Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

IX. Das Alter des Menschengeschlechts.
quellenkundigste Geschichtschreiber des Pharaonenreichs, H. Brugsch-
Bey: "Ungeachtet aller Entdeckungen auf diesem Gebiete befinden
sich dennoch die Zahlen in einem beklagenswerthen Zustande." Es
sei, meint derselbe, was die Chronologie der Zeit vor der 26.
Dynastie (also vor Psamtik, 666 v. Chr.!) betrifft, noch Alles zu
thun übrig;" anstatt sich zu vermindern, "haben die Schwierigkeiten
bei Bestimmung der Zeitverhältnisse sich von Tag zu Tag vermehrt."
"Die Denkmäler fangen nach und nach an, die Manethonischen
Zahlen zu entwerthen; will man nicht die elastische Dehnbarkeit dieser
Listen ungebührlich anspannen, so bleibt eben nichts weiter übrig,
als zu warten, bis irgend ein glücklicher Fund uns dieses gefähr-
lichen Experiments überhebt."1) Brugsch gibt daher für die sämmt-
lichen Königshäuser vor jener 26. Dynastie nur ganz runde, all-
gemein und ungefähr gehaltene Zahlen als Zeitbestimmungen.
Mißtrauischer noch verhält sich ein andrer Aegyptologe der Gegen-
wart, G. Maspero, der den Pharaonen vor Scheschonk überhaupt
gar keine Jahreszahlen beizusetzen wagt. Andre adoptiren zwar die
Zeitbestimmungen Lepsius' als des ersten bahnbrechenden Forschers
auf diesem Gebiete, mahnen aber zu großer Vorsicht in weiterer
Verwerthung der Angaben und weisen ausdrücklich auf die beträcht-
lichen Differenzen der einzelnen chronologischen Systeme hin.2) Wer
könnte auch dem, was hier gemuthmaaßt und combinirt wird, irgend-
welches festere Vertrauen schenken, wenn Menes, der erste geschicht-
liche König des Nilreichs nach Manethos, beispielsweise von Böckh
5702 v. Chr. gesetzt wird, dagegen von Unger 5613, von Mariette
5004, von Brugsch (in früheren Arbeiten) 4455, von Lauth 4157,

Section des zweiten internationalen Orientalistencongresses zu London, vgl.
Academy 1874, Nr. 125).
1) H. Brugsch-Bey, Geschichte Aegyptens unter den Pharaonen, Leipzig
1877, S. XI, S. 40. 765 ff.
2) Maspero, Gesch. der morgenländ. Völker im Alterthum, Leipzig
1877. -- G. Ebers in Baedekers "Aegypten; Handbuch für Reisende" etc.
I, S. 100 ff.

IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts.
quellenkundigſte Geſchichtſchreiber des Pharaonenreichs, H. Brugſch-
Bey: „Ungeachtet aller Entdeckungen auf dieſem Gebiete befinden
ſich dennoch die Zahlen in einem beklagenswerthen Zuſtande.‟ Es
ſei, meint derſelbe, was die Chronologie der Zeit vor der 26.
Dynaſtie (alſo vor Pſamtik, 666 v. Chr.!) betrifft, noch Alles zu
thun übrig;‟ anſtatt ſich zu vermindern, „haben die Schwierigkeiten
bei Beſtimmung der Zeitverhältniſſe ſich von Tag zu Tag vermehrt.‟
„Die Denkmäler fangen nach und nach an, die Manethoniſchen
Zahlen zu entwerthen; will man nicht die elaſtiſche Dehnbarkeit dieſer
Liſten ungebührlich anſpannen, ſo bleibt eben nichts weiter übrig,
als zu warten, bis irgend ein glücklicher Fund uns dieſes gefähr-
lichen Experiments überhebt.‟1) Brugſch gibt daher für die ſämmt-
lichen Königshäuſer vor jener 26. Dynaſtie nur ganz runde, all-
gemein und ungefähr gehaltene Zahlen als Zeitbeſtimmungen.
