Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. rischen Ausleger im 16. und 17. Jahrhundert schlossen sich demReformator hierin an (Brenz, Christian Chemnitz, Gerhard, Seba- stian Schmid, Calov). Und entgegen dem die Erlaubtheit des Fleischessens auch schon für die vorfluthliche Menschheit bestimmt behauptenden Calvin -- welchem hauptsächlich nur Andreas Rivet in Leiden und I. H. Heidegger in Zürich sich anschlossen1) -- hielt auch die Mehrheit der Reformirten bis ins 18. Jahrhundert hinein an der Annahme streng vegetarianischer Sitte der Frommen in vor- noachischer Zeit fest (Zwingli, Musculus, Petr. Martyr, Junius, Piscator, Lightfoot). Besonders angelegentlich vertheidigten die armi- nianischen Exegeten (Grotius, Clericus etc.) diese Auffassung; einer derselben führte sowohl Ovids poetische Schilderung der unschul- digen Menschheit des goldnen Zeitalters, als die Vorliebe kleiner Kinder für den Genuß von Obst und Früchten als Bestätigungs- gründe dafür an, daß die Erzväter Fruchtesser gewesen sein müßten, dehnte dabei auch das Blutverbot 1 Mos. 9, 4 rückwärts auf die vornoachische Zeit aus und behauptete obendrein die Giltigkeit dieses Verbots auch noch für die Christenheit.2) Diesen ascetisirenden Anwandlungen begann man erst gegen das 18. Jahrhundert sich allgemeiner zu entwinden. Nachdem Einzelne in Vertheidigung der- artiger mittlerer Ansichten wie: bloß unreine Thiere seien den vor- fluthlichen Menschen von Gott verboten gewesen (Hosemann), oder: bei der "in Wollust ersoffenen" kainitischen Race habe allerdings schon reichlicher Fleischgenuß stattgehabt (Gerh. I. Vossius; Delany 1) Calvin, Comm. in Genes., Genev. 1563; A. Rivet, Exercitatt. theoll. et scholastt. in l. 1 Mos., qui Genesis inscribitur, Roterod. 1651; I. H. Heidegger, De libertate christianorum a re cibaria, Amstelod. 1662, sowie: Exercitatt. selectae de hist. patriarcharum, ib. 1667. 2) So Stephan Curcelläus: Diatribe de esu sanguinis inter
Christianos, Amstelod. 1659 -- gegen welche Schrift dann Heidegger in der angeführten Abth. De libertate etc. auftrat. -- Classikerparallelen und sonstige außerbiblische Zeugnisse für eine abstinentia ab esu animalium bei den ältesten Menschen führte auch Gerh. Joh. Vossius De relig. gentilium sehr angelegent- lich an. VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen. riſchen Ausleger im 16. und 17. Jahrhundert ſchloſſen ſich demReformator hierin an (Brenz, Chriſtian Chemnitz, Gerhard, Seba- ſtian Schmid, Calov). Und entgegen dem die Erlaubtheit des Fleiſcheſſens auch ſchon für die vorfluthliche Menſchheit beſtimmt behauptenden Calvin — welchem hauptſächlich nur Andreas Rivet in Leiden und I. H. Heidegger in Zürich ſich anſchloſſen1) — hielt auch die Mehrheit der Reformirten bis ins 18. Jahrhundert hinein an der Annahme ſtreng vegetarianiſcher Sitte der Frommen in vor- noachiſcher Zeit feſt (Zwingli, Musculus, Petr. Martyr, Junius, Piscator, Lightfoot). Beſonders angelegentlich vertheidigten die armi- nianiſchen Exegeten (Grotius, Clericus ꝛc.) dieſe Auffaſſung; einer derſelben führte ſowohl Ovids poëtiſche Schilderung der unſchul- digen Menſchheit des goldnen Zeitalters, als die Vorliebe kleiner Kinder für den Genuß von Obſt und Früchten als Beſtätigungs- gründe dafür an, daß die Erzväter Fruchteſſer geweſen ſein müßten, dehnte dabei auch das Blutverbot 1 Moſ. 9, 4 rückwärts auf die vornoachiſche Zeit aus und behauptete obendrein die Giltigkeit dieſes Verbots auch noch für die Chriſtenheit.2) Dieſen ascetiſirenden Anwandlungen begann man erſt gegen das 18. Jahrhundert ſich allgemeiner zu entwinden. Nachdem Einzelne in Vertheidigung der- artiger mittlerer Anſichten wie: bloß unreine Thiere ſeien den vor- fluthlichen Menſchen von Gott verboten geweſen (Hoſemann), oder: bei der „in Wolluſt erſoffenen‟ kainitiſchen Race habe allerdings ſchon reichlicher Fleiſchgenuß ſtattgehabt (Gerh. I. Voſſius; Delany 1) Calvin, Comm. in Genes., Genev. 1563; A. Rivet, Exercitatt. theoll. et scholastt. in l. 1 Mos., qui Genesis inscribitur, Roterod. 1651; I. H. Heidegger, De libertate christianorum a re cibaria, Amstelod. 1662, ſowie: Exercitatt. selectae de hist. patriarcharum, ib. 1667. 2) So Stephan Curcelläus: Diatribe de esu sanguinis inter
