Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. abgewichen sei, stand solchen Auslegern wie Thomas Aquin (lauts. Comment. zu Röm. 14, 2), Lyra, Tostatus, Dionysius Carthu- sianus unbedingt fest. Als Cardinal Cajetan die Zeit, wo man durch göttliches Gebot streng vegetarianisch zu leben verpflichtet gewesen, auf das Paradies zu beschränken wagte, begieng er eine kühne Neuer- ung, die ihm seitens der folgenden römischen Exegeten manchen Tadel zuzog.1) -- Selbst in die evangelische Lehrtradition drang die An- nahme, welche ein gewisses Fleischverbot gemäß 1 Mos. 1, 29; 9, 3 bis zum Schlusse der vorsintfluthlichen Zeit erstrecken zu müssen meinte, frühzeitig ein. Selbst Luther ließ dieses Fleischverbot erst durch jenes Wort Gottes an Noah und seine Söhne aufgehoben werden, und zwar auch da nur mit Bezug auf die reinen Thiere; das Essen unreiner Thiere, als Schlangen, Wölfe, Raben, Mäuse etc. sei selbstverständlich auch ferner noch verboten geblieben; nur die zum Opfern geeigneten Thiere seien der Menschheit seit der Fluth als Speise gestattet worden. Jedenfalls erscheine diese Macht, Fleisch zu essen, als "eine neue Gabe"; vor der Fluth galt noch nicht das Wort: "Euer Furcht und Schrecken sei über alle Thiere auf Erden, über alle Vögel unter dem Himmel" etc. und zwar aus dem ein- fachen Grunde nicht, weil die Thiere damals zum Getödtet- und Gegessenwerden durch den Menschen noch nicht bestimmt waren, weil der Mensch ihnen noch als friedlicher Hausherr, nicht als Tödter oder Vertilger gegenüberstand.2) Die meisten angeseheneren luthe- 1) Doch folgten ihm einige seiner Confessionsverwandten, wie Domingo de Soto und Victoria; bedingterweise auch Pererins, dessen oben mitgetheiltes Register der Gründe für die höhere Langlebigkeit der Patriarchen jedenfalls nicht ausdrückliches Gewicht auf bloße Kräuterkost legt. Vgl. meine Geschichte der Beziehungen etc., I, 627 (wo übrigens sonst, namentlich betreffs Luthers und seiner Nachfolger, einige ungenaue, nach der vorl. Darstellung zu berichtigende Angaben mit eingeflossen sind). 2) "... fuit homo tanquam civilis dominus bestiarum, non fuit occisor aut vorator" (Comm. in Genes., tom. II, p. 280; vgl. die Pred. über 1 Mose, zu Gen. 9, 1 f. (S. 203). 18*
VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. abgewichen ſei, ſtand ſolchen Auslegern wie Thomas Aquin (lautſ. Comment. zu Röm. 14, 2), Lyra, Toſtatus, Dionyſius Carthu- ſianus unbedingt feſt. Als Cardinal Cajetan die Zeit, wo man durch göttliches Gebot ſtreng vegetarianiſch zu leben verpflichtet geweſen, auf das Paradies zu beſchränken wagte, begieng er eine kühne Neuer- ung, die ihm ſeitens der folgenden römiſchen Exegeten manchen Tadel zuzog.1) — Selbſt in die evangeliſche Lehrtradition drang die An- nahme, welche ein gewiſſes Fleiſchverbot gemäß 1 Moſ. 1, 29; 9, 3 bis zum Schluſſe der vorſintfluthlichen Zeit erſtrecken zu müſſen meinte, frühzeitig ein. Selbſt Luther ließ dieſes Fleiſchverbot erſt durch jenes Wort Gottes an Noah und ſeine Söhne aufgehoben werden, und zwar auch da nur mit Bezug auf die reinen Thiere; das Eſſen unreiner Thiere, als Schlangen, Wölfe, Raben, Mäuſe ꝛc. ſei ſelbſtverſtändlich