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Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100.

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um Abend vergeblich der Rückmarschordre. Jch las in
den Nibelungen, dem einzigen Buche, was ich mit mir
im Tornister führte. Der grandiose Zauber der Ein-
fachheit, der durch dies Epos weht, hat aber in jenen
Jahren noch wenig Reiz; es war noch kein Ueberreiz
da, der eine Rückkehr verlangt zur Einfalt.

Fast vierzehn Tage vergingen, und ich saß mit
der schweigenden Familie vierzehn Tage lang, täglich
im Halbkreise und starrte schweigend, wie sie, auf die
Kohlen. Nur zuweilen kochte die Redseligkeit der Frau
wie das Wasser in der Marmite über. Diese hing,
ein schwerer eiserner Kessel, das einzige Kochgeräth in
diesen Hütten, vom Morgen bis Abend in der Esse.
Zuerst wurde drin die Mahlzeit für jene sonoren Haus-
thiere abgekocht, die mich letzthin aus der Melancholie
erweckt; dann, wenn die Kartoffeln ausgeschüttet, warf
man die Stoffe zu unserem einzigen Gericht hinein.
Kraut, Kohl, Bohnen, Erbsen, Rüben, alles was sich
in der Hütte eßbares fand und mit Wasser kochen
ließ. Dies giebt die soupe de legume, die Nahrung,
Stärkung und Leckerei dieser armen Leute. Selten,
daß Fleisch dazu kommt; Pfeffer, höchstens ein Stück
Speck, muß sie würzen, und geröstete Brotscheiben that
man zur Ehre des Gastes hinein. An demselben Ge-
richt wird den ganzen Tag über gekocht; allenfalls
bleibt der Kessel auch noch zum folgenden hangen. Aber

um Abend vergeblich der Rückmarſchordre. Jch las in
den Nibelungen, dem einzigen Buche, was ich mit mir
im Torniſter führte. Der grandioſe Zauber der Ein-
fachheit, der durch dies Epos weht, hat aber in jenen
Jahren noch wenig Reiz; es war noch kein Ueberreiz
da, der eine Rückkehr verlangt zur Einfalt.

Faſt vierzehn Tage vergingen, und ich ſaß mit
der ſchweigenden Familie vierzehn Tage lang, täglich
im Halbkreiſe und ſtarrte ſchweigend, wie ſie, auf die
Kohlen. Nur zuweilen kochte die Redſeligkeit der Frau
wie das Waſſer in der Marmite über. Dieſe hing,
ein ſchwerer eiſerner Keſſel, das einzige Kochgeräth in
dieſen Hütten, vom Morgen bis Abend in der Eſſe.
Zuerſt wurde drin die Mahlzeit für jene ſonoren Haus-
thiere abgekocht, die mich letzthin aus der Melancholie
erweckt; dann, wenn die Kartoffeln ausgeſchüttet, warf
man die Stoffe zu unſerem einzigen Gericht hinein.
Kraut, Kohl, Bohnen, Erbſen, Rüben, alles was ſich
in der Hütte eßbares fand und mit Waſſer kochen
ließ. Dies giebt die soupe de légume, die Nahrung,
Stärkung und Leckerei dieſer armen Leute. Selten,
daß Fleiſch dazu kommt; Pfeffer, höchſtens ein Stück
Speck, muß ſie würzen, und geröſtete Brotſcheiben that
man zur Ehre des Gaſtes hinein. An demſelben Ge-
richt wird den ganzen Tag über gekocht; allenfalls
bleibt der Keſſel auch noch zum folgenden hangen. Aber

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[0054] um Abend vergeblich der Rückmarſchordre. Jch las in den Nibelungen, dem einzigen Buche, was ich mit mir im Torniſter führte. Der grandioſe Zauber der Ein- fachheit, der durch dies Epos weht, hat aber in jenen Jahren noch wenig Reiz; es war noch kein Ueberreiz da, der eine Rückkehr verlangt zur Einfalt. Faſt vierzehn Tage vergingen, und ich ſaß mit der ſchweigenden Familie vierzehn Tage lang, täglich im Halbkreiſe und ſtarrte ſchweigend, wie ſie, auf die Kohlen. Nur zuweilen kochte die Redſeligkeit der Frau wie das Waſſer in der Marmite über. Dieſe hing, ein ſchwerer eiſerner Keſſel, das einzige Kochgeräth in dieſen Hütten, vom Morgen bis Abend in der Eſſe. Zuerſt wurde drin die Mahlzeit für jene ſonoren Haus- thiere abgekocht, die mich letzthin aus der Melancholie erweckt; dann, wenn die Kartoffeln ausgeſchüttet, warf man die Stoffe zu unſerem einzigen Gericht hinein. Kraut, Kohl, Bohnen, Erbſen, Rüben, alles was ſich in der Hütte eßbares fand und mit Waſſer kochen ließ. Dies giebt die soupe de légume, die Nahrung, Stärkung und Leckerei dieſer armen Leute. Selten, daß Fleiſch dazu kommt; Pfeffer, höchſtens ein Stück Speck, muß ſie würzen, und geröſtete Brotſcheiben that man zur Ehre des Gaſtes hinein. An demſelben Ge- richt wird den ganzen Tag über gekocht; allenfalls bleibt der Keſſel auch noch zum folgenden hangen. Aber

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/54>, abgerufen am 26.04.2024.