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Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100.

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Aber" -- und ihr Gesicht leuchtete wieder auf -- "es
giebt noch Tugenden. Wilde, auffahrende Menschen.
Sie wurden ja unter dem Druck erzogen. Der Druck
empört, und der Geist bricht sich seine eigene Bahn.
Die stehen höher als alle Geburt, es sind die trotzigen
Kinder einer neuen Zeit. -- Sie hat ihr Meteor ge-
habt und nun ist es wieder Nacht."

Die Schwärmerin fühlte zum zweiten Male, daß
sie zu viel gesagt. Sie lächelte, machte eine leichte
Verbeugung, und verschwand. Es war die Nichte des
Maire, die der Oheim für den Schleier bestimmt hatte,
weil sie einen Mann unter ihrem Stande und von ge-
fährlichen Grundsätzen, liebte. An der kalten gegen-
seitigen Begegnung fand ich Gelegenheit zu bemerken,
daß zwischen Oheim und Nichte fast mehr als ein
Mißverhältniß obwalten müsse, und daß nur die fran-
zösische Höflichkeit den Frieden im Hause erhalte.

Nicht alle Jäger waren von der fröhlichen Ge-
müthsart unseres Hauptmanns, und oft trat, wenn
dieser, vom Weine schwer, den Saal verlassen hatte,
und wir um das matt glimmende Kohlenfeuer des
Marmorkamines saßen, eine trübe Stille ein. So sa-
ßen wir auch heut, als der Sturm draußen heulte, in
Gesellschaft des Maire im stillen Zimmer. Das Fräu-
lein, zufällig in der Gesellschaft, schwieg wie immer;
der Maire stützte sich mit seinen ausgebreiteten Hän-

den

Aber“ — und ihr Geſicht leuchtete wieder auf — „es
giebt noch Tugenden. Wilde, auffahrende Menſchen.
Sie wurden ja unter dem Druck erzogen. Der Druck
empört, und der Geiſt bricht ſich ſeine eigene Bahn.
Die ſtehen höher als alle Geburt, es ſind die trotzigen
Kinder einer neuen Zeit. — Sie hat ihr Meteor ge-
habt und nun iſt es wieder Nacht.“

Die Schwärmerin fühlte zum zweiten Male, daß
ſie zu viel geſagt. Sie lächelte, machte eine leichte
Verbeugung, und verſchwand. Es war die Nichte des
Maire, die der Oheim für den Schleier beſtimmt hatte,
weil ſie einen Mann unter ihrem Stande und von ge-
fährlichen Grundſätzen, liebte. An der kalten gegen-
ſeitigen Begegnung fand ich Gelegenheit zu bemerken,
daß zwiſchen Oheim und Nichte faſt mehr als ein
Mißverhältniß obwalten müſſe, und daß nur die fran-
zöſiſche Höflichkeit den Frieden im Hauſe erhalte.

Nicht alle Jäger waren von der fröhlichen Ge-
müthsart unſeres Hauptmanns, und oft trat, wenn
dieſer, vom Weine ſchwer, den Saal verlaſſen hatte,
und wir um das matt glimmende Kohlenfeuer des
Marmorkamines ſaßen, eine trübe Stille ein. So ſa-
ßen wir auch heut, als der Sturm draußen heulte, in
Geſellſchaft des Maire im ſtillen Zimmer. Das Fräu-
lein, zufällig in der Geſellſchaft, ſchwieg wie immer;
der Maire ſtützte ſich mit ſeinen ausgebreiteten Hän-

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/66>, abgerufen am 25.04.2024.