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Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100.

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den auf den Knieen und starrte in die Kohlen, und
zwei oder drei Jäger saßen, statt zu rauchen, sprachlos
mit verschränkten Armen dem Feuer zugekehrt. End-
lich unterbrach der Eine, ein abgelebter Mensch, ob-
gleich noch im Jugendalter, die Stille:

"Der Sturm heult draußen, als wollte er die
Bäume entwurzeln."

Der Maire entgegnete ohne aufzusehn: "Erst schüt-
telt er das welke Laub ab, dann bricht er die Aeste,
und endlich macht er sich an den morschen Stamm."

"Unsere Lebensgeschichte," sagte der Jäger. Der
Maire fuhr fort:

"Es fällt Alles ab, bei den Meisten periodenweis,
nach Frühling, Sommer, Herbst; bei Anderen schneller.
Kein Baum langt mehr seine welken Blätter auf. Nicht
die Jugend, nicht das Mannesalter, nicht einmal eine
einzige Stunde der Lust läßt sich zurückrufen. Alles
was wir trieben mit dem Blick nach vorwärts, war
ein Spiel, wenn wir es gelind, eine Thorheit, wenn
wir es recht nennen wollen. Ziel und Ausgang bleibt
der Staub.

"Thoren und Kluge, fuhr der Jäger fort, schla-
fen in derselben Grube, und der größte Thor ist, wer
sein Leben daran verschwendet hat klug zu werden."

"Doch mag ein Unterschied seyn," unterbrach ihn
der Franzose: "der Thor verscheidet, ohne Freude und

den auf den Knieen und ſtarrte in die Kohlen, und
zwei oder drei Jäger ſaßen, ſtatt zu rauchen, ſprachlos
mit verſchränkten Armen dem Feuer zugekehrt. End-
lich unterbrach der Eine, ein abgelebter Menſch, ob-
gleich noch im Jugendalter, die Stille:

„Der Sturm heult draußen, als wollte er die
Bäume entwurzeln.“

Der Maire entgegnete ohne aufzuſehn: „Erſt ſchüt-
telt er das welke Laub ab, dann bricht er die Aeſte,
und endlich macht er ſich an den morſchen Stamm.“

„Unſere Lebensgeſchichte,“ ſagte der Jäger. Der
Maire fuhr fort:

„Es fällt Alles ab, bei den Meiſten periodenweis,
nach Frühling, Sommer, Herbſt; bei Anderen ſchneller.
Kein Baum langt mehr ſeine welken Blätter auf. Nicht
die Jugend, nicht das Mannesalter, nicht einmal eine
einzige Stunde der Luſt läßt ſich zurückrufen. Alles
was wir trieben mit dem Blick nach vorwärts, war
ein Spiel, wenn wir es gelind, eine Thorheit, wenn
wir es recht nennen wollen. Ziel und Ausgang bleibt
der Staub.

„Thoren und Kluge, fuhr der Jäger fort, ſchla-
fen in derſelben Grube, und der größte Thor iſt, wer
ſein Leben daran verſchwendet hat klug zu werden.“

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[0067] den auf den Knieen und ſtarrte in die Kohlen, und zwei oder drei Jäger ſaßen, ſtatt zu rauchen, ſprachlos mit verſchränkten Armen dem Feuer zugekehrt. End- lich unterbrach der Eine, ein abgelebter Menſch, ob- gleich noch im Jugendalter, die Stille: „Der Sturm heult draußen, als wollte er die Bäume entwurzeln.“ Der Maire entgegnete ohne aufzuſehn: „Erſt ſchüt- telt er das welke Laub ab, dann bricht er die Aeſte, und endlich macht er ſich an den morſchen Stamm.“ „Unſere Lebensgeſchichte,“ ſagte der Jäger. Der Maire fuhr fort: „Es fällt Alles ab, bei den Meiſten periodenweis, nach Frühling, Sommer, Herbſt; bei Anderen ſchneller. Kein Baum langt mehr ſeine welken Blätter auf. Nicht die Jugend, nicht das Mannesalter, nicht einmal eine einzige Stunde der Luſt läßt ſich zurückrufen. Alles was wir trieben mit dem Blick nach vorwärts, war ein Spiel, wenn wir es gelind, eine Thorheit, wenn wir es recht nennen wollen. Ziel und Ausgang bleibt der Staub. „Thoren und Kluge, fuhr der Jäger fort, ſchla- fen in derſelben Grube, und der größte Thor iſt, wer ſein Leben daran verſchwendet hat klug zu werden.“ „Doch mag ein Unterſchied ſeyn,“ unterbrach ihn der Franzoſe: „der Thor verſcheidet, ohne Freude und

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/67>, abgerufen am 29.03.2024.