Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sehr willkommen, Herr Waldrich. Waren ein Knirps und sind mir ganz aus den Augen gewachsen, Herr Waldrich. Ja, nun heißt es nicht mehr Georg, sondern Herr Waldrich, oder wohl gar Herr von Waldrich und dergleichen? Sind Sie von Adel? Nein. Und der Bandzipfel da im Knopfloch? Bedeutet nichts? Daß ich mit meiner Compagnie eine feindliche Schanze nahm und gegen drei, vier Stürme sie behauptete. Wie viel Mann kostete das? Zwölf Todte, siebenzehn Verwundete. Also neunundzwanzig Menschenkinder für eine Achtelselle Seidenband. Verdammt theure Waare, die der Fürst verkauft, und doch in jedem Kramladen um ein Paar Kreuzer einhandelt. Setzen wir uns; trinken wir. Friederike, bediene! Viel Beute gemacht? Wie stehen die Finanzen? Waldrich zuckte lächelnd die Achsel: Wir zogen aber auch nicht der Beute willen ins Feld, sondern des Vaterlandes willen, daß es nicht die Beute der Franzosen bleibe. Schön, schön. Ich liebe solche Gesinnungen, und es ist gut, daß man auch bei leeren Säcken darauf hält. Und Ihr väterliches Capitälchen, sicher und solid angelegt? sehr willkommen, Herr Waldrich. Waren ein Knirps und sind mir ganz aus den Augen gewachsen, Herr Waldrich. Ja, nun heißt es nicht mehr Georg, sondern Herr Waldrich, oder wohl gar Herr von Waldrich und dergleichen? Sind Sie von Adel? Nein. Und der Bandzipfel da im Knopfloch? Bedeutet nichts? Daß ich mit meiner Compagnie eine feindliche Schanze nahm und gegen drei, vier Stürme sie behauptete. Wie viel Mann kostete das? Zwölf Todte, siebenzehn Verwundete. Also neunundzwanzig Menschenkinder für eine Achtelselle Seidenband. Verdammt theure Waare, die der Fürst verkauft, und doch in jedem Kramladen um ein Paar Kreuzer einhandelt. Setzen wir uns; trinken wir. Friederike, bediene! Viel Beute gemacht? Wie stehen die Finanzen? Waldrich zuckte lächelnd die Achsel: Wir zogen aber auch nicht der Beute willen ins Feld, sondern des Vaterlandes willen, daß es nicht die Beute der Franzosen bleibe. Schön, schön. Ich liebe solche Gesinnungen, und es ist gut, daß man auch bei leeren Säcken darauf hält. Und Ihr väterliches Capitälchen, sicher und solid angelegt? <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0022"/> sehr willkommen, Herr Waldrich. Waren ein Knirps und sind mir ganz aus den Augen gewachsen, Herr Waldrich. Ja, nun heißt es nicht mehr Georg, sondern Herr Waldrich, oder wohl gar Herr von Waldrich und dergleichen? Sind Sie von Adel?</p><lb/> <p>Nein.</p><lb/> <p>Und der Bandzipfel da im Knopfloch? Bedeutet nichts?</p><lb/> <p>Daß ich mit meiner Compagnie eine feindliche Schanze nahm und gegen drei, vier Stürme sie behauptete.</p><lb/> <p>Wie viel Mann kostete das?</p><lb/> <p>Zwölf Todte, siebenzehn Verwundete.</p><lb/> <p>Also neunundzwanzig Menschenkinder für eine Achtelselle Seidenband. Verdammt theure Waare, die der Fürst verkauft, und doch in jedem Kramladen um ein Paar Kreuzer einhandelt. Setzen wir uns; trinken wir. Friederike, bediene! Viel Beute gemacht? Wie stehen die Finanzen?</p><lb/> <p>Waldrich zuckte lächelnd die Achsel: Wir zogen aber auch nicht der Beute willen ins Feld, sondern des Vaterlandes willen, daß es nicht die Beute der Franzosen bleibe.</p><lb/> <p>Schön, schön. Ich liebe solche Gesinnungen, und es ist gut, daß man auch bei leeren Säcken darauf hält. Und Ihr väterliches Capitälchen, sicher und solid angelegt?</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
sehr willkommen, Herr Waldrich. Waren ein Knirps und sind mir ganz aus den Augen gewachsen, Herr Waldrich. Ja, nun heißt es nicht mehr Georg, sondern Herr Waldrich, oder wohl gar Herr von Waldrich und dergleichen? Sind Sie von Adel?
Nein.
Und der Bandzipfel da im Knopfloch? Bedeutet nichts?
Daß ich mit meiner Compagnie eine feindliche Schanze nahm und gegen drei, vier Stürme sie behauptete.
Wie viel Mann kostete das?
Zwölf Todte, siebenzehn Verwundete.
Also neunundzwanzig Menschenkinder für eine Achtelselle Seidenband. Verdammt theure Waare, die der Fürst verkauft, und doch in jedem Kramladen um ein Paar Kreuzer einhandelt. Setzen wir uns; trinken wir. Friederike, bediene! Viel Beute gemacht? Wie stehen die Finanzen?
Waldrich zuckte lächelnd die Achsel: Wir zogen aber auch nicht der Beute willen ins Feld, sondern des Vaterlandes willen, daß es nicht die Beute der Franzosen bleibe.
Schön, schön. Ich liebe solche Gesinnungen, und es ist gut, daß man auch bei leeren Säcken darauf hält. Und Ihr väterliches Capitälchen, sicher und solid angelegt?
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/22>, abgerufen am 16.07.2024. |