Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mißhandelt, als mich, daß ich gerade auserwählt sein mußte, dem todten Gaste Ihrer hundertjährigen Stadtsage oder Stadtchronik auf ein Haar ähnlich zu sein. Diese Erklärung der plötzlichen Abreise kam dem Bürgermeister sehr gelegen. Er verlor also darüber kein Wort mehr und unterhielt sich über andere Dinge mit seinem Inquisiten. Dieser empfahl sich endlich. Der Bürgermeister fand die Sache sonderbar. Denn für ein ungefähres Zusammentreffen der Umstände, die den Herrn von Hahn zum todten Gaste stempeln wollten, war es im gewöhnlichen Gange der Dinge hier zu viel. Und von der andern Seite hatte sich auch gar kein Grund gezeigt, an der Redlichkeit der Aussagen des Fremden zu zweifeln. Dies erwog der Bürgermeister her und hin, indem er zum offenen Fenster hinaus auf die Straße sah. Er war, gleich nachdem sein Besuch aus dem Zimmer verschwunden, an dies Fenster getreten, um zu seiner Belustigung Acht zu haben, mit welchen Augen die Leute auf der Gasse den todten Gast betrachten würden. Allein zu seiner großen Verwunderung verließ dieser das Haus nicht. Er wartete noch lange; es verging fast eine Viertelstunde, und er wartete vergebens. Er zog die Klingel. Der Bediente kam und ward vom Bürgermeister befragt. Der Bediente schwor, seit einer Sunde unter dem Balkon vor der Hausthür gestanden, aber keinen Herrn in schwarzer Kleidung gesehen zu haben. mißhandelt, als mich, daß ich gerade auserwählt sein mußte, dem todten Gaste Ihrer hundertjährigen Stadtsage oder Stadtchronik auf ein Haar ähnlich zu sein. Diese Erklärung der plötzlichen Abreise kam dem Bürgermeister sehr gelegen. Er verlor also darüber kein Wort mehr und unterhielt sich über andere Dinge mit seinem Inquisiten. Dieser empfahl sich endlich. Der Bürgermeister fand die Sache sonderbar. Denn für ein ungefähres Zusammentreffen der Umstände, die den Herrn von Hahn zum todten Gaste stempeln wollten, war es im gewöhnlichen Gange der Dinge hier zu viel. Und von der andern Seite hatte sich auch gar kein Grund gezeigt, an der Redlichkeit der Aussagen des Fremden zu zweifeln. Dies erwog der Bürgermeister her und hin, indem er zum offenen Fenster hinaus auf die Straße sah. Er war, gleich nachdem sein Besuch aus dem Zimmer verschwunden, an dies Fenster getreten, um zu seiner Belustigung Acht zu haben, mit welchen Augen die Leute auf der Gasse den todten Gast betrachten würden. Allein zu seiner großen Verwunderung verließ dieser das Haus nicht. Er wartete noch lange; es verging fast eine Viertelstunde, und er wartete vergebens. Er zog die Klingel. Der Bediente kam und ward vom Bürgermeister befragt. Der Bediente schwor, seit einer Sunde unter dem Balkon vor der Hausthür gestanden, aber keinen Herrn in schwarzer Kleidung gesehen zu haben. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="16"> <p><pb facs="#f0146"/> mißhandelt, als mich, daß ich gerade auserwählt sein mußte, dem todten Gaste Ihrer hundertjährigen Stadtsage oder Stadtchronik auf ein Haar ähnlich zu sein.</p><lb/> <p>Diese Erklärung der plötzlichen Abreise kam dem Bürgermeister sehr gelegen. Er verlor also darüber kein Wort mehr und unterhielt sich über andere Dinge mit seinem Inquisiten. Dieser empfahl sich endlich.</p><lb/> <p>Der Bürgermeister fand die Sache sonderbar. Denn für ein ungefähres Zusammentreffen der Umstände, die den Herrn von Hahn zum todten Gaste stempeln wollten, war es im gewöhnlichen Gange der Dinge hier zu viel. Und von der andern Seite hatte sich auch gar kein Grund gezeigt, an der Redlichkeit der Aussagen des Fremden zu zweifeln. Dies erwog der Bürgermeister her und hin, indem er zum offenen Fenster hinaus auf die Straße sah. Er war, gleich nachdem sein Besuch aus dem Zimmer verschwunden, an dies Fenster getreten, um zu seiner Belustigung Acht zu haben, mit welchen Augen die Leute auf der Gasse den todten Gast betrachten würden. Allein zu seiner großen Verwunderung verließ dieser das Haus nicht. Er wartete noch lange; es verging fast eine Viertelstunde, und er wartete vergebens. Er zog die Klingel. Der Bediente kam und ward vom Bürgermeister befragt. Der Bediente schwor, seit einer Sunde unter dem Balkon vor der Hausthür gestanden, aber keinen Herrn in schwarzer Kleidung gesehen zu haben.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0146]
mißhandelt, als mich, daß ich gerade auserwählt sein mußte, dem todten Gaste Ihrer hundertjährigen Stadtsage oder Stadtchronik auf ein Haar ähnlich zu sein.
Diese Erklärung der plötzlichen Abreise kam dem Bürgermeister sehr gelegen. Er verlor also darüber kein Wort mehr und unterhielt sich über andere Dinge mit seinem Inquisiten. Dieser empfahl sich endlich.
Der Bürgermeister fand die Sache sonderbar. Denn für ein ungefähres Zusammentreffen der Umstände, die den Herrn von Hahn zum todten Gaste stempeln wollten, war es im gewöhnlichen Gange der Dinge hier zu viel. Und von der andern Seite hatte sich auch gar kein Grund gezeigt, an der Redlichkeit der Aussagen des Fremden zu zweifeln. Dies erwog der Bürgermeister her und hin, indem er zum offenen Fenster hinaus auf die Straße sah. Er war, gleich nachdem sein Besuch aus dem Zimmer verschwunden, an dies Fenster getreten, um zu seiner Belustigung Acht zu haben, mit welchen Augen die Leute auf der Gasse den todten Gast betrachten würden. Allein zu seiner großen Verwunderung verließ dieser das Haus nicht. Er wartete noch lange; es verging fast eine Viertelstunde, und er wartete vergebens. Er zog die Klingel. Der Bediente kam und ward vom Bürgermeister befragt. Der Bediente schwor, seit einer Sunde unter dem Balkon vor der Hausthür gestanden, aber keinen Herrn in schwarzer Kleidung gesehen zu haben.
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