Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung. dern überwiegend evolutionistisch geartet. Die Menschheit steigt,nach jener schon im Briefe des Pseudo-Barnabas (K. 15) ange- deuteten typ[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]isch-prophetischen Deutung der Schöpfungsgeschichte, welche die sechs Tage als eine Weissagung auf die sechs Weltalter faßt, durch sechs Jahrtausende zu ihrem glorreichen Entwicklungs- ziel, dem messianischen Sabbath-Jahrtausend als dem Gegenbilde des Schöpfungssabbaths 1 Mos. 2, 2 empor. Das Philosophem scheint bereits aus dem hellenistischen Judenthum zu stammen; zu seiner Aufstellung dürften hauptsächlich wohl die Worte Ps. 90, 5: "Denn tausend Jahre sind vor dir wie ein Tag" den Anlaß ge- geben haben. Bis um die Zeiten Constantins überwiegt diejenige Ausgestaltung des Dogma's, welche das abschließende Sabbath- Jahrtausend gemäß buchstäblicher Deutung von Apokal. 20, 1--6, als Millenium, als tausendjährige Herrlichkeitszeit der vorher lei- denden und verfolgten Christenheit denkt; dieser chiliastischen Vor- stellungsweise huldigten Justin der Märtyrer, Jrenäus, Hippolytus, Cyprian, Lactanz, Victorin von Petabium. Vom Aufhören der Christenverfolgungen an gelangt die nicht-chiliastische Deutung zur Vorherrschaft, wonach das dem Schöpfungssabbath entsprechende letzte Jahrtausend der heilsgeschichtlichen Entwicklung geistlich, als Sinnbild der Ewigkeit oder des Reichs der seligen Vollendung, ver- standen wird. So nach dem Vorgange der pseudoclementinischen Homilien (Hom. 17), sowie begünstigt durch die spiritualistische Exegese der alexandrinischen Schule: Hilarius, Hieronymus, Augustin, Cyrill von Jerusalem, Chrysostomus, Hilarianus, Pseudojustin, Pseudo-Eustathius, Anastasius Sinaita, Jsidor von Sevilla und Beda -- welchen beiden Letzteren ein großer Theil der mittelalter- lichen Exegeten und Geschichtsphilosophen, sowohl von mystischer wie von scholastischer Richtung sich anschließt.1) Bei einigen Vätern wird diese typisch-prophetische Weltalter-Speculation durch eine einfachere, minder complicirte und dem natürlichen Erkenntnißstandpunkte besser 1) Vgl. überhaupt meine Geschichte der Beziehungen etc. I, 147 und 289
(Note 51), woselbst auch die Belegstellen zu den oben genannten Vätern. I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. dern überwiegend evolutioniſtiſch geartet. Die Menſchheit ſteigt,nach jener ſchon im Briefe des Pſeudo-Barnabas (K. 15) ange- deuteten typ[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]iſch-prophetiſchen Deutung der Schöpfungsgeſchichte, welche die ſechs Tage als eine Weiſſagung auf die ſechs Weltalter faßt, durch ſechs Jahrtauſende zu ihrem glorreichen Entwicklungs- ziel, dem meſſianiſchen Sabbath-Jahrtauſend als dem Gegenbilde des Schöpfungsſabbaths 1 Moſ. 2, 2 empor. Das Philoſophem ſcheint bereits aus dem helleniſtiſchen Judenthum zu ſtammen; zu ſeiner Aufſtellung dürften hauptſächlich wohl die Worte Pſ. 90, 5: „Denn tauſend Jahre ſind vor dir wie ein Tag‟ den Anlaß ge- geben haben. Bis um die Zeiten Conſtantins überwiegt diejenige Ausgeſtaltung des Dogma’s, welche das abſchließende Sabbath- Jahrtauſend gemäß buchſtäblicher Deutung von Apokal. 