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Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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auf Ritterweise den Ehren- und Minnesold. Den nun freilich verweigerte die junge Baronin, ob er gleich nur in der Erlaubniß eines Kusses auf ihre glühende Wange bestehen sollte; aber die Eroberung war ihr darum nicht minder angenehm.

Noch freudeberauschter war Henriette. Sie sah sich als den Gegenstand allgemeiner Bewunderung. So viel Schönes war ihr in ihrem Leben noch nicht über ihre Schönheit gesagt, wie hier von den vielen jungen Edelleuten auf dem Balle. Als der Graf sie gegen Morgen wieder im Wagen zum väterlichen Hause zurückführte und sie wieder zum nächsten Balle einlud, verdoppelte sich ganz natürlich ihr Entzücken. Ach, Henriette, seufzte er, wirst du mich nie ein wenig lieben? Du hattest heute einen frohen Abend; willst du nicht immer diese Abende, diese Tage, diese Nächte? Es hängt von dir ab. Als Gräfin von Altenkreuz ist dein ganzes Leben ein fröhlicher Balltag.

Sie schwieg. Er raubte ihr einen Kuß, indem er sie an seine Brust drückte. Sie zitterte und schwieg, und duldete den zweiten.

Des andern Tags fehlte der Graf nicht, sich nach dem Befinden beider Tänzerinnen zu erkundigen und bei Beiden seine Bewerbungen fortzusetzen. Beiden machte er glänzende Geschenke; beider Mädchen Eitelkeit begeisterte er so, daß beide sich zuletzt einbildeten, sie liebten ihn wirklich. Die Väter, der Schneider wie der Baron, wurden auf gleiche Weise von ihm ge-

auf Ritterweise den Ehren- und Minnesold. Den nun freilich verweigerte die junge Baronin, ob er gleich nur in der Erlaubniß eines Kusses auf ihre glühende Wange bestehen sollte; aber die Eroberung war ihr darum nicht minder angenehm.

Noch freudeberauschter war Henriette. Sie sah sich als den Gegenstand allgemeiner Bewunderung. So viel Schönes war ihr in ihrem Leben noch nicht über ihre Schönheit gesagt, wie hier von den vielen jungen Edelleuten auf dem Balle. Als der Graf sie gegen Morgen wieder im Wagen zum väterlichen Hause zurückführte und sie wieder zum nächsten Balle einlud, verdoppelte sich ganz natürlich ihr Entzücken. Ach, Henriette, seufzte er, wirst du mich nie ein wenig lieben? Du hattest heute einen frohen Abend; willst du nicht immer diese Abende, diese Tage, diese Nächte? Es hängt von dir ab. Als Gräfin von Altenkreuz ist dein ganzes Leben ein fröhlicher Balltag.

Sie schwieg. Er raubte ihr einen Kuß, indem er sie an seine Brust drückte. Sie zitterte und schwieg, und duldete den zweiten.

Des andern Tags fehlte der Graf nicht, sich nach dem Befinden beider Tänzerinnen zu erkundigen und bei Beiden seine Bewerbungen fortzusetzen. Beiden machte er glänzende Geschenke; beider Mädchen Eitelkeit begeisterte er so, daß beide sich zuletzt einbildeten, sie liebten ihn wirklich. Die Väter, der Schneider wie der Baron, wurden auf gleiche Weise von ihm ge-

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[0093] auf Ritterweise den Ehren- und Minnesold. Den nun freilich verweigerte die junge Baronin, ob er gleich nur in der Erlaubniß eines Kusses auf ihre glühende Wange bestehen sollte; aber die Eroberung war ihr darum nicht minder angenehm. Noch freudeberauschter war Henriette. Sie sah sich als den Gegenstand allgemeiner Bewunderung. So viel Schönes war ihr in ihrem Leben noch nicht über ihre Schönheit gesagt, wie hier von den vielen jungen Edelleuten auf dem Balle. Als der Graf sie gegen Morgen wieder im Wagen zum väterlichen Hause zurückführte und sie wieder zum nächsten Balle einlud, verdoppelte sich ganz natürlich ihr Entzücken. Ach, Henriette, seufzte er, wirst du mich nie ein wenig lieben? Du hattest heute einen frohen Abend; willst du nicht immer diese Abende, diese Tage, diese Nächte? Es hängt von dir ab. Als Gräfin von Altenkreuz ist dein ganzes Leben ein fröhlicher Balltag. Sie schwieg. Er raubte ihr einen Kuß, indem er sie an seine Brust drückte. Sie zitterte und schwieg, und duldete den zweiten. Des andern Tags fehlte der Graf nicht, sich nach dem Befinden beider Tänzerinnen zu erkundigen und bei Beiden seine Bewerbungen fortzusetzen. Beiden machte er glänzende Geschenke; beider Mädchen Eitelkeit begeisterte er so, daß beide sich zuletzt einbildeten, sie liebten ihn wirklich. Die Väter, der Schneider wie der Baron, wurden auf gleiche Weise von ihm ge-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T14:15:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T14:15:44Z)

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Zitationshilfe: Zschokke, Heinrich: Der todte Gast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [59]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zschokke_gast_1910/93>, abgerufen am 28.04.2024.