Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.uns um keinen todten Gast bekümmern, daß wir unsere Tochter verloben, allem Geschwätze zum Trotz, daß Riekchen den Kopf behält und ihr Keiner den Hals umdreht, so ist dem tollen Aberglauben der Hals umgedreht ans immer. Den Leuten bloß predigen: seid einmal gescheidt! thut Buße! werdet fromm! das hilft nichts; sondern hübsch voran, Herr Pfarrer, voran! Gesetzt aber, Papa, dein Kind ist dir doch auch lieb, gesetzt nun.... siehst du, vor hundert Jahren muß doch, laut dem Kirchenbuche, etwas Unglückliches begegnet sein, sei es gewesen, was es wolle; vielleicht waren damals auch Menschen, die sich über die uralte Sage hinwegsetzten; -- nun, wir wollen es auch thun. Aber wenn du die Verlobung eben in die böse, verrufene Adventzeit dieses hundertsten Jahres legst, und, was Gott verhüte, es geschähe dann, daß ... Halt! du willst doch nicht sagen, Friederikens Gesicht im Nacken? Ich mag den Teufelseinfall nur nicht denken. Bleib mir damit vom Leibe, sag' ich. Nein. Aber, zum Beispiel, Herr von Hahn käme in diesen berüchtigten Tagen, bei diesem winterlichen Wetter zu uns, -- denke nur, kränklich ist er, wie er schreibt. Es könnte doch die Witterung auf weiter Reise, bei schlechten Wegen, sein Uebel verschlimmern. Gesetzt, wir hätten einen kranken -- vielleicht zuletzt einen todten Gast; es graut mir, es auszusprechen! Und dann die vom Aberglauben ausgezeichneten Advente dieses Jahres, -- durch deinen Eigensinn diesen uns um keinen todten Gast bekümmern, daß wir unsere Tochter verloben, allem Geschwätze zum Trotz, daß Riekchen den Kopf behält und ihr Keiner den Hals umdreht, so ist dem tollen Aberglauben der Hals umgedreht ans immer. Den Leuten bloß predigen: seid einmal gescheidt! thut Buße! werdet fromm! das hilft nichts; sondern hübsch voran, Herr Pfarrer, voran! Gesetzt aber, Papa, dein Kind ist dir doch auch lieb, gesetzt nun.... siehst du, vor hundert Jahren muß doch, laut dem Kirchenbuche, etwas Unglückliches begegnet sein, sei es gewesen, was es wolle; vielleicht waren damals auch Menschen, die sich über die uralte Sage hinwegsetzten; — nun, wir wollen es auch thun. Aber wenn du die Verlobung eben in die böse, verrufene Adventzeit dieses hundertsten Jahres legst, und, was Gott verhüte, es geschähe dann, daß ... Halt! du willst doch nicht sagen, Friederikens Gesicht im Nacken? Ich mag den Teufelseinfall nur nicht denken. Bleib mir damit vom Leibe, sag' ich. Nein. Aber, zum Beispiel, Herr von Hahn käme in diesen berüchtigten Tagen, bei diesem winterlichen Wetter zu uns, — denke nur, kränklich ist er, wie er schreibt. Es könnte doch die Witterung auf weiter Reise, bei schlechten Wegen, sein Uebel verschlimmern. Gesetzt, wir hätten einen kranken — vielleicht zuletzt einen todten Gast; es graut mir, es auszusprechen! Und dann die vom Aberglauben ausgezeichneten Advente dieses Jahres, — durch deinen Eigensinn diesen <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0050"/> uns um keinen todten Gast bekümmern, daß wir unsere Tochter verloben, allem Geschwätze zum Trotz, daß Riekchen den Kopf behält und ihr Keiner den Hals umdreht, so ist dem tollen Aberglauben der Hals umgedreht ans immer. Den Leuten bloß predigen: seid einmal gescheidt! thut Buße! werdet fromm! das hilft nichts; sondern hübsch voran, Herr Pfarrer, voran!</p><lb/> <p>Gesetzt aber, Papa, dein Kind ist dir doch auch lieb, gesetzt nun.... siehst du, vor hundert Jahren muß doch, laut dem Kirchenbuche, etwas Unglückliches begegnet sein, sei es gewesen, was es wolle; vielleicht waren damals auch Menschen, die sich über die uralte Sage hinwegsetzten; — nun, wir wollen es auch thun. Aber wenn du die Verlobung eben in die böse, verrufene Adventzeit dieses hundertsten Jahres legst, und, was Gott verhüte, es geschähe dann, daß ...</p><lb/> <p>Halt! du willst doch nicht sagen, Friederikens Gesicht im Nacken? Ich mag den Teufelseinfall nur nicht denken. Bleib mir damit vom Leibe, sag' ich.</p><lb/> <p>Nein. Aber, zum Beispiel, Herr von Hahn käme in diesen berüchtigten Tagen, bei diesem winterlichen Wetter zu uns, — denke nur, kränklich ist er, wie er schreibt. Es könnte doch die Witterung auf weiter Reise, bei schlechten Wegen, sein Uebel verschlimmern. Gesetzt, wir hätten einen kranken — vielleicht zuletzt einen todten Gast; es graut mir, es auszusprechen! Und dann die vom Aberglauben ausgezeichneten Advente dieses Jahres, — durch deinen Eigensinn diesen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
uns um keinen todten Gast bekümmern, daß wir unsere Tochter verloben, allem Geschwätze zum Trotz, daß Riekchen den Kopf behält und ihr Keiner den Hals umdreht, so ist dem tollen Aberglauben der Hals umgedreht ans immer. Den Leuten bloß predigen: seid einmal gescheidt! thut Buße! werdet fromm! das hilft nichts; sondern hübsch voran, Herr Pfarrer, voran!
Gesetzt aber, Papa, dein Kind ist dir doch auch lieb, gesetzt nun.... siehst du, vor hundert Jahren muß doch, laut dem Kirchenbuche, etwas Unglückliches begegnet sein, sei es gewesen, was es wolle; vielleicht waren damals auch Menschen, die sich über die uralte Sage hinwegsetzten; — nun, wir wollen es auch thun. Aber wenn du die Verlobung eben in die böse, verrufene Adventzeit dieses hundertsten Jahres legst, und, was Gott verhüte, es geschähe dann, daß ...
Halt! du willst doch nicht sagen, Friederikens Gesicht im Nacken? Ich mag den Teufelseinfall nur nicht denken. Bleib mir damit vom Leibe, sag' ich.
Nein. Aber, zum Beispiel, Herr von Hahn käme in diesen berüchtigten Tagen, bei diesem winterlichen Wetter zu uns, — denke nur, kränklich ist er, wie er schreibt. Es könnte doch die Witterung auf weiter Reise, bei schlechten Wegen, sein Uebel verschlimmern. Gesetzt, wir hätten einen kranken — vielleicht zuletzt einen todten Gast; es graut mir, es auszusprechen! Und dann die vom Aberglauben ausgezeichneten Advente dieses Jahres, — durch deinen Eigensinn diesen
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