Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.II. Die Schristlehre vom Urstande. auch die außerordentliche Naturbegabung Adams und seine wunderbargesteigerte Jntelligenz nicht lehren gedurft hätten. Ja Einige, wie Gerhard, Calov und Quenstedt haben das im Uebrigen ver- worfene "natürliche Gnadengeschenk" der römischen Scholastik wenig- stens in Einem Punkte: als gratiosa trinitatis inhabitatio nem- lich, für die Zeit vor dem Falle in Geltung belassen; ein Rückfall in jenen dem schlichten Schrifttexte Gewalt anthuenden Scholasticis- mus, welchen Andere wie Hollaz etc. mit Recht gerügt haben.1) -- Gegen die mystisch-magische Supranaturalisirungstendenz der hier in Rede stehenden Theorien überhaupt läßt auch noch der Schlußvers der Paradiesesgeschichte sich anführen: "Und sie waren beide nackt -- --, und schämten sich nicht" (Gen. 2, 24). Jm Sinne des biblischen Erzählers kann diese Hervorhebung der ursprünglichen Nacktheit der Menschen unmöglich etwas Anderes bezwecken, als eine Hinweisung auf die höchst einfachen und dennoch gottgemäßen, also "sehr guten" Naturverhältnisse, von welchen die Entwicklung unsres Geschlechts ihren Ausgang nahm. An höheres Wissen sammt wun- derbaren Kräften, die dem Nackten etwa den Kleidergebrauch ent- behrlich gemacht haben sollten, hat der Schreiber jener Worte jeden- falls ebensowenig gedacht, wie an ein unsichtbares Himmelskleid gnadenweise geschenkter Gottähnlichkeit, womit die angeblichen pura naturalia bis zum Eintritte des Sündenfalles etwa geheimnißvoll umflossen gewesen wären. Kindlich unschuldig, und dabei gleich ent- wicklungsfähig wie entwicklungsbedürftig, wird er unser Stammeltern- paar gedacht haben: ein Mehreres läßt sich aus der betr. Schluß- angabe seiner Schilderung nicht herauslesen. VI. Jn der nachparadiesischen Entwicklung des ältesten 1) Vgl. überhaupt H. Schmid. Die Dogmatik der evang.-luth. Kirche,
6. Aufl. S. 165. II. Die Schriſtlehre vom Urſtande. auch die außerordentliche Naturbegabung Adams und ſeine wunderbargeſteigerte Jntelligenz nicht lehren gedurft hätten. Ja Einige, wie Gerhard, Calov und Quenſtedt haben das im Uebrigen ver- worfene „natürliche Gnadengeſchenk‟ der römiſchen Scholaſtik wenig- ſtens in Einem Punkte: als gratiosa trinitatis inhabitatio nem- lich, für die Zeit vor dem Falle in Geltung belaſſen; ein Rückfall in jenen dem ſchlichten Schrifttexte Gewalt anthuenden Scholaſticis- mus, welchen Andere wie Hollaz ꝛc. mit Recht gerügt haben.1) — Gegen die myſtiſch-magiſche Supranaturaliſirungstendenz der hier in Rede ſtehenden Theorien überhaupt läßt auch noch der Schlußvers der Paradieſesgeſchichte ſich anführen: „Und ſie waren beide nackt — —, und ſchämten ſich nicht‟ (Gen. 2, 24). Jm Sinne des bibliſchen Erzählers kann dieſe Hervorhebung der urſprünglichen Nacktheit der Menſchen unmöglich etwas Anderes bezwecken, als eine Hinweiſung auf die höchſt einfachen und dennoch gottgemäßen, alſo „ſehr guten‟ Naturverhältniſſe, von welchen die Entwicklung unſres Geſchlechts ihren Ausgang nahm. An höheres Wiſſen ſammt wun- derbaren Kräften, die dem Nackten etwa den Kleidergebrauch ent- behrlich gemacht haben ſollten, hat der Schreiber jener Worte jeden- falls ebenſowenig gedacht, wie an ein unſichtbares Himmelskleid gnadenweiſe geſchenkter Gottähnlichkeit, womit die angeblichen pura naturalia bis zum Eintritte des Sündenfalles etwa geheimnißvoll umfloſſen geweſen wären. Kindlich unſchuldig, und dabei gleich ent- wicklungsfähig wie entwicklungsbedürftig, wird er unſer Stammeltern- paar gedacht haben: ein Mehreres läßt ſich aus der betr. Schluß- angabe ſeiner Schilderung nicht herausleſen. VI. Jn der nachparadieſiſchen Entwicklung des älteſten 1) Vgl. überhaupt H. Schmid. Die Dogmatik der evang.-luth. Kirche,
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II. Die Schriſtlehre vom Urſtande.
auch die außerordentliche Naturbegabung Adams und ſeine wunderbar
geſteigerte Jntelligenz nicht lehren gedurft hätten. Ja Einige, wie
Gerhard, Calov und Quenſtedt haben das im Uebrigen ver-
worfene „natürliche Gnadengeſchenk‟ der römiſchen Scholaſtik wenig-
ſtens in Einem Punkte: als gratiosa trinitatis inhabitatio nem-
lich, für die Zeit vor dem Falle in Geltung belaſſen; ein Rückfall
in jenen dem ſchlichten Schrifttexte Gewalt anthuenden Scholaſticis-
mus, welchen Andere wie Hollaz ꝛc. mit Recht gerügt haben. 1) —
Gegen die myſtiſch-magiſche Supranaturaliſirungstendenz der hier in
Rede ſtehenden Theorien überhaupt läßt auch noch der Schlußvers
der Paradieſesgeſchichte ſich anführen: „Und ſie waren beide nackt
— —, und ſchämten ſich nicht‟ (Gen. 2, 24). Jm Sinne des
bibliſchen Erzählers kann dieſe Hervorhebung der urſprünglichen
Nacktheit der Menſchen unmöglich etwas Anderes bezwecken, als eine
Hinweiſung auf die höchſt einfachen und dennoch gottgemäßen, alſo
„ſehr guten‟ Naturverhältniſſe, von welchen die Entwicklung unſres
Geſchlechts ihren Ausgang nahm. An höheres Wiſſen ſammt wun-
derbaren Kräften, die dem Nackten etwa den Kleidergebrauch ent-
behrlich gemacht haben ſollten, hat der Schreiber jener Worte jeden-
falls ebenſowenig gedacht, wie an ein unſichtbares Himmelskleid
gnadenweiſe geſchenkter Gottähnlichkeit, womit die angeblichen pura
naturalia bis zum Eintritte des Sündenfalles etwa geheimnißvoll
umfloſſen geweſen wären. Kindlich unſchuldig, und dabei gleich ent-
wicklungsfähig wie entwicklungsbedürftig, wird er unſer Stammeltern-
paar gedacht haben: ein Mehreres läßt ſich aus der betr. Schluß-
angabe ſeiner Schilderung nicht herausleſen.
VI. Jn der nachparadieſiſchen Entwicklung des älteſten
Menſchengeſchlechts ſpielt den bibliſchen Berichten zufolge Beides
ineinander: reichliche Nachwirkungen und Ueberreſte der
verlorenen gottbildlichen Jntegrität, und die Anfänge
einer mühſam zu neuer Höhe emporklimmenden Ent-
1) Vgl. überhaupt H. Schmid. Die Dogmatik der evang.-luth. Kirche,
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