Christianos, Amstelod. 1659 — gegen welche Schrift dann Heidegger in der angeführten Abth. De libertate ꝛc. auftrat. — Claſſikerparallelen und ſonſtige außerbibliſche Zeugniſſe für eine abstinentia ab esu animalium bei den älteſten Menſchen führte auch Gerh. Joh. Voſſius De relig. gentilium ſehr angelegent- lich an. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0286" n="276"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Die Langlebigkeit der Patriarchen.</fw><lb/> riſchen Ausleger im 16. und 17. Jahrhundert ſchloſſen ſich dem<lb/> Reformator hierin an (Brenz, Chriſtian Chemnitz, Gerhard, Seba-<lb/> ſtian Schmid, Calov). Und entgegen dem die Erlaubtheit des<lb/> Fleiſcheſſens auch ſchon für die vorfluthliche Menſchheit beſtimmt<lb/> behauptenden Calvin — welchem hauptſächlich nur Andreas Rivet<lb/> in Leiden und I. H. Heidegger in Zürich ſich anſchloſſen<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Calvin,</hi><hi rendition="#aq">Comm. in Genes., Genev.</hi> 1563; A. <hi rendition="#g">Rivet,</hi> <hi rendition="#aq">Exercitatt.<lb/> theoll. et scholastt. in l. 1 Mos., qui Genesis inscribitur, Roterod.</hi> 1651;<lb/> I. H. <hi rendition="#g">Heidegger,</hi> <hi rendition="#aq">De libertate christianorum a re cibaria, Amstelod.</hi><lb/> 1662, ſowie: <hi rendition="#aq">Exercitatt. selectae de hist. patriarcharum, ib.</hi> 1667.</note> — hielt<lb/> auch die Mehrheit der Reformirten bis ins 18. Jahrhundert hinein<lb/> an der Annahme ſtreng vegetarianiſcher Sitte der Frommen in vor-<lb/> noachiſcher Zeit feſt (Zwingli, Musculus, Petr. Martyr, Junius,<lb/> Piscator, Lightfoot). Beſonders angelegentlich vertheidigten die armi-<lb/> nianiſchen Exegeten (Grotius, Clericus ꝛc.) dieſe Auffaſſung; einer<lb/> derſelben führte ſowohl Ovids po<hi rendition="#aq">ë</hi>tiſche Schilderung der unſchul-<lb/> digen Menſchheit des goldnen Zeitalters, als die Vorliebe kleiner<lb/> Kinder für den Genuß von Obſt und Früchten als Beſtätigungs-<lb/> gründe dafür an, daß die Erzväter Fruchteſſer geweſen ſein müßten,<lb/> dehnte dabei auch das Blutverbot 1 Moſ. 9, 4 rückwärts auf die<lb/> vornoachiſche Zeit aus und behauptete obendrein die Giltigkeit dieſes<lb/> Verbots auch noch für die Chriſtenheit.<note place="foot" n="2)">So Stephan <hi rendition="#g">Curcelläus:</hi> <hi rendition="#aq">Diatribe de esu sanguinis inter<lb/> Christianos, Amstelod.</hi> 1659 — gegen welche Schrift dann Heidegger in der<lb/> angeführten Abth. <hi rendition="#aq">De libertate</hi> ꝛc. auftrat. — Claſſikerparallelen und ſonſtige<lb/> außerbibliſche Zeugniſſe für eine <hi rendition="#aq">abstinentia ab esu animalium</hi> bei den älteſten<lb/> Menſchen führte auch Gerh. Joh. Voſſius <hi rendition="#aq">De relig. gentilium</hi> ſehr angelegent-<lb/> lich an.</note> Dieſen ascetiſirenden<lb/> Anwandlungen begann man erſt gegen das 18. Jahrhundert ſich<lb/> allgemeiner zu entwinden. Nachdem Einzelne in Vertheidigung der-<lb/> artiger mittlerer Anſichten wie: bloß unreine Thiere ſeien den vor-<lb/> fluthlichen Menſchen von Gott verboten geweſen (Hoſemann), oder:<lb/> bei der „in Wolluſt erſoffenen‟ kainitiſchen Race habe allerdings<lb/> ſchon reichlicher Fleiſchgenuß ſtattgehabt (Gerh. I. Voſſius; Delany<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [276/0286]
