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Klepperbein, Vertraugott: Den Todt im Leben Und das Leben im Tode. Schlichtingsheim (Oder), 1693.

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Abdanckungs-Rede.
Bismar-
cus in vi-
tis vario-
rum vita
Joh. Stu-
tionis.
ihren Leib gehabet. Sie bekennen mit dem Poeten Ale-
xis,
der/ weil er bey sehr hohem Alter gar langsam gieng/
und gefraget worden/ was er mache? Zur Antwort ge-
geben: Pededentim morior, ich sterbe allmählich. Gab
hiermit zu verstehen/ daß die Alten fast nicht mehr lebeten/
sondern langsam stürben/ dahero auch Senex so viel als
Seminex, oder Semi mortuus, ein halb Todter heissen soll.

Vielen steiget der Tod im Leben zu dem Fenster ein/
daß ihre Augen tunckel werden/ und das Tagelicht gleich-
sam mit einem Flor überzogen wird. Vielen leget er Fes-
sel an die Beine/ daß sie nicht gehen können. Anderen ver-
stopffet er die Lufftröhre: Ohne was er sonsten mehr für
Erfindungen hat.

Gleichwie aber nichts in der Welt anzutreffen/ daß
seine Ursachen nicht haben solte: Also würde auch nicht
der Tod im Leben seyn/ wenn er nicht allenthalben Anlaß
genug findete. Eben daß jenige/ daß uns das Leben erhal-
ten soll/ hat in sich solche heimliche Würckungen/ daß wir
dadurch das Leben verliehren/ wiewohl dieses meistens
durch den Mißbrauch zuläßiger/ und heylsamer Sachen
befödert wird. Etliche Tropffen einer künstlich zubereite-
ten Artzney jagen den Tod auß des Krancken Leibe; Und
zuviel von denselben eingenommen/ nehmen den Tod ein.
Heimliche Nachstellungen berücken den jenigen/ der durch
einen Feind offentlich nicht hätte können gefangen werden.

Die Gesellen des Todes/ verkleiden sich vielmahl in
treue Gehülffen des Lebens. Alles/ was uns sonsten nach
dem ordentlichen Lauff der Natur/ und güttigen Boesor-
ge des Himmels/ unsere Leiber erhält/ schadet zu anderen

Zeiten/

Abdanckungs-Rede.
Bismar-
cus in vi-
tis vario-
rum vita
Joh. Stu-
tionis.
ihren Leib gehabet. Sie bekennen mit dem Poëten Ale-
xis,
der/ weil er bey ſehr hohem Alter gar langſam gieng/
und gefraget worden/ was er mache? Zur Antwort ge-
geben: Pededentim morior, ich ſterbe allmaͤhlich. Gab
hiermit zu verſtehen/ daß die Alten faſt nicht mehr lebeten/
ſondern langſam ſtuͤrben/ dahero auch Senex ſo viel als
Seminex, oder Semi mortuus, ein halb Todter heiſſen ſoll.

Vielen ſteiget der Tod im Leben zu dem Fenſter ein/
daß ihre Augen tunckel werden/ und das Tagelicht gleich-
ſam mit einem Flor uͤberzogen wird. Vielen leget er Feſ-
ſel an die Beine/ daß ſie nicht gehen koͤnnen. Anderen ver-
ſtopffet er die Lufftroͤhre: Ohne was er ſonſten mehr fuͤr
Erfindungen hat.

Gleichwie aber nichts in der Welt anzutreffen/ daß
ſeine Urſachen nicht haben ſolte: Alſo wuͤrde auch nicht
der Tod im Leben ſeyn/ wenn er nicht allenthalben Anlaß
genug findete. Eben daß jenige/ daß uns das Leben erhal-
ten ſoll/ hat in ſich ſolche heimliche Wuͤrckungen/ daß wir
dadurch das Leben verliehren/ wiewohl dieſes meiſtens
durch den Mißbrauch zulaͤßiger/ und heylſamer Sachen
befoͤdert wird. Etliche Tropffen einer kuͤnſtlich zubereite-
ten Artzney jagen den Tod auß des Krancken Leibe; Und
zuviel von denſelben eingenommen/ nehmen den Tod ein.
Heimliche Nachſtellungen beruͤcken den jenigen/ der durch
einen Feind offentlich nicht haͤtte koͤnnen gefangen werden.

Die Geſellen des Todes/ verkleiden ſich vielmahl in
treue Gehuͤlffen des Lebens. Alles/ was uns ſonſten nach
dem ordentlichen Lauff der Natur/ und guͤttigen Boeſor-
ge des Himmels/ unſere Leiber erhaͤlt/ ſchadet zu anderen

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[14/0014] Abdanckungs-Rede. ihren Leib gehabet. Sie bekennen mit dem Poëten Ale- xis, der/ weil er bey ſehr hohem Alter gar langſam gieng/ und gefraget worden/ was er mache? Zur Antwort ge- geben: Pededentim morior, ich ſterbe allmaͤhlich. Gab hiermit zu verſtehen/ daß die Alten faſt nicht mehr lebeten/ ſondern langſam ſtuͤrben/ dahero auch Senex ſo viel als Seminex, oder Semi mortuus, ein halb Todter heiſſen ſoll. Bismar- cus in vi- tis vario- rum vita Joh. Stu- tionis. Vielen ſteiget der Tod im Leben zu dem Fenſter ein/ daß ihre Augen tunckel werden/ und das Tagelicht gleich- ſam mit einem Flor uͤberzogen wird. Vielen leget er Feſ- ſel an die Beine/ daß ſie nicht gehen koͤnnen. Anderen ver- ſtopffet er die Lufftroͤhre: Ohne was er ſonſten mehr fuͤr Erfindungen hat. Gleichwie aber nichts in der Welt anzutreffen/ daß ſeine Urſachen nicht haben ſolte: Alſo wuͤrde auch nicht der Tod im Leben ſeyn/ wenn er nicht allenthalben Anlaß genug findete. Eben daß jenige/ daß uns das Leben erhal- ten ſoll/ hat in ſich ſolche heimliche Wuͤrckungen/ daß wir dadurch das Leben verliehren/ wiewohl dieſes meiſtens durch den Mißbrauch zulaͤßiger/ und heylſamer Sachen befoͤdert wird. Etliche Tropffen einer kuͤnſtlich zubereite- ten Artzney jagen den Tod auß des Krancken Leibe; Und zuviel von denſelben eingenommen/ nehmen den Tod ein. Heimliche Nachſtellungen beruͤcken den jenigen/ der durch einen Feind offentlich nicht haͤtte koͤnnen gefangen werden. Die Geſellen des Todes/ verkleiden ſich vielmahl in treue Gehuͤlffen des Lebens. Alles/ was uns ſonſten nach dem ordentlichen Lauff der Natur/ und guͤttigen Boeſor- ge des Himmels/ unſere Leiber erhaͤlt/ ſchadet zu anderen Zeiten/

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Zitationshilfe: Klepperbein, Vertraugott: Den Todt im Leben Und das Leben im Tode. Schlichtingsheim (Oder), 1693, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/359522/14>, abgerufen am 28.03.2024.