20, 1—6, als Millenium, als tauſendjährige Herrlichkeitszeit der vorher lei- denden und verfolgten Chriſtenheit denkt; dieſer chiliaſtiſchen Vor- ſtellungsweiſe huldigten Juſtin der Märtyrer, Jrenäus, Hippolytus, Cyprian, Lactanz, Victorin von Petabium. Vom Aufhören der Chriſtenverfolgungen an gelangt die nicht-chiliaſtiſche Deutung zur Vorherrſchaft, wonach das dem Schöpfungsſabbath entſprechende letzte Jahrtauſend der heilsgeſchichtlichen Entwicklung geiſtlich, als Sinnbild der Ewigkeit oder des Reichs der ſeligen Vollendung, ver- ſtanden wird. So nach dem Vorgange der pſeudoclementiniſchen Homilien (Hom. 17), ſowie begünſtigt durch die ſpiritualiſtiſche Exegeſe der alexandriniſchen Schule: Hilarius, Hieronymus, Auguſtin, Cyrill von Jeruſalem, Chryſoſtomus, Hilarianus, Pſeudojuſtin, Pſeudo-Euſtathius, Anaſtaſius Sinaita, Jſidor von Sevilla und Beda — welchen beiden Letzteren ein großer Theil der mittelalter- lichen Exegeten und Geſchichtsphiloſophen, ſowohl von myſtiſcher wie von ſcholaſtiſcher Richtung ſich anſchließt.1) Bei einigen Vätern wird dieſe typiſch-prophetiſche Weltalter-Speculation durch eine einfachere, minder complicirte und dem natürlichen Erkenntnißſtandpunkte beſſer 1) Vgl. überhaupt meine Geſchichte der Beziehungen ꝛc. I, 147 und 289
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I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
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ziel, dem meſſianiſchen Sabbath-Jahrtauſend als dem Gegenbilde
des Schöpfungsſabbaths 1 Moſ. 2, 2 empor. Das Philoſophem
ſcheint bereits aus dem helleniſtiſchen Judenthum zu ſtammen; zu
ſeiner Aufſtellung dürften hauptſächlich wohl die Worte Pſ. 90, 5:
„Denn tauſend Jahre ſind vor dir wie ein Tag‟ den Anlaß ge-
geben haben. Bis um die Zeiten Conſtantins überwiegt diejenige
Ausgeſtaltung des Dogma’s, welche das abſchließende Sabbath-
Jahrtauſend gemäß buchſtäblicher Deutung von Apokal. 20, 1—6,
als Millenium, als tauſendjährige Herrlichkeitszeit der vorher lei-
denden und verfolgten Chriſtenheit denkt; dieſer chiliaſtiſchen Vor-
ſtellungsweiſe huldigten Juſtin der Märtyrer, Jrenäus, Hippolytus,
Cyprian, Lactanz, Victorin von Petabium. Vom Aufhören der
Chriſtenverfolgungen an gelangt die nicht-chiliaſtiſche Deutung zur
Vorherrſchaft, wonach das dem Schöpfungsſabbath entſprechende
letzte Jahrtauſend der heilsgeſchichtlichen Entwicklung geiſtlich, als
Sinnbild der Ewigkeit oder des Reichs der ſeligen Vollendung, ver-
ſtanden wird. So nach dem Vorgange der pſeudoclementiniſchen
Homilien (Hom. 17), ſowie begünſtigt durch die ſpiritualiſtiſche
Exegeſe der alexandriniſchen Schule: Hilarius, Hieronymus, Auguſtin,
Cyrill von Jeruſalem, Chryſoſtomus, Hilarianus, Pſeudojuſtin,
Pſeudo-Euſtathius, Anaſtaſius Sinaita, Jſidor von Sevilla und
Beda — welchen beiden Letzteren ein großer Theil der mittelalter-
lichen Exegeten und Geſchichtsphiloſophen, ſowohl von myſtiſcher wie
von ſcholaſtiſcher Richtung ſich anſchließt. 1) Bei einigen Vätern wird
dieſe typiſch-prophetiſche Weltalter-Speculation durch eine einfachere,
minder complicirte und dem natürlichen Erkenntnißſtandpunkte beſſer
1) Vgl. überhaupt meine Geſchichte der Beziehungen ꝛc. I, 147 und 289
(Note 51), woſelbſt auch die Belegſtellen zu den oben genannten Vätern.
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