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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
beachtet zu werden, daß die Tendenz auch dieser den Danielischen
Weissagungen entlehnten Versinnbildlichung keine einseitig degra-
dationistische ist, sondern Beides miteinander veranschaulicht: das
Auf- und das Absteigen der ihrem Ziele, der großen Krisis in
Christo, entgegengehenden Entwicklung. Jm Monarchienbilde aus
Gold, Silber, Erz und Eisen nebst Thon geht der Gang der Be-
trachtung unaufhaltsam abwärts; im Thierbilde steigt er, freilich in
der Richtung vom Schlimmen zum immer Schlimmeren, Furcht-
bareren und Häßlicheren, stetig aufwärts. -- Es ist bekannt und
bedarf hier keiner näheren Darlegung, wie die Augustinische Com-
bination der danielischen Geschichtsbetrachtung mit jener älteren, auf
die typische Deutung des mosaischen Sechstagewerks sich stützenden,
zum Vorbilde zahlreicher geschichtsphilosophischer Constructionen im
Mittelalter geworden ist. Von den mehrerlei Modificationen, welche
das ursprüngliche Schema hier erfuhr, mögen als die bemerkens-
werthesten genannt werden: die bei Erigena, der die Siebenzahl der
Weltalter zu einer Achtzahl steigerte; bei Rupert von Deutz, der
zuerst die später in den Schriften Joachims und seiner Nachfolger
zu hoher Bedeutung gelangte Dreitheilung der Heilsgeschichte (in
ein Zeitalter des Vaters, des Sohns und des Geistes) mit dem
älteren Schema der sieben Weltalter zu verschmelzen suchte; bei
Arno von Reichersberg, der es vorzieht, die sieben Weltalter in
dem weiten Rahmen der paulinischen Speculation vom ersten und
vom anderen Adam (1 Cor. 15, 45) unterzubringen; bei Picus
von Mirandula, der an kabbalistische Vorgänger sich anlehnend eine
neue typisch heilsgeschichtliche Deutung der sechs Schöpfungstage zu
begründen sucht, wobei der erste Tag dem Zeitalter Abrahams und
der folgenden Patriarchen, der zweite demjenigen Mosis etc. ent-
spricht. Hervorhebung verdient auch Dante's streng degradationi-

Standpunkt einer correcteren welthistorischen Betrachtungsweise, als sein Schüler
der spanische Presbyter Orosius, dessen Deutung des zweiten Weltreichs auf
Carthago statt auf Persien ein Befangensein in specifisch abendländischen An-
schauungen verräth.
Zöckler, Urgeschichte. 3

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
beachtet zu werden, daß die Tendenz auch dieſer den Danieliſchen
Weiſſagungen entlehnten Verſinnbildlichung keine einſeitig degra-
dationiſtiſche iſt, ſondern Beides miteinander veranſchaulicht: das
Auf- und das Abſteigen der ihrem Ziele, der großen Kriſis in
Chriſto, entgegengehenden Entwicklung. Jm Monarchienbilde aus
Gold, Silber, Erz und Eiſen nebſt Thon geht der Gang der Be-
trachtung unaufhaltſam abwärts; im Thierbilde ſteigt er, freilich in
der Richtung vom Schlimmen zum immer Schlimmeren, Furcht-
bareren und Häßlicheren, ſtetig aufwärts. — Es iſt bekannt und
bedarf hier keiner näheren Darlegung, wie die Auguſtiniſche Com-
bination der danieliſchen Geſchichtsbetrachtung mit jener älteren, auf
die typiſche Deutung des moſaiſchen Sechstagewerks ſich ſtützenden,
zum Vorbilde zahlreicher geſchichtsphiloſophiſcher Conſtructionen im
Mittelalter geworden iſt. Von den mehrerlei Modificationen, welche
das urſprüngliche Schema hier erfuhr, mögen als die bemerkens-
wertheſten genannt werden: die bei Erigena, der die Siebenzahl der
Weltalter zu einer Achtzahl ſteigerte; bei Rupert von Deutz, der
zuerſt die ſpäter in den Schriften Joachims und ſeiner Nachfolger
zu hoher Bedeutung gelangte Dreitheilung der Heilsgeſchichte (in
ein Zeitalter des Vaters, des Sohns und des Geiſtes) mit dem
älteren Schema der ſieben Weltalter zu verſchmelzen ſuchte; bei
Arno von Reichersberg, der es vorzieht, die ſieben Weltalter in
dem weiten Rahmen der pauliniſchen Speculation vom erſten und
vom anderen Adam (1 Cor. 15, 45) unterzubringen; bei Picus
von Mirandula, der an kabbaliſtiſche Vorgänger ſich anlehnend eine
neue typiſch heilsgeſchichtliche Deutung der ſechs Schöpfungstage zu
begründen ſucht, wobei der erſte Tag dem Zeitalter Abrahams und
der folgenden Patriarchen, der zweite demjenigen Moſis ꝛc. ent-
ſpricht. Hervorhebung verdient auch Dante’s ſtreng degradationi-

Standpunkt einer correcteren welthiſtoriſchen Betrachtungsweiſe, als ſein Schüler
der ſpaniſche Presbyter Oroſius, deſſen Deutung des zweiten Weltreichs auf
Carthago ſtatt auf Perſien ein Befangenſein in ſpecifiſch abendländiſchen An-
ſchauungen verräth.
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[33/0043] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. beachtet zu werden, daß die Tendenz auch dieſer den Danieliſchen Weiſſagungen entlehnten Verſinnbildlichung keine einſeitig degra- dationiſtiſche iſt, ſondern Beides miteinander veranſchaulicht: das Auf- und das Abſteigen der ihrem Ziele, der großen Kriſis in Chriſto, entgegengehenden Entwicklung. Jm Monarchienbilde aus Gold, Silber, Erz und Eiſen nebſt Thon geht der Gang der Be- trachtung unaufhaltſam abwärts; im Thierbilde ſteigt er, freilich in der Richtung vom Schlimmen zum immer Schlimmeren, Furcht- bareren und Häßlicheren, ſtetig aufwärts. — Es iſt bekannt und bedarf hier keiner näheren Darlegung, wie die Auguſtiniſche Com- bination der danieliſchen Geſchichtsbetrachtung mit jener älteren, auf die typiſche Deutung des moſaiſchen Sechstagewerks ſich ſtützenden, zum Vorbilde zahlreicher geſchichtsphiloſophiſcher Conſtructionen im Mittelalter geworden iſt. Von den mehrerlei Modificationen, welche das urſprüngliche Schema hier erfuhr, mögen als die bemerkens- wertheſten genannt werden: die bei Erigena, der die Siebenzahl der Weltalter zu einer Achtzahl ſteigerte; bei Rupert von Deutz, der zuerſt die ſpäter in den Schriften Joachims und ſeiner Nachfolger zu hoher Bedeutung gelangte Dreitheilung der Heilsgeſchichte (in ein Zeitalter des Vaters, des Sohns und des Geiſtes) mit dem älteren Schema der ſieben Weltalter zu verſchmelzen ſuchte; bei Arno von Reichersberg, der es vorzieht, die ſieben Weltalter in dem weiten Rahmen der pauliniſchen Speculation vom erſten und vom anderen Adam (1 Cor. 15, 45) unterzubringen; bei Picus von Mirandula, der an kabbaliſtiſche Vorgänger ſich anlehnend eine neue typiſch heilsgeſchichtliche Deutung der ſechs Schöpfungstage zu begründen ſucht, wobei der erſte Tag dem Zeitalter Abrahams und der folgenden Patriarchen, der zweite demjenigen Moſis ꝛc. ent- ſpricht. Hervorhebung verdient auch Dante’s ſtreng degradationi- 1) 1) Standpunkt einer correcteren welthiſtoriſchen Betrachtungsweiſe, als ſein Schüler der ſpaniſche Presbyter Oroſius, deſſen Deutung des zweiten Weltreichs auf Carthago ſtatt auf Perſien ein Befangenſein in ſpecifiſch abendländiſchen An- ſchauungen verräth. Zöckler, Urgeſchichte. 3

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/43>, abgerufen am 09.11.2024.