Mißtrauiſcher noch verhält ſich ein andrer Aegyptologe der Gegen-
wart, G. Maspéro, der den Pharaonen vor Scheſchonk überhaupt
gar keine Jahreszahlen beizuſetzen wagt. Andre adoptiren zwar die
Zeitbeſtimmungen Lepſius’ als des erſten bahnbrechenden Forſchers
auf dieſem Gebiete, mahnen aber zu großer Vorſicht in weiterer
Verwerthung der Angaben und weiſen ausdrücklich auf die beträcht-
lichen Differenzen der einzelnen chronologiſchen Syſteme hin.2) Wer
könnte auch dem, was hier gemuthmaaßt und combinirt wird, irgend-
welches feſtere Vertrauen ſchenken, wenn Menes, der erſte geſchicht-
liche König des Nilreichs nach Manethos, beiſpielsweiſe von Böckh
5702 v. Chr. geſetzt wird, dagegen von Unger 5613, von Mariette
5004, von Brugſch (in früheren Arbeiten) 4455, von Lauth 4157,

Section des zweiten internationalen Orientaliſtencongreſſes zu London, vgl.
Academy 1874, Nr. 125).
1) H. Brugſch-Bey, Geſchichte Aegyptens unter den Pharaonen, Leipzig
1877, S. XI, S. 40. 765 ff.
2) Maspéro, Geſch. der morgenländ. Völker im Alterthum, Leipzig
1877. — G. Ebers in Baedekers „Aegypten; Handbuch für Reiſende‟ ꝛc.
I, S. 100 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0305" n="295"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IX.</hi> Das Alter des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts.</fw><lb/>
quellenkundig&#x017F;te Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber des Pharaonenreichs, H. Brug&#x017F;ch-<lb/>
Bey: &#x201E;Ungeachtet aller Entdeckungen auf die&#x017F;em Gebiete befinden<lb/>
&#x017F;ich dennoch die Zahlen in einem beklagenswerthen Zu&#x017F;tande.&#x201F; Es<lb/>
&#x017F;ei, meint der&#x017F;elbe, was die Chronologie der Zeit vor der 26.<lb/>
Dyna&#x017F;tie (al&#x017F;o vor P&#x017F;amtik, 666 v. Chr.!) betrifft, noch Alles zu<lb/>
thun übrig;&#x201F; an&#x017F;tatt &#x017F;ich zu vermindern, &#x201E;haben die Schwierigkeiten<lb/>
bei Be&#x017F;timmung der Zeitverhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich von Tag zu Tag vermehrt.&#x201F;<lb/>
&#x201E;Die Denkmäler fangen nach und nach an, die Manethoni&#x017F;chen<lb/>
Zahlen zu entwerthen; will man nicht die ela&#x017F;ti&#x017F;che Dehnbarkeit die&#x017F;er<lb/>
Li&#x017F;ten ungebührlich an&#x017F;pannen, &#x017F;o bleibt eben nichts weiter übrig,<lb/>
als zu warten, bis irgend ein glücklicher Fund uns die&#x017F;es gefähr-<lb/>
lichen Experiments überhebt.&#x201F;<note place="foot" n="1)">H. <hi rendition="#g">Brug&#x017F;ch-</hi>Bey, Ge&#x017F;chichte Aegyptens unter den Pharaonen, Leipzig<lb/>
1877, S. <hi rendition="#aq">XI,</hi> S. 40. 765 ff.</note> Brug&#x017F;ch gibt daher für die &#x017F;ämmt-<lb/>
lichen Königshäu&#x017F;er vor jener 26. Dyna&#x017F;tie nur ganz runde, all-<lb/>
gemein und ungefähr gehaltene Zahlen als Zeitbe&#x017F;timmungen.<lb/>
Mißtraui&#x017F;cher noch verhält &#x017F;ich ein andrer Aegyptologe der Gegen-<lb/>
wart, G. Masp<hi rendition="#aq">é</hi>ro, der den Pharaonen vor Sche&#x017F;chonk überhaupt<lb/>
gar keine Jahreszahlen beizu&#x017F;etzen wagt. Andre adoptiren zwar die<lb/>
Zeitbe&#x017F;timmungen Lep&#x017F;ius&#x2019; als des er&#x017F;ten bahnbrechenden For&#x017F;chers<lb/>
auf die&#x017F;em Gebiete, mahnen aber zu großer Vor&#x017F;icht in weiterer<lb/>
Verwerthung der Angaben und wei&#x017F;en ausdrücklich auf die beträcht-<lb/>
