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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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II. Die Schriftlehre vom Urstande.
zur Pflanzenwelt, die seine Speise bilden soll, werden (Gen. 1,
28--30; vgl. 2, 15 ff.) wesentlich so geregelt, wie sie jetzt noch
sind; etwas mystisch-Uebernatürliches spielt in diese Bestimmungen nicht
hinein. Selbst ein Verbot thierischer Nahrung kann aus Gen. 1, 29,
wo offenbar nur die hauptsächliche Nahrungsquelle für den
Menschen namhaft gemacht ist, schwerlich herausgelesen werden. Auch
das Namengeben der Thiere Gen. 2, 17 f. wird unverkennbar
nicht als ein Beweis wunderhaft pozentirter Erkenntniß oder mehr
als salomonischer Weisheit des ersten Menschen erzählt, sondern
lediglich als eine Bethätigung von dessen Naturstellung zur Thier-
welt. Und wenn Gott als den Paradiesesbewohnern Segenssprüche
oder Gebote ertheilend und sonst nach menschlich-väterlicher Weise
mit ihnen verkehrend dargestellt wird, so erscheint dieses gnadenvolle
Gemeinschaftsleben des Schöpfers mit seinen Geschöpfen höchstens
gradnell, aber nicht specifisch verschieden von demjenigem der nach-
paradiesischen Patriarchenzeit. Die Form der Theophanie verbleibt
auch noch für diese letztere die vorherrschende Offenbarungsweise der
Gottheit; daß der Sündenfall eine gänzlich umgestaltende Einwir-
kung auf diesen Verkehr Gottes mit der noch kindlichen Menschheit
geübt hätte, ist aus den biblischen Berichten nicht zu ersehen. --
Mit Recht hat man gegen die überspannt supranaturalistische Fassung.
der Gottbildlichkeit, wie jenes scholastische Dogma vom bald wieder
verlorenen Gnadengeschenke der similitudo Dei sie ausdrückt, auch
Gen. 1, 31 geltend gemacht: "Gott sah an Alles, was er gemacht
hatte, und siehe da, es war sehr gut". Eine sehr gute Beschaffen-
heit der ursprünglichen Menschennatur schloß die Nothwendigkeit
irgendwelchen außerordentlichen Gnadengeschenks, als wodurch etwaige
Mängel, Blößen oder Unvollkommenheiten jener Natur zuzudecken
gewesen sein würden, selbstverständlich aus. Verschiedne ältere Dog-
matiker des Protestantismus haben diese Unvereinbarkeit des Worts
von der "sehr guten" Erschaffung aller Dinge mit dem römisch-
scholastischen donum supernaturale ganz richtig betont, find sich
aber hierbei freilich nicht gehörig consequent geblieben, da sie sonst

II. Die Schriftlehre vom Urſtande.
zur Pflanzenwelt, die ſeine Speiſe bilden ſoll, werden (Gen. 1,
28—30; vgl. 2, 15 ff.) weſentlich ſo geregelt, wie ſie jetzt noch
ſind; etwas myſtiſch-Uebernatürliches ſpielt in dieſe Beſtimmungen nicht
hinein. Selbſt ein Verbot thieriſcher Nahrung kann aus Gen. 1, 29,
wo offenbar nur die hauptſächliche Nahrungsquelle für den
Menſchen namhaft gemacht iſt, ſchwerlich herausgeleſen werden. Auch
das Namengeben der Thiere Gen. 2, 17 f. wird unverkennbar
nicht als ein Beweis wunderhaft pozentirter Erkenntniß oder mehr
als ſalomoniſcher Weisheit des erſten Menſchen erzählt, ſondern
lediglich als eine Bethätigung von deſſen Naturſtellung zur Thier-
welt. Und wenn Gott als den Paradieſesbewohnern Segensſprüche
oder Gebote ertheilend und ſonſt nach menſchlich-väterlicher Weiſe
mit ihnen verkehrend dargeſtellt wird, ſo erſcheint dieſes gnadenvolle
Gemeinſchaftsleben des Schöpfers mit ſeinen Geſchöpfen höchſtens
gradnell, aber nicht ſpecifiſch verſchieden von demjenigem der nach-
paradieſiſchen Patriarchenzeit. Die Form der Theophanie verbleibt
auch noch für dieſe letztere die vorherrſchende Offenbarungsweiſe der
Gottheit; daß der Sündenfall eine gänzlich umgeſtaltende Einwir-
kung auf dieſen Verkehr Gottes mit der noch kindlichen Menſchheit
geübt hätte, iſt aus den bibliſchen Berichten nicht zu erſehen. —
Mit Recht hat man gegen die überſpannt ſupranaturaliſtiſche Faſſung.
