Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.II. Die Schriftlehre vom Urstande. Nur eine trüb ascetisireude und unklar theosophirende Betrachtungs-weise kann es versuchen, in der Bildung des Weibes einen ersten Anfang der sündigen Entwicklung des Menschengeschlechts nachweisen zu wollen und jenen tiefen Schlaf Adams, während dessen Bil- dung vor sich gieng, dem klaren Schrifttext entgegen als erstes Merkzeichen des beginnenden Herabsinkens von der ursprünglichen gottebenbildlichen Höhe geltend zu machen. "Gott schuf sie ein Männlein und ein Fräulein" -- diesem Satze des ersten Schöpfungs- berichts entsprechen Geist und Tendenz des zweiten Berichts ganz und gar, mag immerhin der Eine Schöpfungsact von ihm zu zweien Scenen auseinandergelegt werden. Auch das "Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei", ist ein in den ursprünglichen Schöpfungs- rathschlag Gottes hineingehöriger Ausspruch, keine Aeußerung gött- licher Verlegenheit oder Selbstcorrectur -- als hätten erst gewisse Erfahrungen mit dem Verhalten und den Schicksalen des Neu- erschaffenen Gott darüber belehren gemußt, daß derselbe nun auch noch einer Gehilfin bedürfe! Zum Leben in der Gemeinschaft, in liebendem Verkehr mit Seinesgleichen ist der Mensch gleich ur- anfänglich vom Schöpfer bestimmt worden, weil der Schöpfer selbst kein einsames Leben führt, sondern ein Leben in der Liebe, ein Leben in liebender innertrinitarischer Gemeinschaft von Ewigkeit her, und ein Leben in liebender Offenbarung und Selbstmittheilung vom Beginn der Welt an. Gott lebt so wenig nur sich selber, nur seinem Jch, als der Mensch lediglich seinem Jch zu leben bestimmt ist. "Je mehr Jchheit, desto kleiner, nichtiger; je weniger Jchheit, um so mehr selbständige Größe, um so mehr Persönlichkeit!"1) Der Mensch soll vor allem darin Gotte, der ewigen Urpersönlichkeit, gleichen, daß er nicht sich, sondern Anderen lebe, daß sein Dichten und Trachten nicht aufs Nehmen gerichtet sei, sondern aufs Geben, 1) Glaubensbekenntniß eines unmodernen Culturforschers, Gotha 1879, S. 24. Vgl. überhaupt die hier gebotenen, theilweise sehr wahren und beherzigens- werthen Bemerkungen. Gegen das freilich, was dieser Autor über den Urstand sagt, werden wir uns weiter unten noch zu äußern haben. Zöckler, Urstand. 5
II. Die Schriftlehre vom Urſtande. Nur eine trüb ascetiſireude und unklar theoſophirende Betrachtungs-weiſe kann es verſuchen, in der Bildung des Weibes einen erſten Anfang der ſündigen Entwicklung des Menſchengeſchlechts nachweiſen zu wollen und jenen tiefen Schlaf Adams, während deſſen Bil- dung vor ſich gieng, dem klaren Schrifttext entgegen als erſtes Merkzeichen des beginnenden Herabſinkens von der urſprünglichen gottebenbildlichen Höhe geltend zu machen. „Gott ſchuf ſie ein Männlein und ein Fräulein‟ — dieſem Satze des erſten Schöpfungs- berichts entſprechen Geiſt und Tendenz des zweiten Berichts ganz und gar, mag immerhin der Eine Schöpfungsact von ihm zu zweien Scenen auseinandergelegt werden. Auch das „Es iſt nicht gut, daß der Menſch allein ſei‟, iſt ein in den urſprünglichen Schöpfungs- rathſchlag Gottes hineingehöriger Ausſpruch, keine Aeußerung gött- licher Verlegenheit oder Selbſtcorrectur — als hätten erſt gewiſſe Erfahrungen mit dem Verhalten und den Schickſalen des Neu- erſchaffenen Gott darüber belehren gemußt, daß derſelbe nun auch noch einer Gehilfin