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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Tisch: wie gern mit allen diesen Ringen, und an jedwedem hängt eine reiche Herrschaft!

Jacobea erröthete. Sie schob den prächtigen Ring zurück. Seid nicht so grausam, sprach der Graf; denn nun ich Euch einmal gesehen, kann ich Euch nimmer vergessen. Hat Euch Euer Liebster verschmäht, verschmäht ihn wieder. Das ist süße Rache. Mein Herz und meine Grafschaft liegen zu Euern Füßen.

Zwar Jacobea mochte nicht davon hören, aber doch fand sie in ihrem Herzen, der Graf habe mit der Rache Recht, und der Treulose müsse vergessen sein. Sie sprachen noch Vieles mit einander. Der Graf redete sehr bescheiden und einnehmend; nur war er nicht so schön, wie der verlorene Bräutigam, sein Gesicht auch gar zu bleich und erdfarben. Doch wenn er anmuthig redete, vergaß man die Farbe leicht. Und da Alles seine Zeit hat, so hörte auch Jacobea auf zu weinen, und sie mußte wohl zuweilen zu den Scherzen des Grafen lächeln.

Die Anwesenheit des reichen Herrn in Herbesheim ward bald in der ganzen Stadt ruchbar, denn er hatte prachtvoll gekleidete Dienerschaft und machte viel Aufwand. Auch daß er Jacobea einen Brief von dem verschwundenen Bräutigam gebracht, erfuhr bald Jeder. Als dies Veronika und Franziska hörten, eilten sie zu ihrer Freundin und fragten, ob der vornehme Graf nichts von den übrigen Beiden gewußt habe, und baten, danach zu forschen.

Tisch: wie gern mit allen diesen Ringen, und an jedwedem hängt eine reiche Herrschaft!

Jacobea erröthete. Sie schob den prächtigen Ring zurück. Seid nicht so grausam, sprach der Graf; denn nun ich Euch einmal gesehen, kann ich Euch nimmer vergessen. Hat Euch Euer Liebster verschmäht, verschmäht ihn wieder. Das ist süße Rache. Mein Herz und meine Grafschaft liegen zu Euern Füßen.

Zwar Jacobea mochte nicht davon hören, aber doch fand sie in ihrem Herzen, der Graf habe mit der Rache Recht, und der Treulose müsse vergessen sein. Sie sprachen noch Vieles mit einander. Der Graf redete sehr bescheiden und einnehmend; nur war er nicht so schön, wie der verlorene Bräutigam, sein Gesicht auch gar zu bleich und erdfarben. Doch wenn er anmuthig redete, vergaß man die Farbe leicht. Und da Alles seine Zeit hat, so hörte auch Jacobea auf zu weinen, und sie mußte wohl zuweilen zu den Scherzen des Grafen lächeln.

Die Anwesenheit des reichen Herrn in Herbesheim ward bald in der ganzen Stadt ruchbar, denn er hatte prachtvoll gekleidete Dienerschaft und machte viel Aufwand. Auch daß er Jacobea einen Brief von dem verschwundenen Bräutigam gebracht, erfuhr bald Jeder. Als dies Veronika und Franziska hörten, eilten sie zu ihrer Freundin und fragten, ob der vornehme Graf nichts von den übrigen Beiden gewußt habe, und baten, danach zu forschen.

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[0070] Tisch: wie gern mit allen diesen Ringen, und an jedwedem hängt eine reiche Herrschaft! Jacobea erröthete. Sie schob den prächtigen Ring zurück. Seid nicht so grausam, sprach der Graf; denn nun ich Euch einmal gesehen, kann ich Euch nimmer vergessen. Hat Euch Euer Liebster verschmäht, verschmäht ihn wieder. Das ist süße Rache. Mein Herz und meine Grafschaft liegen zu Euern Füßen. Zwar Jacobea mochte nicht davon hören, aber doch fand sie in ihrem Herzen, der Graf habe mit der Rache Recht, und der Treulose müsse vergessen sein. Sie sprachen noch Vieles mit einander. Der Graf redete sehr bescheiden und einnehmend; nur war er nicht so schön, wie der verlorene Bräutigam, sein Gesicht auch gar zu bleich und erdfarben. Doch wenn er anmuthig redete, vergaß man die Farbe leicht. Und da Alles seine Zeit hat, so hörte auch Jacobea auf zu weinen, und sie mußte wohl zuweilen zu den Scherzen des Grafen lächeln. Die Anwesenheit des reichen Herrn in Herbesheim ward bald in der ganzen Stadt ruchbar, denn er hatte prachtvoll gekleidete Dienerschaft und machte viel Aufwand. Auch daß er Jacobea einen Brief von dem verschwundenen Bräutigam gebracht, erfuhr bald Jeder. Als dies Veronika und Franziska hörten, eilten sie zu ihrer Freundin und fragten, ob der vornehme Graf nichts von den übrigen Beiden gewußt habe, und baten, danach zu forschen.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/70>, abgerufen am 21.11.2024.