommen mit den edelſten und heil-
kräftigſten, zur Lebensverlängerung aufs beſte geeigneten Kräutern,
Früchten, Metallen und Steinen (scientia virium herbarum etc.);
günſtigere Einflüſſe des Himmels und ſeiner Geſtirne, insbeſondre
der ſ. g. achten Sphäre, durch deren Bewegungen Tod und Leben
der Erdengeſchöpfe namentlich bedingt ſind (caelorum influentia);
die göttliche Abſicht, durch längeres Leben der Stammeltern die
Vermehrung des Menſchengeſchlechts möglichſt zu fördern (generis

1) Policraticus VIII, 17: Patres et patriarchae vivendi ducem opti-
mam naturam secuti sunt.
— Aehnliches bei R. Baco, Op. maj. p. 38
ed. Jebb.
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[268/0278] VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. um Motivirung unſrer Einſprache gegen das Axiom von einer Un- veränderlichkeit der durchſchnittlichen Lebenslänge des Menſchen durch alle Epochen ſeiner Geſchichte. 3. Die Langlebigkeit der Patriarchen iſt eine Erſcheinung, die nicht blindlings verworfen, nicht ſtumpfſinnig und intereſſelos ge- glaubt, nicht grübelnd hinweggedeutelt, wohl aber geſchichtlich erklärt ſein will. Der Erklärungsgründe haben die orthodoxen Ausleger von jeher nur allzuviele angegeben. Mit dem Einen zuſammen- faſſenden Argument, das Johannes von Salisbury einmal hervor- hebt: die Patriarchen hätten wahrhaft naturgemäß gelebt, 1) iſt eigentlich mehr geſagt, als mit den vielerlei Muthmaaßungen und Wahrſcheinlichkeiten, in deren Zuſammenſchichtung exegetiſcher Scharfſinn von jeher bei Behandlung des Themas ſich gefallen hat. Pererius gab nicht weniger als ſieben Gründe an: höhere Vortreff- lichkeit der Leibesbeſchaffenheit (bonitas constitutionis et tempe- rationis humani corporis); Maaßhalten in Speiſe und Trank (sobrietas et continentia in victu et potu); Vorzüglichkeit der Lebensmittel, darauf beruhend daß die ſalzigen Gewäſſer der Sint- fluth dem Erdboden ſeine urſprüngliche Fruchtbarkeit noch nicht ge- raubt hatten (alimentorum praestantia); Bekanntſchaft Adams und ſeiner durch ihn belehrten Nachkommen mit den edelſten und heil- kräftigſten, zur Lebensverlängerung aufs beſte geeigneten Kräutern, Früchten, Metallen und Steinen (scientia virium herbarum etc.); günſtigere Einflüſſe des Himmels und ſeiner Geſtirne, insbeſondre der ſ. g. achten Sphäre, durch deren Bewegungen Tod und Leben der Erdengeſchöpfe namentlich bedingt ſind (caelorum influentia); die göttliche Abſicht, durch längeres Leben der Stammeltern die Vermehrung des Menſchengeſchlechts möglichſt zu fördern (generis 1) Policraticus VIII, 17: Patres et patriarchae vivendi ducem opti- mam naturam secuti sunt. — Aehnliches bei R. Baco, Op. maj. p. 38 ed. Jebb.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/278>, abgerufen am 22.11.2024.