Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100.Pöbel die Edlen erdrückte, und die Schamlosen sieg- Jhr Gefühl schien auf's Höchste gespannt, doch "Sie sind fremd und jung. Sie kennen nicht Pöbel die Edlen erdrückte, und die Schamloſen ſieg- Jhr Gefühl ſchien auf’s Höchſte geſpannt, doch „Sie ſind fremd und jung. Sie kennen nicht <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0065"/> Pöbel die Edlen erdrückte, und die Schamloſen ſieg-<lb/> ten. — Jch wurde erſt nach ſeinem Tode geboren,<lb/> aber das ſchönſte und einzige Erbtheil, was er mir<lb/> hinterließ, iſt ſeine Ehre. Er brauchte, wenn er jetzt<lb/> lebte, ſich nicht zu krümmen und zu winden; er könnte<lb/> jedermann grad ins Auge ſehen, was nicht Alle kön-<lb/> nen.“ —</p><lb/> <p>Jhr Gefühl ſchien auf’s Höchſte geſpannt, doch<lb/> mochte ihr ein Blick auf meine Uniform ſagen, daß<lb/> die Aeußerung deſſelben nicht ganz angebracht ſey. Der<lb/> ſtarre Glanz ihres Auges machte einem freundlichern<lb/> Ausdruck Platz. Sie wiſchte ſchnell eine Thräne mit<lb/> dem Battiſttuch fort, und ſagte dann mit viel ſanfte-<lb/> rer Stimme:</p><lb/> <p>„Sie ſind fremd und jung. Sie kennen nicht<lb/> unſere Verhältniſſe. Sie ſind verwickelter als man ſich<lb/> vorſtellt. Die Familien ſind zerriſſen. Zwiſchen die<lb/> Bande des Bluts treten die Parteien; und wenn ſie<lb/> auch heut nicht mehr nach Blut und Geſetzen kreiſchen,<lb/> ſchreit fürchterlicher noch der gemeine Eigennutz. Und<lb/> wie Viele <hi rendition="#g">dürfen nicht</hi> tugendhaft werden! Wenn<lb/> ſie zurückblicken, packt ſie der Wahnſinn an. Da krie-<lb/> chen ſie unter die Altardecken und laſſen ſich ertränken<lb/> mit Weihwaſſer. Andere ſtieren, wie der Wampyr,<lb/> noch immer nach Blut. Es ſoll ein fürchterlicher Durſt<lb/> ſeyn. Vielleicht auch Beides zuſammen. Warum nicht?<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
Pöbel die Edlen erdrückte, und die Schamloſen ſieg-
ten. — Jch wurde erſt nach ſeinem Tode geboren,
aber das ſchönſte und einzige Erbtheil, was er mir
hinterließ, iſt ſeine Ehre. Er brauchte, wenn er jetzt
lebte, ſich nicht zu krümmen und zu winden; er könnte
jedermann grad ins Auge ſehen, was nicht Alle kön-
nen.“ —
Jhr Gefühl ſchien auf’s Höchſte geſpannt, doch
mochte ihr ein Blick auf meine Uniform ſagen, daß
die Aeußerung deſſelben nicht ganz angebracht ſey. Der
ſtarre Glanz ihres Auges machte einem freundlichern
Ausdruck Platz. Sie wiſchte ſchnell eine Thräne mit
dem Battiſttuch fort, und ſagte dann mit viel ſanfte-
rer Stimme:
„Sie ſind fremd und jung. Sie kennen nicht
unſere Verhältniſſe. Sie ſind verwickelter als man ſich
vorſtellt. Die Familien ſind zerriſſen. Zwiſchen die
Bande des Bluts treten die Parteien; und wenn ſie
auch heut nicht mehr nach Blut und Geſetzen kreiſchen,
ſchreit fürchterlicher noch der gemeine Eigennutz. Und
wie Viele dürfen nicht tugendhaft werden! Wenn
ſie zurückblicken, packt ſie der Wahnſinn an. Da krie-
chen ſie unter die Altardecken und laſſen ſich ertränken
mit Weihwaſſer. Andere ſtieren, wie der Wampyr,
noch immer nach Blut. Es ſoll ein fürchterlicher Durſt
ſeyn. Vielleicht auch Beides zuſammen. Warum nicht?
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