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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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"Ich habe das Versmachen verschworen! Du
weißt es."

"Aber, Walter, in solcher Natur! Ich müßte
Dich ja nicht kennen. Ein tiefer See mit roman¬
tischen Ufern! Vielleicht kommen die Schwanen¬
jungfrauen angepflogen, entkleiden sich, ihre Schleier
hängen sie an die Hagebutten. Husch hast Du einen
weggestohlen, und erwartest als frommer Siedler im
Korn die Schöne, die als mediceische Venus um Gottes
Willen um ein kleines Stückchen Bekleidung bittet."

"Wir irrten darin, daß wir das Wunderbare
immer in der Ferne suchten:

Willst Du immer weiter schweifen,
Sieh' das Gute liegt so nah!
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da."

"Wie schon Goethes anderer guter Mann, der
nach Schätzen gräbt:

Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet."

"Wer den Sinn für sie mitbringt, dem schwebt
ihr Geist entgegen auch vom Thautropfen, der am
Grashalm hängt, er wiegt sich in den Aehren, über
die der Wind hinspielt."

"Er glitzert auch im Mistkäfer, warum gähnt
er nicht auch in dem Frosch, der da unvernünftig
weit über der Mummel das Maul aufsperrt. Sieh ihn
an, welche tiefe Weisheitssprüche die Padde krächzt --
Und welche Weisheit bläht sich eben auf Deiner Brust!

„Ich habe das Versmachen verſchworen! Du
weißt es.“

„Aber, Walter, in ſolcher Natur! Ich müßte
Dich ja nicht kennen. Ein tiefer See mit roman¬
tiſchen Ufern! Vielleicht kommen die Schwanen¬
jungfrauen angepflogen, entkleiden ſich, ihre Schleier
hängen ſie an die Hagebutten. Huſch haſt Du einen
weggeſtohlen, und erwarteſt als frommer Siedler im
Korn die Schöne, die als mediceiſche Venus um Gottes
Willen um ein kleines Stückchen Bekleidung bittet.“

„Wir irrten darin, daß wir das Wunderbare
immer in der Ferne ſuchten:

Willſt Du immer weiter ſchweifen,
Sieh' das Gute liegt ſo nah!
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück iſt immer da.“

„Wie ſchon Goethes anderer guter Mann, der
nach Schätzen gräbt:

Und froh iſt, wenn er Regenwürmer findet.“

„Wer den Sinn für ſie mitbringt, dem ſchwebt
ihr Geiſt entgegen auch vom Thautropfen, der am
Grashalm hängt, er wiegt ſich in den Aehren, über
die der Wind hinſpielt.“

„Er glitzert auch im Miſtkäfer, warum gähnt
er nicht auch in dem Froſch, der da unvernünftig
weit über der Mummel das Maul aufſperrt. Sieh ihn
an, welche tiefe Weisheitsſprüche die Padde krächzt —
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[170/0184] „Ich habe das Versmachen verſchworen! Du weißt es.“ „Aber, Walter, in ſolcher Natur! Ich müßte Dich ja nicht kennen. Ein tiefer See mit roman¬ tiſchen Ufern! Vielleicht kommen die Schwanen¬ jungfrauen angepflogen, entkleiden ſich, ihre Schleier hängen ſie an die Hagebutten. Huſch haſt Du einen weggeſtohlen, und erwarteſt als frommer Siedler im Korn die Schöne, die als mediceiſche Venus um Gottes Willen um ein kleines Stückchen Bekleidung bittet.“ „Wir irrten darin, daß wir das Wunderbare immer in der Ferne ſuchten: Willſt Du immer weiter ſchweifen, Sieh' das Gute liegt ſo nah! Lerne nur das Glück ergreifen, Denn das Glück iſt immer da.“ „Wie ſchon Goethes anderer guter Mann, der nach Schätzen gräbt: Und froh iſt, wenn er Regenwürmer findet.“ „Wer den Sinn für ſie mitbringt, dem ſchwebt ihr Geiſt entgegen auch vom Thautropfen, der am Grashalm hängt, er wiegt ſich in den Aehren, über die der Wind hinſpielt.“ „Er glitzert auch im Miſtkäfer, warum gähnt er nicht auch in dem Froſch, der da unvernünftig weit über der Mummel das Maul aufſperrt. Sieh ihn an, welche tiefe Weisheitsſprüche die Padde krächzt — Und welche Weisheit bläht ſich eben auf Deiner Bruſt!

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/184>, abgerufen am 21.11.2024.