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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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Schluß.
Sachverhalt in den auf den vermeinten Atheismus mancher Stämme
sowie auf den Fetischismus bezüglichen Controversen, weit mehr der
Degradations- als der Urwildheitslehre zur Stütze gereichen.

7. Die Untersuchung über den Schauplatz des einstigen Lebens
im Urstande, oder über den Ursitz des Menschengeschlechts lehrt,
wesentlich übereinstimmend mit dem in der Schrift Angedeuteten,
eine ostwärts gelegne, vom Euphrat einerseits und vom Jndus
andrerseits umschlossene Gegend als den Ausgangspunkt kennen,
von wo das gesammte menschliche Culturleben, und zwar sowohl
der höherstehenden wie der gesunkenen und entarteteren Racen, sich
allmählig über die Erde verbreitet hat. Das vielseitig Bezeugte
dieser im Allgemeinen auf das südliche Hochasien hinweisenden Pa-
radiesestradition vereinigt sich mit andren wichtigen Jndicien zu
nachdrücklicher Bestätigung des einheitlichen Ursprungs der
Menschheit, worin auch wieder ein die Urwildheits-Phantasien wider-
legendes Moment von nicht geringer Bedeutung enthalten ist.

8. Jn den durch biblische wie außerbiblische Tradition be-
zeugten hohen Lebensaltern der frommen Erzväter aus
Seths und Noahs Geschlecht hat man, da aus der ganzen Zeit seit
Mose, also aus den letzten drei bis vier Jahrtausenden, keine Bei-
spiele einer auch nur annähernd so hoch hinaufgehenden Langlebigkeit
nachzuweisen sind, ein auf göttlich normirtem Entwicklungsgesetze
beruhendes Uebergangsstadium vom Urstande zum sündigen Stande
der Menschheitsgeschichte zu erblicken. Die diesem Phänomen zu
Grunde liegende außerordentliche Zeugungskraft der Urväter besitzt
im menschlichen Einzelleben ihr wahres Analogon an der frischen
geistigen wie körperlichen Jugendkraft und gesteigerten Lernfähigkeit
eines relativ unverdorbenen Kindes. Beide Male, bei diesem
lachenden Lebensfrühling des Jndividuallebens, wie bei jener üppig
sprossenden und blühenden Frühlingszeit des gesammten Menschen-
geschlechts, erklärt sich das allmählige Dahinschwinden der eine Zeit-
lang bethätigten höheren Lebenskraft aus der unaufhaltsam um sich
greifenden Einwirkung des in unsre Entwicklung eingedrungenen und

Schluß.
Sachverhalt in den auf den vermeinten Atheismus mancher Stämme
ſowie auf den Fetiſchismus bezüglichen Controverſen, weit mehr der
Degradations- als der Urwildheitslehre zur Stütze gereichen.

7. Die Unterſuchung über den Schauplatz des einſtigen Lebens
im Urſtande, oder über den Urſitz des Menſchengeſchlechts lehrt,
weſentlich übereinſtimmend mit dem in der Schrift Angedeuteten,
eine oſtwärts gelegne, vom Euphrat einerſeits und vom Jndus
andrerſeits umſchloſſene Gegend als den Ausgangspunkt kennen,
von wo das geſammte menſchliche Culturleben, und zwar ſowohl
der höherſtehenden wie der geſunkenen und entarteteren Racen, ſich
allmählig über die Erde verbreitet hat. Das vielſeitig Bezeugte
dieſer im Allgemeinen auf das ſüdliche Hochaſien hinweiſenden Pa-
radieſestradition vereinigt ſich mit andren wichtigen Jndicien zu
nachdrücklicher Beſtätigung des einheitlichen Urſprungs der
Menſchheit, worin auch wieder ein die Urwildheits-Phantaſien wider-
legendes Moment von nicht geringer Bedeutung enthalten iſt.

