Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Das verhüte Gott, Papa. Mir schiene überhaupt gerathener, du würdest Herrn von Hahn schreiben, nicht vor Weihnachten nach Herbesheim zu kommen. Und wenn ich auch nicht an das alberne Geschwätz glauben mag, so kann man sich doch nicht erwehren, ängstlich zu sein.

Ei, ei, Mama! denkst du an den todten Gast? Possen! Schäme dich.

Ich geb' es zu, lieber Mann, es ist Thorheit. Allein, es dürfte unserm Kinde in der Adventszcit begegnen, was wollte, man würde immer... ja, bloß der Gedanke daran könnte, wenn etwa Riekchen nur unpäßlich würde, das Uebel verschlimmern. Und wenn ich auch nicht an Gespenster glaube, und wenn auch Friederike darüber lacht, möchten wir doch z. B. nicht Nachts in der Kirche herumgehen. Der Mensch ist nun so. Verschiebe die förmliche Verlobung bis nach der fatalen Zeit. Nach Advent haben die jungen Leute noch hundert Jahre Muße, einander zu sehen, Verlobung und Hochzeit zu machen. Warum denn eben jetzt geeilt? Was schadet ein Verzug von wenigen Wochen?

Schäme dich, Mama! Muthe mir nicht Narrheiten zu. Eben deßwegen gerade, weil der Pöbel sein Larifari mit dem todten Gaste hat, muß Friederike jetzt Braut werden, muß jetzt Verlobung sein. Man muß ein Beispiel geben. Es ist für uns Pflicht und dergleichen. Sehen die Leute in der Stadt, daß wir

Das verhüte Gott, Papa. Mir schiene überhaupt gerathener, du würdest Herrn von Hahn schreiben, nicht vor Weihnachten nach Herbesheim zu kommen. Und wenn ich auch nicht an das alberne Geschwätz glauben mag, so kann man sich doch nicht erwehren, ängstlich zu sein.

Ei, ei, Mama! denkst du an den todten Gast? Possen! Schäme dich.

Ich geb' es zu, lieber Mann, es ist Thorheit. Allein, es dürfte unserm Kinde in der Adventszcit begegnen, was wollte, man würde immer... ja, bloß der Gedanke daran könnte, wenn etwa Riekchen nur unpäßlich würde, das Uebel verschlimmern. Und wenn ich auch nicht an Gespenster glaube, und wenn auch Friederike darüber lacht, möchten wir doch z. B. nicht Nachts in der Kirche herumgehen. Der Mensch ist nun so. Verschiebe die förmliche Verlobung bis nach der fatalen Zeit. Nach Advent haben die jungen Leute noch hundert Jahre Muße, einander zu sehen, Verlobung und Hochzeit zu machen. Warum denn eben jetzt geeilt? Was schadet ein Verzug von wenigen Wochen?

Schäme dich, Mama! Muthe mir nicht Narrheiten zu. Eben deßwegen gerade, weil der Pöbel sein Larifari mit dem todten Gaste hat, muß Friederike jetzt Braut werden, muß jetzt Verlobung sein. Man muß ein Beispiel geben. Es ist für uns Pflicht und dergleichen. Sehen die Leute in der Stadt, daß wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="8">
        <pb facs="#f0049"/>
        <p>Das verhüte Gott, Papa. Mir schiene überhaupt gerathener, du würdest Herrn von Hahn      schreiben, nicht vor Weihnachten nach Herbesheim zu kommen. Und wenn ich auch nicht an das      alberne Geschwätz glauben mag, so kann man sich doch nicht erwehren, ängstlich zu sein.</p><lb/>
        <p>Ei, ei, Mama! denkst du an den todten Gast? Possen! Schäme dich.</p><lb/>
        <p>Ich geb' es zu, lieber Mann, es ist Thorheit. Allein, es dürfte unserm Kinde in der      Adventszcit begegnen, was wollte, man würde immer... ja, bloß der Gedanke daran könnte, wenn      etwa Riekchen nur unpäßlich würde, das Uebel verschlimmern. Und wenn ich auch nicht an      Gespenster glaube, und wenn auch Friederike darüber lacht, möchten wir doch z. B. nicht Nachts      in der Kirche herumgehen. Der Mensch ist nun so. Verschiebe die förmliche Verlobung bis nach      der fatalen Zeit. Nach Advent haben die jungen Leute noch hundert Jahre Muße, einander zu      sehen, Verlobung und Hochzeit zu machen. Warum denn eben jetzt geeilt? Was schadet ein Verzug      von wenigen Wochen?</p><lb/>
        <p>Schäme dich, Mama! Muthe mir nicht Narrheiten zu. Eben deßwegen gerade, weil der Pöbel sein      Larifari mit dem todten Gaste hat, muß Friederike jetzt Braut werden, muß jetzt Verlobung sein.      Man muß ein Beispiel geben. Es ist für uns Pflicht und dergleichen. Sehen die Leute in der      Stadt, daß wir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Das verhüte Gott, Papa. Mir schiene überhaupt gerathener, du würdest Herrn von Hahn schreiben, nicht vor Weihnachten nach Herbesheim zu kommen. Und wenn ich auch nicht an das alberne Geschwätz glauben mag, so kann man sich doch nicht erwehren, ängstlich zu sein. Ei, ei, Mama! denkst du an den todten Gast? Possen! Schäme dich. Ich geb' es zu, lieber Mann, es ist Thorheit. Allein, es dürfte unserm Kinde in der Adventszcit begegnen, was wollte, man würde immer... ja, bloß der Gedanke daran könnte, wenn etwa Riekchen nur unpäßlich würde, das Uebel verschlimmern. Und wenn ich auch nicht an Gespenster glaube, und wenn auch Friederike darüber lacht, möchten wir doch z. B. nicht Nachts in der Kirche herumgehen. Der Mensch ist nun so. Verschiebe die förmliche Verlobung bis nach der fatalen Zeit. Nach Advent haben die jungen Leute noch hundert Jahre Muße, einander zu sehen, Verlobung und Hochzeit zu machen. Warum denn eben jetzt geeilt? Was schadet ein Verzug von wenigen Wochen? Schäme dich, Mama! Muthe mir nicht Narrheiten zu. Eben deßwegen gerade, weil der Pöbel sein Larifari mit dem todten Gaste hat, muß Friederike jetzt Braut werden, muß jetzt Verlobung sein. Man muß ein Beispiel geben. Es ist für uns Pflicht und dergleichen. Sehen die Leute in der Stadt, daß wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/49
Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/49>, abgerufen am 21.11.2024.