der Gottbildlichkeit, wie jenes ſcholaſtiſche Dogma vom bald wieder
verlorenen Gnadengeſchenke der ſimilitudo Dei ſie ausdrückt, auch
Gen. 1, 31 geltend gemacht: „Gott ſah an Alles, was er gemacht
hatte, und ſiehe da, es war ſehr gut‟. Eine ſehr gute Beſchaffen-
heit der urſprünglichen Menſchennatur ſchloß die Nothwendigkeit
irgendwelchen außerordentlichen Gnadengeſchenks, als wodurch etwaige
Mängel, Blößen oder Unvollkommenheiten jener Natur zuzudecken
geweſen ſein würden, ſelbſtverſtändlich aus. Verſchiedne ältere Dog-
matiker des Proteſtantismus haben dieſe Unvereinbarkeit des Worts
von der „ſehr guten‟ Erſchaffung aller Dinge mit dem römiſch-
ſcholaſtiſchen donum ſupernaturale ganz richtig betont, find ſich
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[72/0082] II. Die Schriftlehre vom Urſtande. zur Pflanzenwelt, die ſeine Speiſe bilden ſoll, werden (Gen. 1, 28—30; vgl. 2, 15 ff.) weſentlich ſo geregelt, wie ſie jetzt noch ſind; etwas myſtiſch-Uebernatürliches ſpielt in dieſe Beſtimmungen nicht hinein. Selbſt ein Verbot thieriſcher Nahrung kann aus Gen. 1, 29, wo offenbar nur die hauptſächliche Nahrungsquelle für den Menſchen namhaft gemacht iſt, ſchwerlich herausgeleſen werden. Auch das Namengeben der Thiere Gen. 2, 17 f. wird unverkennbar nicht als ein Beweis wunderhaft pozentirter Erkenntniß oder mehr als ſalomoniſcher Weisheit des erſten Menſchen erzählt, ſondern lediglich als eine Bethätigung von deſſen Naturſtellung zur Thier- welt. Und wenn Gott als den Paradieſesbewohnern Segensſprüche oder Gebote ertheilend und ſonſt nach menſchlich-väterlicher Weiſe mit ihnen verkehrend dargeſtellt wird, ſo erſcheint dieſes gnadenvolle Gemeinſchaftsleben des Schöpfers mit ſeinen Geſchöpfen höchſtens gradnell, aber nicht ſpecifiſch verſchieden von demjenigem der nach- paradieſiſchen Patriarchenzeit. Die Form der Theophanie verbleibt auch noch für dieſe letztere die vorherrſchende Offenbarungsweiſe der Gottheit; daß der Sündenfall eine gänzlich umgeſtaltende Einwir- kung auf dieſen Verkehr Gottes mit der noch kindlichen Menſchheit geübt hätte, iſt aus den bibliſchen Berichten nicht zu erſehen. — Mit Recht hat man gegen die überſpannt ſupranaturaliſtiſche Faſſung. der Gottbildlichkeit, wie jenes ſcholaſtiſche Dogma vom bald wieder verlorenen Gnadengeſchenke der ſimilitudo Dei ſie ausdrückt, auch Gen. 1, 31 geltend gemacht: „Gott ſah an Alles, was er gemacht hatte, und ſiehe da, es war ſehr gut‟. Eine ſehr gute Beſchaffen- heit der urſprünglichen Menſchennatur ſchloß die Nothwendigkeit irgendwelchen außerordentlichen Gnadengeſchenks, als wodurch etwaige Mängel, Blößen oder Unvollkommenheiten jener Natur zuzudecken geweſen ſein würden, ſelbſtverſtändlich aus. Verſchiedne ältere Dog- matiker des Proteſtantismus haben dieſe Unvereinbarkeit des Worts von der „ſehr guten‟ Erſchaffung aller Dinge mit dem römiſch- ſcholaſtiſchen donum ſupernaturale ganz richtig betont, find ſich aber hierbei freilich nicht gehörig conſequent geblieben, da ſie ſonſt

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/82>, abgerufen am 21.11.2024.