Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.X. Schluß. alter der Menschheit als durchaus nicht blos auf die Paradieseszeitbeschränkt, sondern als dieselbe, wenn auch nicht mehr in voller Reinheit und Urfrische, überdauernd und während des ganzen Patri- archenzeitalters fortdauernd zu fassen. Wir schließen das Kapitel vom Urstande noch nicht mit Gen. 3, ziehen vielmehr auch Gen. 5 und 11 mit in seine Darstellung hinein. Das gesammte Kindesalter der Menschheit, oder was trotz des entgegengesetzt klingenden Namens damit gleichbedeutend, das ganze Patriarchenzeitalter (aetas patri- archalis = aetas infantilis), zerfällt uns in zwei Stadien von ungleicher Länge: eine Zeit frühester und noch absolut reiner Kind- heit, und eine Zeit fortgeschrittener, nur noch relativ reiner Kindheit, die aber immer noch Kindheit ist. Wir unterscheiden einen eigent- lichen Jntegritätsstand und ein Uebergangsstadium, während dessen sich das langsame Herabsinken aus der Jntegrität in den dermaligen Zustand sittlicher und physischer Corruption vollzogen hat. Jn dieses letztere Stadium verlegen wir jene durch den Sündenfall herbeigeführten "großen Veränderungen sowohl der terrestrischen Lebensbedingungen als unsrer eignen Organisation" (Philippi), welche die kirchlich dogmatische Tradition gewiß mit Recht und auf Grund unleugbarer Schriftzeugnisse lehrt, welche aber freilich weder als außerhalb des Menschen, in niederen Natursphären vor sich gegangene, noch als mit Einem Schlage und plötzlich erfolgte Ver- änderungen gedacht werden dürfen. Vielmehr werden diese in der Naturbeschaffenheit und Naturstellung des Menschen sich offenbarenden Strafwirkungen des Falles, worin Gottes Fluch (Gen. 3, 14--19) sich erfüllte, als nur langsam im Laufe vieler Jahrhunderte sich auswirkende und zum Vollzug gelangende zu denken sein. Das Lebensgebiet, worin ihr zunehmend stärkeres Wirksamwerden zu Tage trat, wird vor Allem das der menschlichen Zeugungsthätigkeit sammt dem ihm entsprechenden des Absterbens unsres irdischen Organismus gewesen sein; das Werden und Vergehen, das Zeugen und Sterben der Menschheit wird als die Sphäre zu denken sein, in welcher jenes allmählige "Durchdringen des Todes zu allen Menschen" (Röm. X. Schluß. alter der Menſchheit als durchaus nicht blos auf die Paradieſeszeitbeſchränkt, ſondern als dieſelbe, wenn auch nicht mehr in voller Reinheit und Urfriſche, überdauernd und während des ganzen Patri- archenzeitalters fortdauernd zu faſſen. Wir ſchließen das Kapitel vom Urſtande noch nicht mit Gen. 3, ziehen vielmehr auch Gen. 5 und 11 mit in ſeine Darſtellung hinein. Das geſammte Kindesalter der Menſchheit, oder was trotz des entgegengeſetzt klingenden Namens damit gleichbedeutend, das ganze Patriarchenzeitalter (aetas patri- archalis = aetas infantilis), zerfällt uns in zwei Stadien von ungleicher Länge: eine Zeit früheſter und noch abſolut reiner Kind- heit, und eine Zeit fortgeſchrittener, nur noch relativ reiner Kindheit, die aber immer noch Kindheit iſt. Wir unterſcheiden einen eigent- lichen Jntegritätsſtand und ein Uebergangsſtadium, während deſſen ſich das langſame Herabſinken aus der Jntegrität in den dermaligen Zuſtand ſittlicher und phyſiſcher Corruption vollzogen hat. Jn dieſes letztere Stadium verlegen wir jene durch den Sündenfall herbeigeführten „großen Veränderungen ſowohl der terreſtriſchen Lebensbedingungen als unſrer eignen Organiſation‟ (Philippi), welche die kirchlich dogmatiſche Tradition gewiß mit Recht und auf Grund unleugbarer Schriftzeugniſſe lehrt, welche aber