8. Jn den durch bibliſche wie außerbibliſche Tradition be-
zeugten hohen Lebensaltern der frommen Erzväter aus
Seths und Noahs Geſchlecht hat man, da aus der ganzen Zeit ſeit
Moſe, alſo aus den letzten drei bis vier Jahrtauſenden, keine Bei-
ſpiele einer auch nur annähernd ſo hoch hinaufgehenden Langlebigkeit
nachzuweiſen ſind, ein auf göttlich normirtem Entwicklungsgeſetze
beruhendes Uebergangsſtadium vom Urſtande zum ſündigen Stande
der Menſchheitsgeſchichte zu erblicken. Die dieſem Phänomen zu
Grunde liegende außerordentliche Zeugungskraft der Urväter beſitzt
im menſchlichen Einzelleben ihr wahres Analogon an der friſchen
geiſtigen wie körperlichen Jugendkraft und geſteigerten Lernfähigkeit
eines relativ unverdorbenen Kindes. Beide Male, bei dieſem
lachenden Lebensfrühling des Jndividuallebens, wie bei jener üppig
ſproſſenden und blühenden Frühlingszeit des geſammten Menſchen-
geſchlechts, erklärt ſich das allmählige Dahinſchwinden der eine Zeit-
lang bethätigten höheren Lebenskraft aus der unaufhaltſam um ſich
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[328/0338] Schluß. Sachverhalt in den auf den vermeinten Atheismus mancher Stämme ſowie auf den Fetiſchismus bezüglichen Controverſen, weit mehr der Degradations- als der Urwildheitslehre zur Stütze gereichen. 7. Die Unterſuchung über den Schauplatz des einſtigen Lebens im Urſtande, oder über den Urſitz des Menſchengeſchlechts lehrt, weſentlich übereinſtimmend mit dem in der Schrift Angedeuteten, eine oſtwärts gelegne, vom Euphrat einerſeits und vom Jndus andrerſeits umſchloſſene Gegend als den Ausgangspunkt kennen, von wo das geſammte menſchliche Culturleben, und zwar ſowohl der höherſtehenden wie der geſunkenen und entarteteren Racen, ſich allmählig über die Erde verbreitet hat. Das vielſeitig Bezeugte dieſer im Allgemeinen auf das ſüdliche Hochaſien hinweiſenden Pa- radieſestradition vereinigt ſich mit andren wichtigen Jndicien zu nachdrücklicher Beſtätigung des einheitlichen Urſprungs der Menſchheit, worin auch wieder ein die Urwildheits-Phantaſien wider- legendes Moment von nicht geringer Bedeutung enthalten iſt. 8. Jn den durch bibliſche wie außerbibliſche Tradition be- zeugten hohen Lebensaltern der frommen Erzväter aus Seths und Noahs Geſchlecht hat man, da aus der ganzen Zeit ſeit Moſe, alſo aus den letzten drei bis vier Jahrtauſenden, keine Bei- ſpiele einer auch nur annähernd ſo hoch hinaufgehenden Langlebigkeit nachzuweiſen ſind, ein auf göttlich normirtem Entwicklungsgeſetze beruhendes Uebergangsſtadium vom Urſtande zum ſündigen Stande der Menſchheitsgeſchichte zu erblicken. Die dieſem Phänomen zu Grunde liegende außerordentliche Zeugungskraft der Urväter beſitzt im menſchlichen Einzelleben ihr wahres Analogon an der friſchen geiſtigen wie körperlichen Jugendkraft und geſteigerten Lernfähigkeit eines relativ unverdorbenen Kindes. Beide Male, bei dieſem lachenden Lebensfrühling des Jndividuallebens, wie bei jener üppig ſproſſenden und blühenden Frühlingszeit des geſammten Menſchen- geſchlechts, erklärt ſich das allmählige Dahinſchwinden der eine Zeit- lang bethätigten höheren Lebenskraft aus der unaufhaltſam um ſich greifenden Einwirkung des in unſre Entwicklung eingedrungenen und

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/338>, abgerufen am 21.11.2024.