lichen Differenzen der einzelnen chronologi&#x017F;chen Sy&#x017F;teme hin.<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Masp<hi rendition="#aq">é</hi>ro,</hi> Ge&#x017F;ch. der morgenländ. Völker im Alterthum, Leipzig<lb/>
1877. &#x2014; G. <hi rendition="#g">Ebers</hi> in Baedekers &#x201E;Aegypten; Handbuch für Rei&#x017F;ende&#x201F; &#xA75B;c.<lb/><hi rendition="#aq">I,</hi> S. 100 ff.</note> Wer<lb/>
könnte auch dem, was hier gemuthmaaßt und combinirt wird, irgend-<lb/>
welches fe&#x017F;tere Vertrauen &#x017F;chenken, wenn Menes, der er&#x017F;te ge&#x017F;chicht-<lb/>
liche König des Nilreichs nach Manethos, bei&#x017F;pielswei&#x017F;e von Böckh<lb/>
5702 v. Chr. ge&#x017F;etzt wird, dagegen von Unger 5613, von Mariette<lb/>
5004, von Brug&#x017F;ch (in früheren Arbeiten) 4455, von Lauth 4157,<lb/><note xml:id="seg2pn_13_2" prev="#seg2pn_13_1" place="foot" n="1)">Section des zweiten internationalen Orientali&#x017F;tencongre&#x017F;&#x017F;es zu London, vgl.<lb/><hi rendition="#aq">Academy</hi> 1874, Nr. 125).</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0305] IX. Das Alter des Menſchengeſchlechts. quellenkundigſte Geſchichtſchreiber des Pharaonenreichs, H. Brugſch- Bey: „Ungeachtet aller Entdeckungen auf dieſem Gebiete befinden ſich dennoch die Zahlen in einem beklagenswerthen Zuſtande.‟ Es ſei, meint derſelbe, was die Chronologie der Zeit vor der 26. Dynaſtie (alſo vor Pſamtik, 666 v. Chr.!) betrifft, noch Alles zu thun übrig;‟ anſtatt ſich zu vermindern, „haben die Schwierigkeiten bei Beſtimmung der Zeitverhältniſſe ſich von Tag zu Tag vermehrt.‟ „Die Denkmäler fangen nach und nach an, die Manethoniſchen Zahlen zu entwerthen; will man nicht die elaſtiſche Dehnbarkeit dieſer Liſten ungebührlich anſpannen, ſo bleibt eben nichts weiter übrig, als zu warten, bis irgend ein glücklicher Fund uns dieſes gefähr- lichen Experiments überhebt.‟ 1) Brugſch gibt daher für die ſämmt- lichen Königshäuſer vor jener 26. Dynaſtie nur ganz runde, all- gemein und ungefähr gehaltene Zahlen als Zeitbeſtimmungen. Mißtrauiſcher noch verhält ſich ein andrer Aegyptologe der Gegen- wart, G. Maspéro, der den Pharaonen vor Scheſchonk überhaupt gar keine Jahreszahlen beizuſetzen wagt. Andre adoptiren zwar die Zeitbeſtimmungen Lepſius’ als des erſten bahnbrechenden Forſchers auf dieſem Gebiete, mahnen aber zu großer Vorſicht in weiterer Verwerthung der Angaben und weiſen ausdrücklich auf die beträcht- lichen Differenzen der einzelnen chronologiſchen Syſteme hin. 2) Wer könnte auch dem, was hier gemuthmaaßt und combinirt wird, irgend- welches feſtere Vertrauen ſchenken, wenn Menes, der erſte geſchicht- liche König des Nilreichs nach Manethos, beiſpielsweiſe von Böckh 5702 v. Chr. geſetzt wird, dagegen von Unger 5613, von Mariette 5004, von Brugſch (in früheren Arbeiten) 4455, von Lauth 4157, 1) 1) H. Brugſch-Bey, Geſchichte Aegyptens unter den Pharaonen, Leipzig 1877, S. XI, S. 40. 765 ff. 2) Maspéro, Geſch. der morgenländ. Völker im Alterthum, Leipzig 1877. — G. Ebers in Baedekers „Aegypten; Handbuch für Reiſende‟ ꝛc. I, S. 100 ff. 1) Section des zweiten internationalen Orientaliſtencongreſſes zu London, vgl. Academy 1874, Nr. 125).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/305
Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/305>, abgerufen am 21.11.2024.