freilich weder als außerhalb des Menſchen, in niederen Naturſphären vor ſich gegangene, noch als mit Einem Schlage und plötzlich erfolgte Ver- änderungen gedacht werden dürfen. Vielmehr werden dieſe in der Naturbeſchaffenheit und Naturſtellung des Menſchen ſich offenbarenden Strafwirkungen des Falles, worin Gottes Fluch (Gen. 3, 14—19) ſich erfüllte, als nur langſam im Laufe vieler Jahrhunderte ſich auswirkende und zum Vollzug gelangende zu denken ſein. Das Lebensgebiet, worin ihr zunehmend ſtärkeres Wirkſamwerden zu Tage trat, wird vor Allem das der menſchlichen Zeugungsthätigkeit ſammt dem ihm entſprechenden des Abſterbens unſres irdiſchen Organismus geweſen ſein; das Werden und Vergehen, das Zeugen und Sterben der Menſchheit wird als die Sphäre zu denken ſein, in welcher jenes allmählige „Durchdringen des Todes zu allen Menſchen‟ (Röm. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0345" n="335"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">X.</hi> Schluß.</fw><lb/> alter der Menſchheit als durchaus nicht blos auf die Paradieſeszeit<lb/> beſchränkt, ſondern als dieſelbe, wenn auch nicht mehr in voller<lb/> Reinheit und Urfriſche, überdauernd und während des ganzen Patri-<lb/> archenzeitalters fortdauernd zu faſſen. Wir ſchließen das Kapitel<lb/> vom Urſtande noch nicht mit Gen. 3, ziehen vielmehr auch Gen. 5<lb/> und 11 mit in ſeine Darſtellung hinein. 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X. Schluß.
alter der Menſchheit als durchaus nicht blos auf die Paradieſeszeit
beſchränkt, ſondern als dieſelbe, wenn auch nicht mehr in voller
Reinheit und Urfriſche, überdauernd und während des ganzen Patri-
archenzeitalters fortdauernd zu faſſen. Wir ſchließen das Kapitel
vom Urſtande noch nicht mit Gen. 3, ziehen vielmehr auch Gen. 5
und 11 mit in ſeine Darſtellung hinein. Das geſammte Kindesalter
der Menſchheit, oder was trotz des entgegengeſetzt klingenden Namens
damit gleichbedeutend, das ganze Patriarchenzeitalter (aetas patri-
archalis = aetas infantilis), zerfällt uns in zwei Stadien von
ungleicher Länge: eine Zeit früheſter und noch abſolut reiner Kind-
heit, und eine Zeit fortgeſchrittener, nur noch relativ reiner Kindheit,
die aber immer noch Kindheit iſt. Wir unterſcheiden einen eigent-
lichen Jntegritätsſtand und ein Uebergangsſtadium, während deſſen
ſich das langſame Herabſinken aus der Jntegrität in den dermaligen
Zuſtand ſittlicher und phyſiſcher Corruption vollzogen hat. Jn
dieſes letztere Stadium verlegen wir jene durch den Sündenfall
herbeigeführten „großen Veränderungen ſowohl der terreſtriſchen
Lebensbedingungen als unſrer eignen Organiſation‟ (Philippi),
welche die kirchlich dogmatiſche Tradition gewiß mit Recht und auf
Grund unleugbarer Schriftzeugniſſe lehrt, welche aber freilich weder
als außerhalb des Menſchen, in niederen Naturſphären vor ſich
gegangene, noch als mit Einem Schlage und plötzlich erfolgte Ver-
änderungen gedacht werden dürfen. Vielmehr werden dieſe in der
Naturbeſchaffenheit und Naturſtellung des Menſchen ſich offenbarenden
Strafwirkungen des Falles, worin Gottes Fluch (Gen. 3, 14—19)
ſich erfüllte, als nur langſam im Laufe vieler Jahrhunderte ſich
auswirkende und zum Vollzug gelangende zu denken ſein. Das
Lebensgebiet, worin ihr zunehmend ſtärkeres Wirkſamwerden zu Tage
trat, wird vor Allem das der menſchlichen Zeugungsthätigkeit ſammt
dem ihm entſprechenden des Abſterbens unſres irdiſchen Organismus
geweſen ſein; das Werden und Vergehen, das Zeugen und Sterben
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