VIII. Die Langlebigkeit der Patriarchen.
riſchen Ausleger im 16. und 17. Jahrhundert ſchloſſen ſich dem
Reformator hierin an (Brenz, Chriſtian Chemnitz, Gerhard, Seba-
ſtian Schmid, Calov). Und entgegen dem die Erlaubtheit des
Fleiſcheſſens auch ſchon für die vorfluthliche Menſchheit beſtimmt
behauptenden Calvin — welchem hauptſächlich nur Andreas Rivet
in Leiden und I. H. Heidegger in Zürich ſich anſchloſſen 1) — hielt
auch die Mehrheit der Reformirten bis ins 18. Jahrhundert hinein
an der Annahme ſtreng vegetarianiſcher Sitte der Frommen in vor-
noachiſcher Zeit feſt (Zwingli, Musculus, Petr. Martyr, Junius,
Piscator, Lightfoot). Beſonders angelegentlich vertheidigten die armi-
nianiſchen Exegeten (Grotius, Clericus ꝛc.) dieſe Auffaſſung; einer
derſelben führte ſowohl Ovids poëtiſche Schilderung der unſchul-
digen Menſchheit des goldnen Zeitalters, als die Vorliebe kleiner
Kinder für den Genuß von Obſt und Früchten als Beſtätigungs-
gründe dafür an, daß die Erzväter Fruchteſſer geweſen ſein müßten,
dehnte dabei auch das Blutverbot 1 Moſ. 9, 4 rückwärts auf die
vornoachiſche Zeit aus und behauptete obendrein die Giltigkeit dieſes
Verbots auch noch für die Chriſtenheit. 2) Dieſen ascetiſirenden
Anwandlungen begann man erſt gegen das 18. Jahrhundert ſich
allgemeiner zu entwinden. Nachdem Einzelne in Vertheidigung der-
artiger mittlerer Anſichten wie: bloß unreine Thiere ſeien den vor-
fluthlichen Menſchen von Gott verboten geweſen (Hoſemann), oder:
bei der „in Wolluſt erſoffenen‟ kainitiſchen Race habe allerdings
ſchon reichlicher Fleiſchgenuß ſtattgehabt (Gerh. I. Voſſius; Delany
1) Calvin, Comm. in Genes., Genev. 1563; A. Rivet, Exercitatt.
theoll. et scholastt. in l. 1 Mos., qui Genesis inscribitur, Roterod. 1651;
I. H. Heidegger, De libertate christianorum a re cibaria, Amstelod.
1662, ſowie: Exercitatt. selectae de hist. patriarcharum, ib. 1667.
2) So Stephan Curcelläus: Diatribe de esu sanguinis inter
Christianos, Amstelod. 1659 — gegen welche Schrift dann Heidegger in der
angeführten Abth. De libertate ꝛc. auftrat. — Claſſikerparallelen und ſonſtige
außerbibliſche Zeugniſſe für eine abstinentia ab esu animalium bei den älteſten
Menſchen führte auch Gerh. Joh. Voſſius De relig. gentilium ſehr angelegent-
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