bedürfe! Zum Leben in der Gemeinſchaft, in liebendem Verkehr mit Seinesgleichen iſt der Menſch gleich ur- anfänglich vom Schöpfer beſtimmt worden, weil der Schöpfer ſelbſt kein einſames Leben führt, ſondern ein Leben in der Liebe, ein Leben in liebender innertrinitariſcher Gemeinſchaft von Ewigkeit her, und ein Leben in liebender Offenbarung und Selbſtmittheilung vom Beginn der Welt an. Gott lebt ſo wenig nur ſich ſelber, nur ſeinem Jch, als der Menſch lediglich ſeinem Jch zu leben beſtimmt iſt. „Je mehr Jchheit, deſto kleiner, nichtiger; je weniger Jchheit, um ſo mehr ſelbſtändige Größe, um ſo mehr Perſönlichkeit!‟1) Der Menſch ſoll vor allem darin Gotte, der ewigen Urperſönlichkeit, gleichen, daß er nicht ſich, ſondern Anderen lebe, daß ſein Dichten und Trachten nicht aufs Nehmen gerichtet ſei, ſondern aufs Geben, 1) Glaubensbekenntniß eines unmodernen Culturforſchers, Gotha 1879, S. 24. Vgl. überhaupt die hier gebotenen, theilweiſe ſehr wahren und beherzigens- werthen Bemerkungen. Gegen das freilich, was dieſer Autor über den Urſtand ſagt, werden wir uns weiter unten noch zu äußern haben. Zöckler, Urſtand. 5
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II. Die Schriftlehre vom Urſtande.
Nur eine trüb ascetiſireude und unklar theoſophirende Betrachtungs-
weiſe kann es verſuchen, in der Bildung des Weibes einen erſten
Anfang der ſündigen Entwicklung des Menſchengeſchlechts nachweiſen
zu wollen und jenen tiefen Schlaf Adams, während deſſen Bil-
dung vor ſich gieng, dem klaren Schrifttext entgegen als erſtes
Merkzeichen des beginnenden Herabſinkens von der urſprünglichen
gottebenbildlichen Höhe geltend zu machen. „Gott ſchuf ſie ein
Männlein und ein Fräulein‟ — dieſem Satze des erſten Schöpfungs-
berichts entſprechen Geiſt und Tendenz des zweiten Berichts ganz
und gar, mag immerhin der Eine Schöpfungsact von ihm zu zweien
Scenen auseinandergelegt werden. Auch das „Es iſt nicht gut, daß
der Menſch allein ſei‟, iſt ein in den urſprünglichen Schöpfungs-
rathſchlag Gottes hineingehöriger Ausſpruch, keine Aeußerung gött-
licher Verlegenheit oder Selbſtcorrectur — als hätten erſt gewiſſe
Erfahrungen mit dem Verhalten und den Schickſalen des Neu-
erſchaffenen Gott darüber belehren gemußt, daß derſelbe nun auch
noch einer Gehilfin bedürfe! Zum Leben in der Gemeinſchaft, in
liebendem Verkehr mit Seinesgleichen iſt der Menſch gleich ur-
anfänglich vom Schöpfer beſtimmt worden, weil der Schöpfer ſelbſt
kein einſames Leben führt, ſondern ein Leben in der Liebe, ein Leben
in liebender innertrinitariſcher Gemeinſchaft von Ewigkeit her, und
ein Leben in liebender Offenbarung und Selbſtmittheilung vom
Beginn der Welt an. Gott lebt ſo wenig nur ſich ſelber, nur
ſeinem Jch, als der Menſch lediglich ſeinem Jch zu leben beſtimmt
iſt. „Je mehr Jchheit, deſto kleiner, nichtiger; je weniger Jchheit,
um ſo mehr ſelbſtändige Größe, um ſo mehr Perſönlichkeit!‟ 1) Der
Menſch ſoll vor allem darin Gotte, der ewigen Urperſönlichkeit,
gleichen, daß er nicht ſich, ſondern Anderen lebe, daß ſein Dichten
und Trachten nicht aufs Nehmen gerichtet ſei, ſondern aufs Geben,
1) Glaubensbekenntniß eines unmodernen Culturforſchers, Gotha 1879, S.
24. Vgl. überhaupt die hier gebotenen, theilweiſe ſehr wahren und beherzigens-
werthen Bemerkungen. Gegen das freilich, was dieſer Autor über den Urſtand
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