Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016."Tantchen Rosmarin" mit H. v. Kleistes "Marquise von O." zu vergleichen: beide Erzählungen behandeln einen ähnlichen häßlichen Stoff, die eine in erstaunlich leichtem, die andere im ernsthaftesten Sinn; und siehe, von dem ehrbaren Geschmack jener Tage wurde das leichte "Tantchen" mit Entzücken, die herbe, tiefgründige "Marquise" aber mit sittlicher Entrüstung aufgenommen! -- Den meisten Beifall, wenn wir nicht irren, trugen von Zschokke's Novellen die "Abenteuer einer Neujahrsnacht" davon, die jedoch heutzutage eine weit sorgfältigere Durchführung erfordern, dieselbe aber auch in der That verdienen würden. Ebenfalls mit guter Laune erfunden und weniger an Unwahrscheinlichkeiten leidend ist die Erzählung, die wir ausgewählt haben. Auf diese paßt ganz, was Tieck von Zschokke's Art zu erzählen sagt: "Er erzählt gut und leicht, bisweilen sogar anmuthig und nicht ohne Humor; er ist überhaupt ein leichtes und bewegliches Talent, aber kein tiefes." Trotz dieses nicht abzuleugnenden Mangels darf Zschokke in einer Mustersammlung deutscher Novellisten nicht fehlen. „Tantchen Rosmarin“ mit H. v. Kleistes „Marquise von O.“ zu vergleichen: beide Erzählungen behandeln einen ähnlichen häßlichen Stoff, die eine in erstaunlich leichtem, die andere im ernsthaftesten Sinn; und siehe, von dem ehrbaren Geschmack jener Tage wurde das leichte „Tantchen“ mit Entzücken, die herbe, tiefgründige „Marquise“ aber mit sittlicher Entrüstung aufgenommen! — Den meisten Beifall, wenn wir nicht irren, trugen von Zschokke's Novellen die „Abenteuer einer Neujahrsnacht“ davon, die jedoch heutzutage eine weit sorgfältigere Durchführung erfordern, dieselbe aber auch in der That verdienen würden. Ebenfalls mit guter Laune erfunden und weniger an Unwahrscheinlichkeiten leidend ist die Erzählung, die wir ausgewählt haben. Auf diese paßt ganz, was Tieck von Zschokke's Art zu erzählen sagt: „Er erzählt gut und leicht, bisweilen sogar anmuthig und nicht ohne Humor; er ist überhaupt ein leichtes und bewegliches Talent, aber kein tiefes.“ Trotz dieses nicht abzuleugnenden Mangels darf Zschokke in einer Mustersammlung deutscher Novellisten nicht fehlen. <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0006"/> „Tantchen Rosmarin“ mit H. v. Kleistes „Marquise von O.“ zu vergleichen: beide Erzählungen behandeln einen ähnlichen häßlichen Stoff, die eine in erstaunlich leichtem, die andere im ernsthaftesten Sinn; und siehe, von dem ehrbaren Geschmack jener Tage wurde das leichte „Tantchen“ mit Entzücken, die herbe, tiefgründige „Marquise“ aber mit sittlicher Entrüstung aufgenommen! — Den meisten Beifall, wenn wir nicht irren, trugen von Zschokke's Novellen die „Abenteuer einer Neujahrsnacht“ davon, die jedoch heutzutage eine weit sorgfältigere Durchführung erfordern, dieselbe aber auch in der That verdienen würden. Ebenfalls mit guter Laune erfunden und weniger an Unwahrscheinlichkeiten leidend ist die Erzählung, die wir ausgewählt haben. Auf diese paßt ganz, was Tieck von Zschokke's Art zu erzählen sagt: „Er erzählt gut und leicht, bisweilen sogar anmuthig und nicht ohne Humor; er ist überhaupt ein leichtes und bewegliches Talent, aber kein tiefes.“ Trotz dieses nicht abzuleugnenden Mangels darf Zschokke in einer Mustersammlung deutscher Novellisten nicht fehlen.</p><lb/> </div> </front> </text> </TEI> [0006]
„Tantchen Rosmarin“ mit H. v. Kleistes „Marquise von O.“ zu vergleichen: beide Erzählungen behandeln einen ähnlichen häßlichen Stoff, die eine in erstaunlich leichtem, die andere im ernsthaftesten Sinn; und siehe, von dem ehrbaren Geschmack jener Tage wurde das leichte „Tantchen“ mit Entzücken, die herbe, tiefgründige „Marquise“ aber mit sittlicher Entrüstung aufgenommen! — Den meisten Beifall, wenn wir nicht irren, trugen von Zschokke's Novellen die „Abenteuer einer Neujahrsnacht“ davon, die jedoch heutzutage eine weit sorgfältigere Durchführung erfordern, dieselbe aber auch in der That verdienen würden. Ebenfalls mit guter Laune erfunden und weniger an Unwahrscheinlichkeiten leidend ist die Erzählung, die wir ausgewählt haben. Auf diese paßt ganz, was Tieck von Zschokke's Art zu erzählen sagt: „Er erzählt gut und leicht, bisweilen sogar anmuthig und nicht ohne Humor; er ist überhaupt ein leichtes und bewegliches Talent, aber kein tiefes.“ Trotz dieses nicht abzuleugnenden Mangels darf Zschokke in einer Mustersammlung deutscher Novellisten nicht fehlen.
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Zitationshilfe: | Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/6>, abgerufen am 16.07.2024. |