auch ferner noch verboten geblieben; nur die zum Opfern geeigneten Thiere ſeien der Menſchheit ſeit der Fluth als Speiſe geſtattet worden. Jedenfalls erſcheine dieſe Macht, Fleiſch zu eſſen, als „eine neue Gabe‟; vor der Fluth galt noch nicht das Wort: „Euer Furcht und Schrecken ſei über alle Thiere auf Erden, über alle Vögel unter dem Himmel‟ ꝛc. und zwar aus dem ein- fachen Grunde nicht, weil die Thiere damals zum Getödtet- und Gegeſſenwerden durch den Menſchen noch nicht beſtimmt waren, weil der Menſch ihnen noch als friedlicher Hausherr, nicht als Tödter oder Vertilger gegenüberſtand.2) Die meiſten angeſeheneren luthe- 1) Doch folgten ihm einige ſeiner Confeſſionsverwandten, wie Domingo de Soto und Victoria; bedingterweiſe auch Pererins, deſſen oben mitgetheiltes Regiſter der Gründe für die höhere Langlebigkeit der Patriarchen jedenfalls nicht ausdrückliches Gewicht auf bloße Kräuterkoſt legt. Vgl. meine Geſchichte der Beziehungen ꝛc., I, 627 (wo übrigens ſonſt, namentlich betreffs Luthers und ſeiner Nachfolger, einige ungenaue, nach der vorl. Darſtellung zu berichtigende Angaben mit eingefloſſen ſind). 2) „… fuit homo tanquam civilis dominus bestiarum, non fuit occisor aut vorator‟ (Comm. in Genes., tom. II, p. 280; vgl. die Pred. über 1 Moſe, zu Gen. 9, 1 f. (S. 203). 18*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0285" n="275"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Die Langlebigkeit der Patriarchen.</fw><lb/> abgewichen ſei, ſtand ſolchen Auslegern wie Thomas Aquin (laut<lb/> ſ. Comment. zu Röm. 14, 2), Lyra, Toſtatus, Dionyſius Carthu-<lb/> ſianus unbedingt feſt. Als Cardinal Cajetan die Zeit, wo man durch<lb/> göttliches Gebot ſtreng vegetarianiſch zu leben verpflichtet geweſen,<lb/> auf das Paradies zu beſchränken wagte, begieng er eine kühne Neuer-<lb/> ung, die ihm ſeitens der folgenden römiſchen Exegeten manchen Tadel<lb/> zuzog.<note place="foot" n="1)">Doch folgten ihm einige ſeiner Confeſſionsverwandten, wie Domingo<lb/> de Soto und Victoria; bedingterweiſe auch Pererins, deſſen oben mitgetheiltes<lb/> Regiſter der Gründe für die höhere Langlebigkeit der Patriarchen jedenfalls nicht<lb/> ausdrückliches Gewicht auf bloße Kräuterkoſt legt. Vgl. meine Geſchichte der<lb/> Beziehungen ꝛc., <hi rendition="#aq">I,</hi> 627 (wo übrigens ſonſt, namentlich betreffs Luthers und<lb/> ſeiner Nachfolger, einige ungenaue, nach der vorl. Darſtellung zu berichtigende<lb/> Angaben mit eingefloſſen ſind).</note> — Selbſt in die evangeliſche Lehrtradition drang die An-<lb/> nahme, welche ein gewiſſes Fleiſchverbot gemäß 1 Moſ. 1, 29; 9, 3<lb/> bis zum Schluſſe der vorſintfluthlichen Zeit erſtrecken zu müſſen<lb/> meinte, frühzeitig ein. Selbſt Luther ließ dieſes Fleiſchverbot erſt<lb/> durch jenes Wort Gottes an Noah und ſeine Söhne aufgehoben<lb/> werden, und zwar auch da nur mit Bezug auf die reinen Thiere; das<lb/> Eſſen unreiner Thiere, als Schlangen, Wölfe, Raben, Mäuſe ꝛc.<lb/> ſei ſelbſtverſtändlich auch ferner noch verboten geblieben; nur die<lb/> zum Opfern geeigneten Thiere ſeien der Menſchheit ſeit der Fluth<lb/> als Speiſe geſtattet worden. Jedenfalls erſcheine dieſe Macht, Fleiſch<lb/> zu eſſen, als „eine neue Gabe‟; vor der Fluth galt noch nicht das<lb/> Wort: „Euer Furcht und Schrecken ſei über alle Thiere auf Erden,<lb/> über alle Vögel unter dem Himmel‟ ꝛc. und zwar aus dem ein-<lb/> fachen Grunde nicht, weil die Thiere damals zum Getödtet- und<lb/> Gegeſſenwerden durch den Menſchen noch nicht beſtimmt waren, weil<lb/> der Menſch ihnen noch als friedlicher Hausherr, nicht als Tödter<lb/> oder Vertilger gegenüberſtand.<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">„… fuit homo tanquam civilis dominus bestiarum, non fuit<lb/> occisor aut vorator‟ (Comm. in Genes., tom. II, p.</hi> 280; vgl. die Pred.<lb/> über 1 Moſe, zu Gen. 9, 1 f. (S. 203).</note> Die meiſten angeſeheneren luthe-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">18*</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [275/0285]
VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
abgewichen ſei, ſtand ſolchen Auslegern wie Thomas Aquin (laut
ſ. Comment. zu Röm. 14, 2), Lyra, Toſtatus, Dionyſius Carthu-
ſianus unbedingt feſt. Als Cardinal Cajetan die Zeit, wo man durch
göttliches Gebot ſtreng vegetarianiſch zu leben verpflichtet geweſen,
auf das Paradies zu beſchränken wagte, begieng er eine kühne Neuer-
ung, die ihm ſeitens der folgenden römiſchen Exegeten manchen Tadel
zuzog. 1) — Selbſt in die evangeliſche Lehrtradition drang die An-
nahme, welche ein gewiſſes Fleiſchverbot gemäß 1 Moſ. 1, 29; 9, 3
bis zum Schluſſe der vorſintfluthlichen Zeit erſtrecken zu müſſen
meinte, frühzeitig ein. Selbſt Luther ließ dieſes Fleiſchverbot erſt
durch jenes Wort Gottes an Noah und ſeine Söhne aufgehoben
werden, und zwar auch da nur mit Bezug auf die reinen Thiere; das
Eſſen unreiner Thiere, als Schlangen, Wölfe, Raben, Mäuſe ꝛc.
ſei ſelbſtverſtändlich auch ferner noch verboten geblieben; nur die
zum Opfern geeigneten Thiere ſeien der Menſchheit ſeit der Fluth
als Speiſe geſtattet worden. Jedenfalls erſcheine dieſe Macht, Fleiſch
zu eſſen, als „eine neue Gabe‟; vor der Fluth galt noch nicht das
Wort: „Euer Furcht und Schrecken ſei über alle Thiere auf Erden,
über alle Vögel unter dem Himmel‟ ꝛc. und zwar aus dem ein-
fachen Grunde nicht, weil die Thiere damals zum Getödtet- und
Gegeſſenwerden durch den Menſchen noch nicht beſtimmt waren, weil
der Menſch ihnen noch als friedlicher Hausherr, nicht als Tödter
oder Vertilger gegenüberſtand. 2) Die meiſten angeſeheneren luthe-
1) Doch folgten ihm einige ſeiner Confeſſionsverwandten, wie Domingo
de Soto und Victoria; bedingterweiſe auch Pererins, deſſen oben mitgetheiltes
Regiſter der Gründe für die höhere Langlebigkeit der Patriarchen jedenfalls nicht
ausdrückliches Gewicht auf bloße Kräuterkoſt legt. Vgl. meine Geſchichte der
Beziehungen ꝛc., I, 627 (wo übrigens ſonſt, namentlich betreffs Luthers und
ſeiner Nachfolger, einige ungenaue, nach der vorl. Darſtellung zu berichtigende
Angaben mit eingefloſſen ſind).
2) „… fuit homo tanquam civilis dominus bestiarum, non fuit
occisor aut vorator‟ (Comm. in Genes., tom. II, p. 280; vgl. die Pred.
über 1 Moſe, zu Gen. 9, 1 f. (S. 203).
18*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |