Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung. und zwar in Gestalt jener sechs im Hexaemeron vorgebildeten Welt-alter, deren erstes von Adam bis zur Sintfluth, das zweite von Noah bis Abraham, das dritte von diesem bis auf David, das vierte von da bis zum Exil, das fünfte von da bis auf Christum, das sechste von da bis zum Schlusse der irdischen Entwicklung der Kirche Christi reicht. Für das Heidenthum dagegen, den gottfeind- lichen Erdstaat mit seinem bunten Völkergewimmel der 72 Nationen, bedeutet das allmählige Hindurchgehen durch diese sechs Weltalter nicht ein Steigen, sondern ein zunehmendes Herabsinken von der ursprünglichen Höhe. So geht denn Beides nebeneinander her: die sinkende, von Gott mehr und mehr sich entfernende Bewegung der gottfeindlichen Menschheit, und die aufsteigende, dem Ziele völliger und ewiger Gottgemeinschaft zustrebende der Angehörigen des Gottes- staats. Jn den vier großen Weltreichen des Propheten Daniel, welche gegen die Zeit Christi hin aus der Grundlage jenes massen- haften Völkergewühls sich hervorbilden, concentrirt sich der im Laufe der Jahrtausende immer feindseliger gewordne Conflict zwischen Welt- und Gottesstaat. Diese feindliche Spannung und Gefähr- dung der Existenz des Gottesvolks, wobei dieses anfänglich vor- übergehend, letztlich total und scheinbar bleibend von der Weltmacht umfaßt und gleichsam verschlungen wird, steigert sich bis zum Ein- tritt der den Sieg des letzteren anbahnenden günstigen Krisis, welche Christus herbeigeführt: der vom Berge rollende Stein, der das Monarchienbild zertrümmert, oder auch der Menschensohn, dem die wilden vier Thierungeheuer weichen müssen. Augustin folgt da, wo er diesen Danielischen Jdeengang seinen Schilderungen einverleibt, der von Hieronymus gegebnen Deutung der vier die Monarchienfolge versinnbildlichenden Thiere oder Bildstücke; das erste Weltreich ist ihm das assyrisch-babylonische, das zweite das persische, das dritte das macedonische, das vierte das römische.1) Es verdient wohl 1) De Civ. Dei XII, 10; XX, 23; an der letzteren Stelle wird ausdrück-
lich auf den Daniel-Commentar des Hieronymus, wo die richtige Deutung der Monarchienfolge gegeben sei, verwiesen. Augustin stellt sich also hier auf den I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. und zwar in Geſtalt jener ſechs im Hexaëmeron vorgebildeten Welt-alter, deren erſtes von Adam bis zur Sintfluth, das zweite von Noah bis Abraham, das dritte von dieſem bis auf David, das vierte von da bis zum Exil, das fünfte von da bis auf Chriſtum, das ſechste von da bis zum Schluſſe der irdiſchen Entwicklung der Kirche Chriſti reicht. Für das Heidenthum dagegen, den gottfeind- lichen Erdſtaat mit ſeinem bunten Völkergewimmel der 72 Nationen, bedeutet das allmählige Hindurchgehen durch dieſe ſechs Weltalter nicht ein Steigen, ſondern ein zunehmendes Herabſinken von der urſprünglichen Höhe. So geht denn Beides nebeneinander her: die ſinkende, von Gott mehr und mehr ſich entfernende Bewegung der gottfeindlichen Menſchheit, und die aufſteigende, dem Ziele völliger und ewiger Gottgemeinſchaft zuſtrebende der Angehörigen des Gottes- ſtaats. Jn den vier großen Weltreichen des Propheten Daniel, welche gegen die Zeit Chriſti hin aus der Grundlage jenes maſſen- haften Völkergewühls ſich hervorbilden, concentrirt ſich der im Laufe der Jahrtauſende immer feindſeliger gewordne Conflict zwiſchen Welt- und Gottesſtaat. Dieſe feindliche Spannung und Gefähr- dung der Exiſtenz des Gottesvolks, wobei dieſes anfänglich vor- übergehend, letztlich total und ſcheinbar bleibend von der Weltmacht umfaßt und gleichſam verſchlungen wird, ſteigert ſich bis zum Ein- tritt der den Sieg des letzteren anbahnenden günſtigen Kriſis, welche Chriſtus herbeigeführt: der vom Berge rollende Stein, der das Monarchienbild zertrümmert, oder auch der Menſchenſohn, dem die wilden vier Thierungeheuer weichen müſſen. Auguſtin folgt da, wo er dieſen Danieliſchen Jdeengang ſeinen Schilderungen einverleibt, der von Hieronymus gegebnen Deutung der vier die Monarchienfolge verſinnbildlichenden Thiere oder Bildſtücke; das erſte Weltreich iſt ihm das aſſyriſch-babyloniſche, das zweite das perſiſche, das dritte das macedoniſche, das vierte das römiſche.1) Es verdient wohl 1) De Civ. Dei XII, 10; XX, 23; an der letzteren Stelle wird ausdrück-
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I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
und zwar in Geſtalt jener ſechs im Hexaëmeron vorgebildeten Welt-
alter, deren erſtes von Adam bis zur Sintfluth, das zweite von
Noah bis Abraham, das dritte von dieſem bis auf David, das
vierte von da bis zum Exil, das fünfte von da bis auf Chriſtum,
das ſechste von da bis zum Schluſſe der irdiſchen Entwicklung der
Kirche Chriſti reicht. Für das Heidenthum dagegen, den gottfeind-
lichen Erdſtaat mit ſeinem bunten Völkergewimmel der 72 Nationen,
bedeutet das allmählige Hindurchgehen durch dieſe ſechs Weltalter
nicht ein Steigen, ſondern ein zunehmendes Herabſinken von der
urſprünglichen Höhe. So geht denn Beides nebeneinander her: die
ſinkende, von Gott mehr und mehr ſich entfernende Bewegung der
gottfeindlichen Menſchheit, und die aufſteigende, dem Ziele völliger
und ewiger Gottgemeinſchaft zuſtrebende der Angehörigen des Gottes-
ſtaats. Jn den vier großen Weltreichen des Propheten Daniel,
welche gegen die Zeit Chriſti hin aus der Grundlage jenes maſſen-
haften Völkergewühls ſich hervorbilden, concentrirt ſich der im Laufe
der Jahrtauſende immer feindſeliger gewordne Conflict zwiſchen
Welt- und Gottesſtaat. Dieſe feindliche Spannung und Gefähr-
dung der Exiſtenz des Gottesvolks, wobei dieſes anfänglich vor-
übergehend, letztlich total und ſcheinbar bleibend von der Weltmacht
umfaßt und gleichſam verſchlungen wird, ſteigert ſich bis zum Ein-
tritt der den Sieg des letzteren anbahnenden günſtigen Kriſis, welche
Chriſtus herbeigeführt: der vom Berge rollende Stein, der das
Monarchienbild zertrümmert, oder auch der Menſchenſohn, dem die
wilden vier Thierungeheuer weichen müſſen. Auguſtin folgt da, wo
er dieſen Danieliſchen Jdeengang ſeinen Schilderungen einverleibt, der
von Hieronymus gegebnen Deutung der vier die Monarchienfolge
verſinnbildlichenden Thiere oder Bildſtücke; das erſte Weltreich iſt
ihm das aſſyriſch-babyloniſche, das zweite das perſiſche, das dritte
das macedoniſche, das vierte das römiſche. 1) Es verdient wohl
1) De Civ. Dei XII, 10; XX, 23; an der letzteren Stelle wird ausdrück-
lich auf den Daniel-Commentar des Hieronymus, wo die richtige Deutung der
Monarchienfolge gegeben ſei, verwieſen. Auguſtin ſtellt ſich alſo hier auf den
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