Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Waldrich ward roth und sagte dabei lächelnd: Ich bin sicher, es geht mir nicht wieder verloren. Der todte Gast. Kaum war im Städtchen laut geworden, wer der Commandant sei, sammelten sich die alten Bekannten wieder zu ihm. Waldrich ward in alle Gesellschaften der besten Häuser gezogen, und war in allen der beste Gesellschafter, geistvoll, witzig, brav, ein angenehmer Erzähler, mit den Gelehrten gelehrt, mit den Kunstfreunden Künstler; er zeichnete gut, spielte Flügel und Flöte mit Fertigkeit, tanzte allerliebst, und die Frauen und Töchter gaben zu, er sei ein schöner, flüchtiger, aber eben darum äußerst gefährlicher junger Mann. Was die Gefährlichkeit betrifft, wußte eigentlich keine der Schönen bei sich ins Klare zu bringen, ob er durch sein bescheidenes Wesen die Gefahr vermindere oder vergrößere. Indessen war es eben damals im Städtchen keiner Schönen und keiner Häßlichen sehr darum zu thun, weder Eroberung zu machen, noch sich erobern zu lassen. Jede vielmehr verwahrte ihr Herz mit ungewöhnlicher Sorgfalt. Die Ursache dieser Enthaltsamkeit wird, wer nicht zu Herbesheim wohnt oder die handschriftlichen Chroniken der Stadt kennt, schwerlich errathen; wer sie nun aber kennen lernen wird, schwerlich Waldrich ward roth und sagte dabei lächelnd: Ich bin sicher, es geht mir nicht wieder verloren. Der todte Gast. Kaum war im Städtchen laut geworden, wer der Commandant sei, sammelten sich die alten Bekannten wieder zu ihm. Waldrich ward in alle Gesellschaften der besten Häuser gezogen, und war in allen der beste Gesellschafter, geistvoll, witzig, brav, ein angenehmer Erzähler, mit den Gelehrten gelehrt, mit den Kunstfreunden Künstler; er zeichnete gut, spielte Flügel und Flöte mit Fertigkeit, tanzte allerliebst, und die Frauen und Töchter gaben zu, er sei ein schöner, flüchtiger, aber eben darum äußerst gefährlicher junger Mann. Was die Gefährlichkeit betrifft, wußte eigentlich keine der Schönen bei sich ins Klare zu bringen, ob er durch sein bescheidenes Wesen die Gefahr vermindere oder vergrößere. Indessen war es eben damals im Städtchen keiner Schönen und keiner Häßlichen sehr darum zu thun, weder Eroberung zu machen, noch sich erobern zu lassen. Jede vielmehr verwahrte ihr Herz mit ungewöhnlicher Sorgfalt. Die Ursache dieser Enthaltsamkeit wird, wer nicht zu Herbesheim wohnt oder die handschriftlichen Chroniken der Stadt kennt, schwerlich errathen; wer sie nun aber kennen lernen wird, schwerlich <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <pb facs="#f0023"/> <p>Waldrich ward roth und sagte dabei lächelnd: Ich bin sicher, es geht mir nicht wieder verloren.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="4"> <head>Der todte Gast.</head> <p>Kaum war im Städtchen laut geworden, wer der Commandant sei, sammelten sich die alten Bekannten wieder zu ihm. Waldrich ward in alle Gesellschaften der besten Häuser gezogen, und war in allen der beste Gesellschafter, geistvoll, witzig, brav, ein angenehmer Erzähler, mit den Gelehrten gelehrt, mit den Kunstfreunden Künstler; er zeichnete gut, spielte Flügel und Flöte mit Fertigkeit, tanzte allerliebst, und die Frauen und Töchter gaben zu, er sei ein schöner, flüchtiger, aber eben darum äußerst gefährlicher junger Mann. Was die Gefährlichkeit betrifft, wußte eigentlich keine der Schönen bei sich ins Klare zu bringen, ob er durch sein bescheidenes Wesen die Gefahr vermindere oder vergrößere.</p><lb/> <p>Indessen war es eben damals im Städtchen keiner Schönen und keiner Häßlichen sehr darum zu thun, weder Eroberung zu machen, noch sich erobern zu lassen. Jede vielmehr verwahrte ihr Herz mit ungewöhnlicher Sorgfalt. Die Ursache dieser Enthaltsamkeit wird, wer nicht zu Herbesheim wohnt oder die handschriftlichen Chroniken der Stadt kennt, schwerlich errathen; wer sie nun aber kennen lernen wird, schwerlich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
Waldrich ward roth und sagte dabei lächelnd: Ich bin sicher, es geht mir nicht wieder verloren.
Der todte Gast. Kaum war im Städtchen laut geworden, wer der Commandant sei, sammelten sich die alten Bekannten wieder zu ihm. Waldrich ward in alle Gesellschaften der besten Häuser gezogen, und war in allen der beste Gesellschafter, geistvoll, witzig, brav, ein angenehmer Erzähler, mit den Gelehrten gelehrt, mit den Kunstfreunden Künstler; er zeichnete gut, spielte Flügel und Flöte mit Fertigkeit, tanzte allerliebst, und die Frauen und Töchter gaben zu, er sei ein schöner, flüchtiger, aber eben darum äußerst gefährlicher junger Mann. Was die Gefährlichkeit betrifft, wußte eigentlich keine der Schönen bei sich ins Klare zu bringen, ob er durch sein bescheidenes Wesen die Gefahr vermindere oder vergrößere.
Indessen war es eben damals im Städtchen keiner Schönen und keiner Häßlichen sehr darum zu thun, weder Eroberung zu machen, noch sich erobern zu lassen. Jede vielmehr verwahrte ihr Herz mit ungewöhnlicher Sorgfalt. Die Ursache dieser Enthaltsamkeit wird, wer nicht zu Herbesheim wohnt oder die handschriftlichen Chroniken der Stadt kennt, schwerlich errathen; wer sie nun aber kennen lernen wird, schwerlich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T14:15:44Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T14:15:44Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |