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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Neuer Schrecken.

Der Bürgermeister, durchaus ein Mann ohne Vorurtheil und Aberglauben, hatte eine etwas schlaflose Nacht gehabt. In der Nacht aber, beim Monden- oder Sternenschein, oder beim Mangel alles Lichtes, hat nicht nur die Gestaltung der äußern Welt ein anderes Aussehen, sondern auch die innere Welt des Menschen. Man ist religiöser, zum Glauben an Ungewöhnliches, Seltsames, Abenteuerliches und Wunderhaftes geneigter, was auch die altkluge Vernunft dagegen einzuwenden habe. Die Vernunft ist die Tagessonne des Gemüthes, Alles wird hell und klar durch ihren Schein; der Glaube des Gefühls und der Phantasie ist der nächtliche Mond des Gemüths, Alles wird in dessen zweifelhaftem Schimmern und zauberhaftem Helldunkel fremdartig. -- Durchlief der Bürgermeister nun die ganze Geschichte, mit der sich die Stadt vom todten Gaste trug, und verglich damit Zeit und Stunde, in welcher der Herr von Hahn erschien, seine Gestalt, sein bleiches Gesicht, seine Kleidertracht, seine verschwenderischen Geschenke, sein schnelles Vertrautwerden mit Bräuten -- denn auch Minchen war auf dem Sprunge, versprochen zu werden, und das Geschichtchen von der Jungfer Wiesel hatte in der That etwas Verdächtiges -- so mußte das Alles wenigstens auffallen. Jungfer Wiesel hatte dem Polizeidiener wirklich noch am Abend gestanden, der schwarze Gast sei bei ihr im Putzladen gewesen, habe

Neuer Schrecken.

Der Bürgermeister, durchaus ein Mann ohne Vorurtheil und Aberglauben, hatte eine etwas schlaflose Nacht gehabt. In der Nacht aber, beim Monden- oder Sternenschein, oder beim Mangel alles Lichtes, hat nicht nur die Gestaltung der äußern Welt ein anderes Aussehen, sondern auch die innere Welt des Menschen. Man ist religiöser, zum Glauben an Ungewöhnliches, Seltsames, Abenteuerliches und Wunderhaftes geneigter, was auch die altkluge Vernunft dagegen einzuwenden habe. Die Vernunft ist die Tagessonne des Gemüthes, Alles wird hell und klar durch ihren Schein; der Glaube des Gefühls und der Phantasie ist der nächtliche Mond des Gemüths, Alles wird in dessen zweifelhaftem Schimmern und zauberhaftem Helldunkel fremdartig. — Durchlief der Bürgermeister nun die ganze Geschichte, mit der sich die Stadt vom todten Gaste trug, und verglich damit Zeit und Stunde, in welcher der Herr von Hahn erschien, seine Gestalt, sein bleiches Gesicht, seine Kleidertracht, seine verschwenderischen Geschenke, sein schnelles Vertrautwerden mit Bräuten — denn auch Minchen war auf dem Sprunge, versprochen zu werden, und das Geschichtchen von der Jungfer Wiesel hatte in der That etwas Verdächtiges — so mußte das Alles wenigstens auffallen. Jungfer Wiesel hatte dem Polizeidiener wirklich noch am Abend gestanden, der schwarze Gast sei bei ihr im Putzladen gewesen, habe

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[0149] Neuer Schrecken. Der Bürgermeister, durchaus ein Mann ohne Vorurtheil und Aberglauben, hatte eine etwas schlaflose Nacht gehabt. In der Nacht aber, beim Monden- oder Sternenschein, oder beim Mangel alles Lichtes, hat nicht nur die Gestaltung der äußern Welt ein anderes Aussehen, sondern auch die innere Welt des Menschen. Man ist religiöser, zum Glauben an Ungewöhnliches, Seltsames, Abenteuerliches und Wunderhaftes geneigter, was auch die altkluge Vernunft dagegen einzuwenden habe. Die Vernunft ist die Tagessonne des Gemüthes, Alles wird hell und klar durch ihren Schein; der Glaube des Gefühls und der Phantasie ist der nächtliche Mond des Gemüths, Alles wird in dessen zweifelhaftem Schimmern und zauberhaftem Helldunkel fremdartig. — Durchlief der Bürgermeister nun die ganze Geschichte, mit der sich die Stadt vom todten Gaste trug, und verglich damit Zeit und Stunde, in welcher der Herr von Hahn erschien, seine Gestalt, sein bleiches Gesicht, seine Kleidertracht, seine verschwenderischen Geschenke, sein schnelles Vertrautwerden mit Bräuten — denn auch Minchen war auf dem Sprunge, versprochen zu werden, und das Geschichtchen von der Jungfer Wiesel hatte in der That etwas Verdächtiges — so mußte das Alles wenigstens auffallen. Jungfer Wiesel hatte dem Polizeidiener wirklich noch am Abend gestanden, der schwarze Gast sei bei ihr im Putzladen gewesen, habe

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/149>, abgerufen am 29.04.2024.